Schaffhauser Nachrichten: Der Ständerat beharrt auf Kürzungen

Bei der Revision der Invaliden-versicherung (IV) ist der Ständerat sparsamer als der Nationalrat. Er sieht vor, dass eine volle Rente künftig erst ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent entrichtet wird. Er setzt zudem auf eine Schuldenbremse.

Von Eveline Rutz

Arbeit soll sich lohnen. In diesem Punkt sind sich die eidgenössischen Räte einig. Sie befürworten daher einen entsprechenden Umbau des IV-Rentensystems. Unterschiedlich beurteilen sie jedoch, ab welchem Invaliditätsgrad eine volle Rente ausbezahlt werden soll. Der Nationalrat entschied sich Ende 2012 knapp für die bisherige Regelung von 70 Prozent. Er folgte einem Antrag von Christian Lohr (CVP/TG), der aufgrund einer Contergan-Schädigung schwer behindert ist. Anders der Ständerat: Er hielt gestern mit 25 zu 19 Stimmen an seinem Entscheid für 80 Prozent fest.

«Das Ziel nicht verfehlen»

Mit einer tieferen Hürde sei es nicht realistisch, 17 000 IV-Rentner wieder einzugliedern, sagte Alex Kuprecht (SVP/SZ). Wer zu 70 Prozent invalid sei, könne zu 30 Prozent einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Unternehmer seien zunehmend bereit, entsprechende Stellen anzubieten. Dabei spielten nicht zuletzt ökonomische Überlegungen eine Rolle. «Wenn sie diese Aufgabe nicht wahrnehmen, werden sie mit Beitragserhöhungen oder einer Quote rechnen müssen.» Die Ratslinke zeigte sich skeptisch. «Ich kenne sehr viele, die noch so gerne arbeiten würden, aber keine Stelle finden», sagte unter anderen Pascale Bruderer (SP/AG). Die Massnahme treffe ausgerechnet Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen, welche auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen hätten. SVP-Ständerat Hannes Germann(SH) warnte zudem vor Kostenverschiebungen zulasten der Gemeinden und Kantone. 40 Prozent der IV-Rentner seien bereits heute auf Ergänzungsleistungen angewiesen, rechnete der Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands vor. Lege man für eine Vollrente einen Invaliditätsgrad von 80 Prozent fest, werde die Zahl steigen. Und: «Das von der Mehrheit der Kommission jetzt favorisierte Rentensystem trifft diejenigen frontal, die auf dem Arbeitsmarkt die schlechtesten Chancen haben.» Das Subsidiaritätsprinzip sei durchaus gewollt, entgegnete Parteikollege Roland Eberle (SVP/TG). «Je näher der Fall bei der lokalen Behörde ist, desto besser gelingt die Integration.» Kommissionssprecherin Christine Egerszegi (FDP/AG) erinnerte daran, dass keine laufenden Renten angetastet werden sollen. Eine Mehrheit beurteilte die 80-Prozent-Regelung schliesslich für vertretbar.

Lohr will weiter kämpfen

CVP-Nationalrat Lohr kritisiert diesen Entscheid: Die Kürzungen würden Behinderten schwer zusetzen. Im Stöckli hat seine Partei das Konzept mehrheitlich mitgetragen. Lohr ist sich daher bewusst, dass er in der zweiten Runde im Nationalrat einen schweren Stand haben wird. «Ich bin da realistisch, werde aber bestimmt noch einige Gespräche führen.» Lohr moniert, dass es in der Schweiz keine kohärente Behindertenpolitik gebe. Es werde fast ausschliesslich über finanzielle Aspekte diskutiert. Ob er das von den Behindertenorganisationen angedrohte Referendum unterstützen würde, lässt er offen. «Das ist für mich im Moment kein Thema.» Aus Sicht von Bruno Pezzatti (FDP/ZG) wäre ein Referendum eine Zwängerei. Er blickt einer möglichen Abstimmung jedoch gelassen entgegen. Man habe dem Volk versprochen, die IV zu sanieren. Die jetzige Vorlage erfülle dieses Versprechen nicht.

«Eine Vertrauensfrage»

Tatsächlich setzten sich FDP- und SVP-Ständeräte gestern in einem weiteren zentralen Punkt vergeblich für einen Sparkurs ein. Die Mehrheit folgte dem Nationalrat und schob den Entscheid über Kinderrenten sowie Reisekosten auf die lange Bank. «Ein solches Splitting könnte sich zu einem Pyrrhussieg entwickeln», warnte Karin Keller-Sutter (FDP/SG). Die Glaubwürdigkeit des Parlaments stehe auf dem Spiel. Immerhin habe es dem Volk 2009 versichert, im Gegenzug zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer die Sanierung der IV konsequent zu Ende zu führen. Sie fand damit aber kein Gehör. Der umstrittene Teil sei angesichts der positiven Entwicklung der IV nicht mehr vordringlich, befand eine Mehrheit. Ihn auszulagern, mache die Vorlage zudem referendumsresistenter. Festhalten will die kleine Kammer dagegen an der Schuldenbremse. Sie soll das Sozialwerk davor bewahren, dereinst erneut in eine finanzielle Schieflage zu geraten.

«Das von der Mehrheit der Kommission favorisierte Rentensystem trifft jene frontal, die auf dem Arbeitsmarkt die schlechtesten Chancen haben».