Schaffhauser Nachrichten: «Schildbürgerstreich erster Güte»

Die Gemeinden befürchten, dass die Kosten für die Verschärfungen im Asylwesen an ihnen hängen bleiben. «Es ist die berechtigte Angst da, dass sich der Bund aus der Affäre zieht», sagt Hannes Germann, Präsident des Gemeindeverbands.

Von Denise Lachat

Roger Hochreutener ist wütend und sprachlos über «die Sparmassnahme auf dem Buckel der Gemeinden». Der Grund für den Ärger des Sekretärs des Verbands der St. Galler Gemeindepräsidenten: Im März informierte der Direktor des Bundesamts für Migration (BFM), Mario Gattiker, die Grenzkantone Thurgau und St. Gallen über die bevorstehende Praxisänderung des Bundes bei Mehrfachgesuchen von Dublin-Fällen. Da vor allem Asylbewerber aus Tunesien wiederholt in die Schweiz einreisten, obwohl ihr Gesuch bereits abgelehnt war, schob der Bund einen Riegel vor: Mehrfachgesuche von Asylbewerbern aus sicheren Drittstaaten sollen formlos abgeschrieben werden. Die Änderung wurde im April in Kraft gesetzt.

In der Praxis heisst das, dass die Betroffenen keinen Zugang zu den Empfangszentren mehr erhalten und für sie kein Verfahren eröffnet wird. Wenn sie aber nicht ausreisen oder ausgeschafft werden können, sind die Gemeinden trotzdem zur Leistung von Nothilfe verpflichtet; so will es das Gesetz gemäss einem Entscheid des Bundesgerichts. Ohne Verfahrenseröffnung wird beim Bund aber keine Zahlung einer Nothilfepauschale mehr ausgelöst: Die Kosten verbleiben bei den Kantonen und Gemeinden.

Verband wird sich wehren
Skeptisch beurteilt diese Neuerung auch der Präsident des Schweizer Gemeindeverbands, Hannes Germann (SVP) – zumal sie gemäss dem jüngsten Beschluss des Nationalrats von den Dublin-Fällen auf sämtliche unbegründeten Mehrfachgesuche ausgeweitet werden soll. Möglicherweise sei diese Praxisänderung kontraproduktiv, sagt Germann, der Schaffhausen im Ständerat vertritt. Was sie in der Praxis genau bedeute, müsse sich erst noch weisen. Wenn es aber bloss eine Kostenverschiebung vom Bund zu den Gemeinden gebe, wäre das «ein Schildbürgerstreich erster Güte», sagt Germann. Alarmiert sind die Gemeindevertreter auch angesichts der möglichen finanziellen Konsequenzen jenes Nationalratsentscheids, der sämtlichen Asylbewerbern die Sozialhilfe streichen und sie auf Nothilfe setzen will. Germann sagt: «Es besteht die berechtigte Angst, dass sich der Bund zulasten der Gemeinden und Kantone aus der Affäre zieht.» Dagegen werde sich der Gemeindeverband wehren, kündigt Germann Widerstand an. Von dramatischen finanziellen Belastungen spricht auch Hochreutener. Dass künftig nicht nur die abgewiesenen, sondern generell alle Asylbewerber weniger Geld erhalten sollen, entlastet die Gemeinden nämlich nicht, falls der Bund das heutige Finanzierungssystem beibehält. Im Gegenteil: «Wenn der Bund weiterhin bloss eine Pauschale pro Nothilfeempfänger bezahlt, können wir die tatsächlich anfallenden Kosten nicht mehr tragen», sagt Hochreutener. Bereits heute könne das Nothilfedefizit nur deshalb ausgeglichen werden, weil die St. Galler Gemeinden einander solidarische Ausgleichszahlungen leisteten.

«Das ist kontraproduktiv»
Eingeführt wurde die Nothilfe mit dem Ziel, Asylbewerber mit Nichteintretensentscheid und abgewiesene Gesuchsteller zu einer möglichst raschen Ausreise zu bewegen. Doch jene Asylbewerber, die in einem Verfahren sind, bleiben unter Umständen während Jahren in der Schweiz. In St. Gallen beträgt die Pauschale pro Nothilfefall 4000 Franken. «Damit können wir niemandem während Jahren Unterkunft, Verpflegung und medizinische Leistungen bezahlen», sagt Hochreutener.

Noch ist nicht klar, wie die vom Nationalrat beschlossene Nothilfe genau finanziert und in den Kantonen umgesetzt würde. «Seltsam» sei der Entscheid allemal, sagt Walter Leimgruber, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM). Denn bei einer Umstellung auf ein generelles Nothilferegime fielen die Tages- und Betreuungsstrukturen für alle Asylbewerber weg – auch für jene, deren Gesuch gutgeheissen werde. Dass sie während des Verfahrens sich selbst überlassen blieben, sei keine gute Voraussetzung für eine spätere erfolgreiche Integration. Im Gegenteil: «Das Risiko, dass noch mehr Personen untertauchen, steigt. Das ist kontraproduktiv», sagt der EKM-Präsident. Der Nationalrat habe viel Zeit auf Symbolpolitik verwendet, damit aber nichts gelöst. «Das wirklich drängende Problem ist die Verfahrensdauer.»

Von Drohung unbeeindruckt
Dass die Umstellung auf Nothilfe künftige Asylbewerber abschrecken könnte, glaubt Leimgruber nicht. «Das Argument ist zum Lachen: Diese Menschen riskieren oftmals ihr Leben bei der Überfahrt nach Europa.» Alle Länder Europas hätten ihr Asylrecht verschärft. «Das Resultat ist praktisch gleich null.» Die vom Nationalrat beschlossenen Änderungen kommen im Herbst vor den Ständerat. Germann versichert, dass dieser die Fragen sehr genau prüfen werde. Von den Drohungen seiner Parteileitun g, eine Volksinitiative zu lancieren, falls der Ständerat den Nothilfebeschluss des Nationalrats nicht mitträgt, lässt sich Germann nicht beeindrucken.