
Der SVP haftet im Krieg das Image der Russland-Freundin an. Das hängt mit Äusserungen von Nationalrat und «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel zusammen. Viele in der SVP wollen damit aber nichts mehr zu tun haben.

Das Image der Putin-und-Russland-Versteher-Partei klebt hartnäckig an der SVP. Das hat stark zu tun mit den russlandfreundlichen und ukrainekritischen Auftritten von Roger Köppel.
Zwar hat der Nationalrat im März seinen Rücktritt auf Ende 2023 angekündigt. Und seine Ansichten zum Krieg gibt er in der «Weltwoche», auf «Weltwoche Daily» und auf Twitter in erster Linie als Journalist zum Besten.
Dennoch bleibt es an der SVP haften, wenn Roger Köppel wie im April nach Russland reist und Maria Lwowa-Belowa interviewt. Der internationale

Strafgerichtshof hat gegen sie und gegen Präsident Wladimir Putin Haftbefehle erlassen wegen der Verschleppung Tausender ukrainischer Kinder nach Russland. «Die Vorwürfe sind absurd, jenseits jeder Wirklichkeit», sagte sie im Interview, in dem sie auch über Feminismus sprach und über Putin als «echten Vater Russlands».
In der öffentlichen Wahrnehmung verheerender war das Selfie, das Köppel mit Kreml-Propagandist Wladimir Solowjow schoss. Es zeigt ihn – gutgelaunt – mit jenem Mann, der in seiner Talkshow «Der Abend» unter anderem zur Invasion der Schweiz, Italiens und Polens aufrief.
Dazu fällt auf, dass Köppel Russland und Putin persönlich kaum kritisiert. Für ihn sei der Einmarsch «genauso kriminell wie für Sie», sagt er zwar in seinen Sendungen. Er spricht aber stets von einem «provozierten Krieg». Und neuerdings erklärt er auf «Weltwoche Daily», Russland führe einen Krieg «aus der strategischen Defensive heraus».
Blocher sieht die Kriegsschuld nur bei Putin und Russland
Anders als Köppel nimmt nun aber ein Schwergewicht der Partei eindeutig Putin und Russland in die Verantwortung: Christoph Blocher, 82, Begründer der modernen SVP und Doyen der Partei. «Die Ukraine ist zwar sehr korrupt und hat eine fragwürdige Demokratie», sagt Blocher im Interview. «Sie hat aber – zumindest vordergründig – nichts Völkerrechtswidriges getan. Der Angriff ist ein russischer Angriff. Und das ist zu verurteilen.»

Quelle: Marcel Bieri / Keystone
Besonders auffällig: Blocher distanziert sich von Köppels Lieblingsargument, die Nato und die USA hätten Russlands Krieg provoziert. «Ich lasse mich auch nicht auf den Streit ein, dass die USA diesen Krieg provoziert haben sollen», sagt Blocher.
Er vergleicht Putin neuerdings mit Diktator Josef Stalin, der in der Sowjetunion von 1927 bis 1953 herrschte. Die Denkweise Putins sei «nicht so verschieden» von jener Stalins. Stalins Säuberungen kosteten bis zu 60 Millionen Menschen das Leben. Stalin sei zwar «um einiges krimineller» gewesen, als es Putin sei, sagt Blocher. «Doch es ist ein Irrsinn, dass er diesen Krieg mit der Ukraine begonnen hat.»
Blocher warnt nun vor weiteren Angriffen Putins. «Ich befürchte, dass es ihm nicht nur um einen Krieg gegen die Ukraine geht», sagt er. Gefährdet sieht er Polen, Usbekistan und die baltischen Staaten. «Passt auf», sagt er.
Vor 23 Jahren, am 4. April 2000, hatte Blocher das 36-seitige Manifest «Freiheit statt Sozialismus» publiziert. Damals thematisierte er die Verbrechen des Kommunismus vor allem unter Stalin. Der Grund dafür: Die Linke hatte die SVP in die rechtsextreme, totalitäre Ecke gestellt.
Blocher thematisierte darin den Holodomor, den Mord durch Hunger, den Stalin zwischen 1932 und 1933 an der ukrainischen Bevölkerung verübte. Es starben bis zu sieben Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer.
«Die Schlüsselfrage des beginnenden neuen Jahrhunderts ist die Frage nach der Freiheit», bilanzierte Blocher im Manifest. Wie recht er spätestens mit dem Krieg Russlands in der Ukraine bekommen sollte, ahnte er nicht.
Blochers Positionierung im Krieg dürfte viele freuen in der SVP. Der Verdruss ist gross über das SVP-Etikett «Russland-Freund», das die Partei Köppel verdankt. «Total verrannt» habe sich Köppel, heisst es in SVP-Kreisen. Viele sind es leid, als Putin-Versteher zu gelten – und freuen sich darüber, dass Köppel die Politik verlässt. Auch wenn das offen niemand sagen mag.
In der SVP selbst gilt heute als offizielle Sprachregelung zum Krieg, die Schweiz müsse strikt neutral bleiben zwischen Russland und der Ukraine. Damit gelingt es der Spitze, die Partei zusammenzuhalten. Vor allem jüngere SVP-Wählende driften zu Putin ab. Sie sehen in ihm ein Vorbild gegen Wokeness, die gesteigerte Form der Political Correctness. Es sind Kreise, die oft aus dem Milieu der Coronaskeptiker stammen.
Lukas Reimanns Kampf für Freiheit und Demokratie

