Schaffhauser Nachrichten: Heimatgefühl, Doppelbürger und der rote Pass

Während sich SVP-Ständerat Germann an der Secondo-Definition stört, ist SP-Präsident Fehr für die Einbürgerungsvorlagen.

Interview: Michael Brunner und Beat Rechsteiner

Schaffhauser Nachrichten: Herr Germann, ein wie echter Schweizer sind Sie?
Hannes Germann: Ein waschechter. Soweit ich das zurückverfolgen kann.
Wie sieht dies bei Ihnen aus, Herr Fehr?
Hans-Jürg Fehr: Einer meiner Urgrossväter ist als Schuhmacher von Tuttlingen nach Stein am Rhein eingewandert.

Sie haben damit beide die Frage nach dem Schweizer-Sein mit Ihrer Abstammung beantwortet. Die Frage liesse sich auch anders beantworten. Was macht für Sie, Herr Fehr, das Schweizer-Sein aus?
Fehr: Die Frage war gerissen (lacht). Nein, selbstverständlich ist die Abstammung auf viele Generationen zurück nicht der einzige Massstab dafür, ob jemand sagen kann: Ich bin Schweizer. Das Wesentliche ist, dass jemand in diesem Land aufgewachsen ist, hier zur Schule ging und ausgebildet wurde, dass jemand die Sprache des Landesteils kann und dass er sich hier wohl fühlt. Ganz wichtig ist, dass jemand ein Heimatgefühl für dieses Land empfindet. Dieses Gefühl kann jemand auch haben, wenn er einen anderen Pass hat.

Konkreter zur Abstimmung: Finden Sie die Kriterien vernünftig, nach welchen entschieden wird, wer sich erleichtert einbürgern lassen kann?
Fehr: Ja, die Kriterien erscheinen mir vernünftig. Zudem sind sie erprobt. In 14 Kantonen findet die erleichterte Einbürgerung bereits statt.

Was macht das Schweizer-Sein für Sie aus, Herr Germann?
Germann: Es geht dabei um Heimat, man fühlt sich wohl und eingebunden in einem Land. Man hat Rechte und Pflichten, trägt Verantwortung für die Gemeinschaft. Man kann sich allerdings auch für das Gemeinwohl einsetzen, wenn man einen anderen als den Schweizer Pass hat. Und für Leute, die schon länger hier leben und sich assimilieren, ist die Einbürgerung bereits heute ohne weiteres möglich, um zum Thema der Abstimmung zu kommen. Die Einbürgerung wurde in den letzten Jahren je nach Kanton stark erleichtert und vereinfacht. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn die geforderte Integrationsleistung erbracht ist, ist es auch richtig, wenn jemand den Schweizer Pass erhält.

Bei der konkreten Abstimmungsvorlage haben Sie aber Bedenken, Herr Germann.
Germann: Ja, ich störe mich an der zu grosszügigen Definition der zwei- ten und vor allem der dritten Generation. Wenn Sie die Leute fragen, wer zur zweiten Generation gehört, ist die Antwort klar: Das sind die hier geborenen Kinder von Einwanderern. So war das auch bei der letzten Vorlage 1994 definiert. Gemäss neuer Definition zählt jeder zur zweiten Generation, der fünf Jahre die obligatorische Schule in der Schweiz besucht hat. Ich könnte auch damit noch leben, denn es gibt für die Voraussetzung zur erleichter- ten Einbürgerung der zweiten Generation ausreichend hohe Zusatzhürden. Aber warum kann man nicht einfach ehrlich sein und sagen, was gemeint ist?

