Schaffhauser Nachrichten: «Die Politik ist kein Streichelzoo»

Die Kandidaten waren angriffig, das Publikum war interessiert, die Debatte wurde hart geführt. So war das letzte Podium der Ständeratskandidaten vor den Wahlen.

von Zeno Geisseler

Soll noch einer sagen, Polittalks müssen langweilig sein. Was sich die drei Schaffhauser Ständeratskandidaten gestern Abend lieferten, war keine distinguierte Debatte à la «chambre de réflexion», sondern ein harter Schlagabtausch, wie man ihn sonst eher aus dem US-Fernsehen oder aus Talkshows von deutschen Sendern kennt – inklusive Publikum, das den Favoriten beklatscht und den Gegner ausbuht.

SN-Chefredaktor Norbert Neininger, dessen Haus zur finalen Debatte vor dem Wahlsonntag geladen hatte, stachelte die Diskussion gleich zu Beginn an. Er stellte nicht die inzwischen weitaus bekannten politischen Standpunkte der Kandidaten ins Zentrum, sondern den Stil des Wahlkampfs. SP-Kandidat Matthias Freivogel sei viel zu kurz gekommen, habe harmlose Inserate geschaltet, sagte Neininger. «Ich will mich eben mit Sachlichkeit und klaren Aussagen profilieren», sagte Freivogel. «Ich sehe mich als Ergänzung zu Hannes Germann.» Dann ging es zu Christian Heydecker von der FDP und dem Parteilosen Thomas Minder. Sie beide hatten sich via Inserate heftig bekämpft. «Ich gebe zu, es waren grosse Buchstaben», sagte Heydecker zu der Inseratekampagne der Jungfreisinnigen. Er sei aber der falsche Ansprechpartner, er habe die Inserate ja nicht selbst geschaltet. «Sie können nicht behaupten, sie hätten nicht gewusst, was da drin steht», konterte Minder. «Jetzt merken alle, was für eine Schlammschlacht diese Wahlen sind!» Auf seine eigenen Inserate gegen Heydecker angesprochen, meinte Minder: «Sie waren zu 99 Prozent sachlich.» Nun kamen zwei Vertreter aus dem Publikum zu Wort, die spontan als «Wahlbeobachter» ausgewählt worden waren: Journalist Matthias Wipf und Kommunikationsexperte Marcus Knill. «Es war ein harter Wahlkampf», sagte Wipf. «Aber vielleicht haben auch die Medien versagt. Sie hätten den Vorwürfen in den Inseraten nachgehen sollen.» Knill wiederum konstatierte trocken: «Es kommt auf einen zurück, wenn man Dreck wirft.»

«Keinen blassen Schimmer» 
Minder hatte Heydecker vorgeworfen, er sei dienstuntauglich gewesen, habe aber Nati-B-Fussball gespielt. Minder wurde unter anderem vorgehalten, er behandle seine Angestellten schlecht und fahre ein grosses Auto. Nur Heydecker stieg auf das Angebot ein, die Anschuldigungen zu kontern. Erstens sei das 27 Jahre her, zweitens hätte die Militärversicherung ihn nicht gewollt. Minder hingegen sagte, er wolle auf diese Diffamierungen nicht antworten, er wünsche sich eine sachliche Diskussion. Der Trybol-Chef betonte aber auch, «Politik ist kein Streichelzoo». Das wurde in der nächsten Fragerunde sogleich bestätigt. Heydecker griff Minder frontal an: «Als Vertreter in Bern muss man wissen, was es heisst, wenn die Kantone und Gemeinden ein Gesetz ausbaden müssen. Als früherer Gemeinderat und Kantonsrat weiss ich, was das heisst. Thomas Minder hat davon aber keinen blassen Schimmer.» Matthias Freivogel wiederum sagte, er sei ein Mann der Mitte. «Mehrheitsfähigkeit und Augenmass sind mir wichtig. Ich bin in dieser Beziehung ein Sommarugist.» Schliesslich wollte Neininger noch «das bestgehütete Geheimnis des Wahlkampfs lüften», wie er sagte. Nämlich: In welche Fraktion wird der parteilose Minder eintreten? Dieser liess sich nicht festlegen. «Ich habe zwei Präferenzen, die Grünliberalen und die SVP.» Heydecker meinte dazu: «Wenn eine Mannschaft neun blaue Shirts hat und einer trägt ein rotes, dann geht das doch nicht.» Und Freivogel meinte zum gleichen Thema später in der Diskussion mit dem Publikum: «Parteilos heisst wirkungslos.» Wie die Wahlkampfleiter der drei Kandidaten die Debatte erlebt haben, können Sie unten lesen.

Drei Kandidaten
Die Anordnung war – wohl unbeabsichtigt – passend. Links des Moderators zwei Kandidaten mit klaren und glaubhaften Positionen, beide seit Jahren politisch aktiv, beide in Parteien eingebunden. Der eine links und grün – Matthias Freivogel – der andere genauso eindeutig rechts und bürgerlich – Christian Heydecker. Auf der rechten Seite des Moderators ein Kandidat ohne klares Profil, einer, der schwierigen Fragen ausweicht (auch Jungfreisinnige dürfen Fragen stellen), der immer noch nicht weiss, welcher Fraktion er sich in Bern anschliessen will! Haben wir am Schluss drei SVP-Vertreter in Bern? Der Kandidat, der sich zu einer Tirade gegen sämtliche Politiker hinreissen lässt – Thomas Minder. Das Podium war intensiv und spannend. Gefallen hat mir der Einbezug von zwei neutralen Beobachtern. Gut fand ich, dass Zeit für Fragen aus dem Publikum blieb, weniger gut die Buhrufe des Minder-Fanclubs. Fazit: Wer wie ich einen sozial denkenden und grün eingestellten Ständerat will, wählt Matthias Freivogel.