Schaffhauser Nachrichten: Diskurs: Hannes Germann gegen Hermann Keller

In 19 Tagen haben die Stimmberechtigten zu entscheiden, wer den Kanton Schaffhausen neben Peter Briner in Zukunft im Ständerat vertritt: Hannes Germann oder Hermann Keller? Um die unterschiedlichen Standpunkte aufzuzeigen, haben wir den beiden Kandidaten einige heisse politische Fragen gestellt. Wir publizieren heute eine erste Serie ihrer Antworten. Der zweite Teil folgt in einer der nächsten Ausgaben.

Ostschweizer Regierungen und die Ostschweizer Vertreter in den eidgenössischen Räten treten seit kurzem in eigener Sache beim Bund geschlossen auf und fordern eine stärkere Berücksichtigung der Ostschweiz. Was darf sich der Stand Schaffhausen dadurch erhoffen?

Hannes Germann: Wir brauchen Verbesserungen im Infrastrukturbereich. Und gemeinsam erreicht man mehr, wie das Beispiel Bundesverwaltungsgericht (Standort St. Gallen) zeigt. Eine bessere Anbindung an die Wirtschaftsmetrople Zürich und den Flughafen Kloten ist für unsere Region überfällig. Nebst diesen Verbesserungen beim öffentlichen Verkehr muss die Sicherheit auf der A 4 erhöht und Neuhausen vom Durchgangsverkehr entlastet werden. Der Bau des Galgenbucktunnels wäre auch für das «Chläggi» ein Vorteil.
Hermann Keller: Die Ostschweiz trat in den letzten Jahren in Bern zu bescheiden auf. Die Westschweiz, das Tessin und die Bergkantone vertraten ihre Interessen bewusster und erfolgreicher. Seien es Bundesarbeitsplätze, Verkehrsinfrastruktur oder Gesetzgebung. Die Post streicht sehr viele Poststellen im Kanton, und die SBB haben zahlreiche Stellen in Schaffhausen abgebaut. Gleichzeitig ist das SBB-Rollmaterial bei uns deutlich älter als in der lateinischen Schweiz. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dies ändert. Die Schweiz hört nicht in Winterthur auf.

Die Krankenkassenprämien steigen bei grosser Kostensteigerung im Gesundheitswesen von Jahr zu Jahr massiv. Wie ist dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten?

Hannes Germann: Sicher nicht durch den Abbau von Pflegepersonal! Denn deren Leistungen spüren die Patienten am unmittelbarsten. Es ist ein ganzes Massnahmenpaket notwendig, wie es z. B. in der Krankenkasseninitiative der SVP aufgezeigt wird. Prüfenswert ist u.  a. die Aufhebung des Kontrahierungszwangs. Zudem muss die laufende Ausweitung des Grundleistungskataloges gestoppt werden. Ein vielversprechender Ansatz ist das monistische Finanzierungsmodell, wie es vom Ständerat vorgeschlagen wird.
Hermann Keller: Die zunehmend höhere Lebenserwartung sowie der medizinische Fortschritt machen bei sonst stabilen Verhältnissen drei bis vier Prozent Kostensteigerung pro Jahr aus. Das qualitativ sehr gute Gesundheitswesen hat in Schaffhausen und der übrigen Schweiz seinen Preis. Neben kleineren Optimierungen und einer sinnvolleren Finanzierung muss vor allem auch eine zurückhaltendere Nachfrage nach medizinischen Leistungen gefordert werden.

Wäre eine Erhöhung der Ausschüttungen für individuelle Prämienverbilligungen durch Bund und Kantone sinnvoll?

Germann: Dort, wo Not besteht, muss gezielt geholfen werden. Insofern hat das bestehende System bis jetzt funktioniert. Nach den jüngsten massiven Prämienerhöhungen im Kanton Schaffhausen muss man die Situation neu analysieren. Ich stehe einer Erhöhung aber skeptisch gegenüber: Denn Geld, das neu verteilt wird, muss den Leuten immer zuerst über Steuern aus der Tasche gezogen werden. Und ich bin gegen Steuererhöhungen!
Keller: Im Kanton Schaffhausen wurde eine entsprechende Vorlage vor wenigen Jahren relativ knapp abgelehnt. Mehr Prämienverbilligungen brächten einen volkswirtschaftlichen Nutzen von mehreren Millionen Franken in die Region Schaffhausen. Insbesondere Familien, Rentner und Einzelpersonen würden ähnlich einer Steuersenkung entlastet. Das in Bern nicht abgeholte Geld ist für Schaffhausen letztlich verloren.