Also veranlasst Sie ein begriffliches Problem dazu, sich gegen die Vorlagen auszusprechen?
Germann: Ich habe mich in der Schlussabstimmung im Ständerat noch enthalten, da ich im Grundsatz für eine Erleichterung bin und daher kein falsches Signal setzen wollte. Aber mich stört nun die Tatsache, dass die Leute bei der Generationendefinition von anderen Voraussetzungen ausgehen. Dazu kommt die Kaskade, welche die Definition der zweiten bei der dritten Generation nach sich zieht. Ein konkretes Beispiel: Eine junge Frau kommt in die Schweiz. Sie hat eine Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung und geht fünf Jahre hier zur Schule. Dann heiratet sie wiederum einen Mann aus einer fremden Kultur oder wird vielleicht gar verheiratet. Die Kinder aus dieser Ehe gelten dann bereits als dritte Generation. Sie erhalten – obwohl die Eltern nach wie vor Ausländer sind – per Automatismus den Schweizer Pass. Sozusagen aufgezwungen. Wie man in diesem Fall nach vielleicht acht, neun Jahren von dritter Generation sprechen kann, ist mir schleierhaft.
Fehr: Ich möchte auf den Begriffen Secondo und dritte Generation bestehen. Jemand, der hier als Kind von Einwanderern den grössten Teil seiner Schulzeit verbracht hat, ist zweite Generation, seine Eltern erste, seine Kinder dritte.
Germann: Fünf Jahre sind einfach keine Generation. Der Begriff wird massiv umgedeutet. Mit diesem Paradigmenwechsel habe ich Mühe. Das Schweizer Parlament hat es nicht nötig, hier die Fakten zu vernebeln.

Herr Fehr, Sie würden aber zustimmen, dass der Begriff der zweiten Generation relativ grosszügig ausgelegt wird?
Fehr: Im Gegenteil. Ein Teil der Secondos kommt nicht in den Genuss dieser Erleichterungen, weil sie nicht fünf Jahre hier in die Schule gingen oder nicht zwischen 14 und 24 Jahre alt sind. Nur in diesem Alter können sie sich erleichtert einbürgern lassen.
Germann: Der Filter ist heute doch nicht wesentlich anders. Es gelten zwölf Jahre als Wohnsitzfrist vor der Einbürgerung, und die Jugendjahre zählen doppelt. Damit gibt es im Grossen und Ganzen keine Probleme.
Fehr: Wenn es gleich ist, dann könnten Sie ja auch dafür sein.
Germann: Nein, die heutige Regelung ist ehrlicher, da niemand von zweiter oder dritter Generation spricht.

Bei der zweiten Vorlage geht es, wie auch bereits kurz angesprochen, um den Bürgerrechtserwerb durch Geburt bei der dritten Generation. Ist dieser Automatismus ohne Bekenntnis zur Schweiz nicht falsch, angesichts der Tatsache, dass sich die Schweiz als Willensnation definiert?
Fehr: Es ist nicht gut möglich, dass sich jemand bei der Geburt zur Schweiz bekennt. Das müssen die Kinder von Schweizerinnen und Schweizern auch nicht. Hier würde einfach ein neuer Tatbestand geschaffen: Wer in diesem Land zur Welt kommt, bekommt unter den erwähnten Bedingungen das Bürgerrecht. Eine Regelung, die es in vielen Ländern schon lange gibt. Dazu kommt, dass die Eltern den Schweizer Pass für ihr Kind ablehnen können. Das Kind kann dann bei Volljährigkeit selber neu entscheiden. Das ist mir ganz wichtig, denn Hannes Germann sprach zuvor von Einbürgerungszwang. Es gibt keinen Zwang. Grundsätzlich steht hinter der zweiten Vorlage die Idee, dass Boden statt Blut für das Bürgerrecht entscheidend ist. Ich finde das richtig, denn die betroffenen Personen sind nun wirklich Einheimische.

