Schaffhauser Nachrichten: Gastkolumne:Der Mythos «Sparwut» verhindert nötige Reformen

von Hannes Germann

Wie reagiert der durchschnittliche Schweizer, wenn das Geld Ende des Monats einfach nicht mehr für alles ausreichen will? Es gibt zwei Möglichkeiten: Er gibt es trotzdem aus mit dem Ergebnis, dass er sich über kurz oder lang in eine Schuldenfalle begibt, aus der es oft kaum mehr einen Ausweg gibt. Oder er spart, indem er sich einschränkt auf das Notwendigste. Durch Verzicht auf Wünschbares. Das Rezept ist vom Prinzip her einfach: Man gibt nur so viel aus, wie man effektiv hat. Bei diesen beiden Möglichkeiten ist der zweite Weg für Privatpersonen wohl die einzige echte Option.

Schliesslich weiss jedes Kind, dass aus dem Sparschwein nur so viel herausgenommen werden kann, wie effektiv auch darin angespart worden ist. Umso mehr erstaunt die Tatsache, dass diese einfache Verhaltensökonomie nur für Private, nicht aber für den Staat gelten soll. Da wird nämlich auch Geld ausgegeben, das gar nicht vorhanden ist. Das Ergebnis: Seit 1990, also innert 15 Jahren, hat sich der Schuldenberg beim Bund vervierfacht auf rund 130 Milliarden Franken.

Ein Blick in die Zahlenprognosen der Eidgenössischen Finanzverwaltung lässt auch für die Zukunft nichts Gutes erahnen. So wird für den Zeitraum 2005 bis 2007 ein weiterer Anstieg der Staatsverschuldung um 16,5 Milliarden vorhergesagt, also 5,5 Milliarden pro Jahr. Das entspricht täglich rund 15 Millionen Franken, um die der Schuldenberg beim Bund wächst. Mit diesem Betrag liesse sich die Finanzierung eines für die Euro 2008 tauglichen Zürcher Letzigrund-Stadions (110 Mio. Fr.) in gut einer Woche finanzieren …

Als Folge einer wenig verantwortungsvollen Ausgabenpolitik in den Neunzigerjahren und auch zu Beginn dieses Jahrtausends mussten auf Bundesebene gleich zwei Entlastungsprogramme binnen zweier Jahre lanciert werden, das EP 03 und das EP 04, das in der kommenden Sommersession in den eidgenössischen Räten verabschiedet werden dürfte. Die vorgeschlagenen Sparmassnahmen sind notwendig. Das heisst aber noch lange nicht, dass jede einzelne Massnahme im Detail auch vertretbar und damit akzeptabel wäre.

Torpediert wird die notwendige Kurskorrektur durch Kräfte in diesem Land, die jeglichen Ansatz einer verantwortungsvollen Finanzpolitik unablässig als «Sparwut» abtun. Dieser Begriff ist schon fast so etwas wie ein Mythos, mit dem jegliche Reform in diesem Land schon im Ansatz abgewürgt werden soll (AHV, IV, Pensionskassen, Krankenversicherung). Die gleichen Kreise wollen auch die von 84 Prozent der Stimmberechtigten erst vor wenigen Jahren beschlossene Schuldenbremse mit allen Mitteln aufweichen. Das ist schlicht inakzeptabel und verantwortungslos gegenüber den nächsten Generationen.

Denn mit der Staatsverschuldung wachsen auch Fiskalquote (Steuern) und Staatsquote. Die Zwangsausgaben in der Schweiz belaufen sich im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt laut OECD auf nach wie vor relativ bescheidene 38 Prozent. Diese offizielle Staatsquote beinhaltet Ausgaben von Gemeinden, Kantonen und Bund sowie von AHV, IV, Erwerbsersatz und Arbeitslosenversicherung. Nimmt man jedoch auch obligatorische Ausgaben für die Krankenversicherung, die berufliche Vorsorge (BVG), Unfallversicherung und Familienzulagen hinzu, überschreiten die staatlichen Zwangsausgaben die 50 Prozent-Marke des Bip.

Und während sich Grossbritannien, Finnland, Schweden und selbst Länder wie Belgien oder Spanien erfolgreich auf den Pfad der nachhaltigen Entschuldung begeben haben, haben viele in der Schweiz immer noch nichts kapiert. Denn je höher die Staatsquote, desto mehr Wachstum brauchen wir, um Arbeitsplätze zu schaffen. Und neue Arbeitsplätze wollen wir doch alle. Oder etwa nicht?