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Die Mehrheit in der SVP dürfte sich aber – persönlich – hinter die Ukraine stellen. Besonders deutlich tut dies SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG). «Ich stehe zu hundert Prozent hinter den Ukrainern», sagt er. «Ich vertrete seit über 20 Jahren Werte wie Freiheit und Demokratie – und verrate diese in einem solchen Krieg bestimmt nicht.» Selbst Russland-Fans könnten ihm nicht erklären, «wann und wie die Nato Russland zu einem Krieg provoziert haben sollte».
Reimann war mehrmals in der Ukraine und berichtet durchaus kritisch auch von Korruptionsfällen im Land. Im Krieg half er allerdings Lastwagen mit Hilfsgütern in die Ukraine zu füllen, um der Bevölkerung zu helfen.
Reimann hat, wie SVP-Nationalrat Andreas Aebi (BE), das Postulat der grünen Nationalrätin Natalie Imboden (BE) zum Holodomor unterzeichnet. Darin fordert sie, dass der Nationalrat diese «Tötung durch Hunger» gegen die ukrainische Zivilbevölkerung als Völkermord anerkennt. «Ich finde Holodomor eine Tragödie», sagt Aebi. «Bauernfamilien wurden ausgehungert durch die Rote Armee. Ich gehe davon aus dass das auch einige Fraktionsmitglieder so sehen.»
Aebi war 2021 als Nationalratspräsident in die Ukraine gereist. In seiner Rede zur von Russland besetzten Krim hatte er betont, diese bleibe für die Schweiz Teil der Ukraine. Ein halbes Jahr später marschierte Putins Russland in der Ukraine ein.
Steinemann über das ethische Koordinatensystem der SVP

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Unmissverständliche Worte wählen auch SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann (ZH) und SVP-Ständerat Hannes Germann (SH). «Niemand in der SVP findet Putin und seinen Einmarsch gut», sagt Steinemann. «Putin ist ein Autokrat, ein Kriegstreiber. Wir haben in der SVP dasselbe ethische Koordinatensystem wie alle anderen Parteien auch.»
Germann hält fest, seine Empathie gelte der «leidgeprüften ukrainischen Bevölkerung». Russische Panzer hätten das zarte Pflänzchen Demokratie überrollt. «Das ist eine Tragödie für Europa.» Russland drohe wieder in die Zeit der Sowjet-Diktatur zurückzufallen. «Schon wie Russland mit seinen Dissidenten umgeht, ist ungeheuerlich», sagt er. «Dazu der brutale Angriffskrieg auf einen Nachbarstaat. Das kann man nicht wegschreiben.»
Einen gemeinsamen Kritikpunkt haben aber auch die Ukraine-Befürworter: Sie sehen die Rolle von Präsident Wolodimir Selenski kritisch. «Viele in der SVP sehen in ihm ein Problem – auch ich», sagt Reimann. Das hat damit zu tun, dass Selenskis Name als Nutzer von Offshore-Firmen in den Pandora-Papers auftauchte.
«Auch ihm darf man nicht blind vertrauen», sagt Hannes Germann. «Aber er ist der gewählte Präsident. Er muss sein Land durch den Krieg führen und es vor einem feindlichen Aggressor zu schützen versuchen.»