Herr Fehr sagt, diese Personen der dritten Generation seien wirklich Einheimische. Ich nehme an, das sehen Sie anders, Herr Germann?
Germann: Nicht in allen Fällen. Es gibt viele, die integrieren sich rasch sehr gut. Doch ich habe zuvor ausgeführt, dass die automatische Einbürgerung auch bei Kindern gilt, deren Eltern keinen Integrationsbeweis erbracht haben. Dann zwingen wir diesem Kind den Schweizer Pass per Automatismus auf. Die Eltern können den Schweizer Pass zwar ablehnen. Ich weiss wirklich nicht, ob wir es nötig haben, Menschen das Bürgerrecht aufzuzwingen. Mit unserem Einbürgerungsautomatismus produzieren wir zudem Doppelbürger am laufenden Band. Wenn wir als Schweizer auswandern, müssen wir uns auch entscheiden, ob wir Schweizer bleiben oder ein anderes Bürgerrecht annehmen wollen. Ein Doppelbürgerrecht ist letztlich doch Rosinenpickerei. Wollen wir das wirklich noch fördern?
Fehr: Ich bin total anderer Meinung. In meiner persönlichen und politischen Umgebung spriessen Doppelbürger derzeit nur so aus dem Boden. Alle, die noch eine italienische Grossmutter haben, tauchen plötzlich mit einem EU-Pass auf. Der zweite Vizepräsident des Nationalrates, Sohn eines Polen, Claude Janiak, ist jetzt auch Pole, hat also auch einen EU-Pass. Nationalrätin Barbara Haering ist auch Kanadierin, weil sie dort geboren wurde. Das Doppelbürgerrecht ist in den USA oder Kanada der Normalfall. Italien und viele europäische Länder kennen es auch.
Germann: Es ist aber eine Tatsache, dass wir den hier geborenen Ausländern das Bürgerrecht per Automatismus aufzwingen, damit ihnen die ursprüngliche Staatsbürgerschaft nicht aberkannt wird. Sie können im Prinzip ja nichts dafür, dass sie zusätzlich noch den Schweizer Pass erhalten. So jedenfalls hat die frühere Bundesrätin Ruth Metzler die Lösung mit dem Automatismus begründet. Herr Fehr hat mit Italien schon Recht. Deutschland und Österreich hingegen sind sehr restriktiv. Ihren Bürgerinnen und Bürgern droht der Verlust ihres Passes, wenn sie sich in einem anderen Land freiwillig einbürgern lassen.
Fehr: In der Tat ist das deutsche Einbürgerungsrecht restriktiv. Darum hat das Land auch die tiefste Einbürgerungsquote, sogar noch eine tiefere als wir.
Germann: Das kann ich bestätigen. Ich kenne gut integrierte Deutsche. Die wollen den Schweizer Pass nicht, damit sie den EU-Pass behalten können. Dafür habe ich volles Verständnis. Sie sind bei uns trotzdem gern gesehen und voll integriert.

Ist der automatische Bürgerrechtserwerb der dritten Generation denn überhaupt noch wichtig, wenn künftig die zweite Generation sich erleichtert einbürgern lassen könnte? Ist also bei einem Ja zur ersten Vorlage die zweite Vorlage überhaupt noch nötig?
Fehr: Natürlich, denn es wird nicht die Familie erleichtert eingebürgert, sondern nur das neu geborene Kind wegen seiner sehr guten Integrationsaussichten.
Germann: Mich stört, dass mit den Vorlagen die Einbürgerung gegen den Anfang des Integrationsprozesses verschoben wird. Man gibt den Joker der Einbürgerung zu früh aus den Händen.
Fehr: Jemand, der in die Schweiz eingewandert ist, der muss zuerst eine Integrationsleistung von null bis hundert erbringen. Da bin ich einverstanden. Bei anderen aber, die einen grossen Teil ihres Lebens hier verbracht haben oder sogar hier geboren werden, ist Integration keine willentliche Leistung, sondern etwas, das einfach passiert.

Einen heiklen Punkt haben wir noch nicht angesprochen. Spielt es eine Rolle, wie fremd die Kultur ist, aus der jemand stammt?
Fehr: Es darf keine Rolle spielen, aus welcher Kultur jemand ursprünglich stammt. Das wäre sonst eine Diskriminierung.
Germann: Da bin ich einverstanden. Sicher integrieren sich Menschen aus Nachbarländern rascher. Das soll aber nicht ausschliessen, dass auch andere Menschen Schweizer werden können. Es ist daher wichtig, dass wir für alle die gleichen Kriterien anwenden.
Fehr: Auch mir geht es um die Rechtsgleichheit. Selbstverständlich ist es nicht für alle gleich einfach, sich zu integrieren.
Hans-Jürg Fehr: Die Kriterien zur Einbürgerung erscheinen mir vernünftig. Zudem sind sie erprobt
Hannes Germann: Die heutige Regelung der Einbürgerung ist ehrlicher