Wie beurteilen Sie das vom Bundesrat ergriffene Mittel des Zulassungsstopps für junge Ärzte?

Germann: Derart pauschale Massnahmen sind ein Zeichen der Konzept- und Hilflosigkeit und daher abzulehnen. Sie diskriminieren junge Leute, die nach einer sehr langen und sehr teuren Ausbildung ihr Wissen engagiert und produktiv anwenden sollten.
Keller: Ich betrachte es als keine taugliche Massnahme, mit sehr teurem Geld ausgebildete Ärzte in ihrer beruflichen Entwicklung zu behindern. In den Spitälern entstehen zudem Probleme mit den ärztlichen Ausbildungsstellen.

Der Bundesrat will den Mindestzinssatz auf Pensionskassenguthaben von 4 auf 3 Prozent senken. Ist das «Rentenklau»?

Germann: Zumindest hat das überstürzte Vorgehen des Bundesrates der Boulevardpresse zu diesem Schlagwort verholfen. Doch nach wie vor gilt: Die Renten sind gesichert! Mit Vorsorgeguthaben lässt sich jedoch nicht spassen. Bevor am Mindestzinssatz überhaupt etwas verändert oder eine Flexibilisierung vorgenommen wird, müssen die Versicherungen für völlige Transparenz sorgen. Keller: Der Beschluss des Bundesrates wirkt nicht glaubwürdig, weil in den vergangenen Jahren mit klar höheren Renditemöglichkeiten der Mindestzinssatz nicht heraufgesetzt worden ist. Die Renten werden durch eine Herabsetzung zwar nicht geklaut, die Rentner aber zumindest um einen besseren Ertrag geprellt.

Der Bundesrat neige dazu, Beschlüsse nicht mehr kollektiv zu tragen, sagt der Zürcher Soziologe Kurt Imhof im Rahmen einer allgemeinen Kritikwelle, die der Landesregierung derzeit in den Medien entgegenschwappt. Was taugt der Bundesrat in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung?

Germann: Geht die Verletzung des Kollegialprinzips über Ausnahmesituationen hinaus, ist das ein Indiz für Führungsschwäche. Das war so, als sich unser Land ausländischen Erpressungsversuchen ausgesetzt sah oder zuletzt beim Rentenstreit, als sich Metzler und Dreifuss die Schuld für das Debakel zuschoben. Bei der anstehenden Lösung kann der Bundesrat endlich wieder Stärke zeigen.
Keller: Der Bundesrat als Gesamtbehörde zeigte immer wieder stärkere und schwächere Phasen. Die Kritikwellen verlaufen ebenfalls unterschiedlich. Zurzeit scheint allerdings kein Berufsstand von wohlwollender Kritik begleitet zu sein. Die vor kurzem noch hoch gelobten Wirtschaftsführer gewisser Grosskonzerne wirken reihenweise angeschlagen oder sind ganz von der Bildfläche verschwunden.

Die Schweiz wird voraussichtlich am 10. September in die Vereinten Nationen aufgenommen. Welche Rolle soll sie dort spielen?

Germann: Hoffentlich eine aktive, die auf unseren Stärken baut. Denn wir haben der Welt mit unserer Unabhängigkeit, Neutralität, unserem System der direkten Demokratie mit ausgedehnten Volksrechten sowie mit unseren humanitären Diensten viel zu bieten. Wir müssen uns aber aus fragwürdigen machtpolitischen Spielen heraushalten.
Keller: Die Schweiz soll eine aktive, vorteilhafte Rolle spielen unter gebührender Beachtung ihres traditionellen Bewusstseins von Unabhängigkeit und Neutralität.

Gegenwärtig läuft die Vorbereitung für Verhandlungen mit der EU über neue bilaterale Verträge (Bilaterale II). Welches Ziel soll die Schweiz dabei verfolgen?

Germann: Zuerst gilt es, die in der ersten Runde eingehandelten Nachteile wettzumachen. Am grössten ist der Handlungsbedarf beim Transitverkehr, wo sehr schlecht verhandelt worden ist (Transitchaos am Gotthard!). Zentral bei den Bilateralen II ist für mich eine optimale Zusammenarbeit mit der EU bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität.
Keller: Neue Verträge müssen einen Nutzen für die Schweiz erzielen. Da die Schweiz aus der Position der Stärke verhandeln kann, muss sie diese Vorteile gezielt einsetzen. Weil die Kantone von den Auswirkungen betroffen sein werden, sollen sie in die Verhandlungsentwicklung einbezogen werden. Das letzte Wort wird jedoch immer dem Volk zukommen.