[Der Bund] Entscheid im Ständerat; «Es war ein bisschen ein Hüftschuss» – keine drastischen Kürzungen bei Entwicklungshilfe

Die kleine Kammer verzichtet auf umfangreiche Kürzungen bei der Entwicklungs­hilfe zugunsten der Armee. Für die Länder des Südens steht trotzdem weniger Geld zur Verfügung.

Von Charlotte Walser

Der Ständerat ist seinen Anträgen gefolgt: Aussenminister Ignazio Cassis während der Debatte zur Entwicklungshilfe. Foto: Alessandro della Valle (Keystone)
Der Ständerat ist seinen Anträgen gefolgt: Aussenminister Ignazio Cassis während der Debatte zur Entwicklungshilfe. Foto: Alessandro della Valle (Keystone)

Soll die Schweiz die Entwicklungshilfe zugunsten der Armee kürzen? Sollen Hilfsgelder an Schweizer Unternehmen in der Ukraine fliessen? Und: Wirkt Entwicklungshilfe überhaupt? Diese Fragen haben am Mittwoch den Ständerat umgetrieben. Er hatte über die Strategie der internationalen Zusammenarbeit zu entscheiden, inklusive Verpflichtungskrediten. Die Ausgangslage war: verworren.

Der Bundesrat beantragt dem Parlament für die nächsten vier Jahre Kredite von insgesamt 11,3 Milliarden Franken für die humanitäre Hilfe, die Entwicklungs­zusammenarbeit sowie die Förderung von Frieden und Menschenrechten. Das ist nominal zwar etwa gleich viel wie in der aktuellen Periode. 1,5 Milliarden aus dem Topf sind nun aber für die Ukraine vorgesehen. Damit steht weniger Geld für die Länder des Südens zur Verfügung.

In der Vernehmlassung war das auf Kritik gestossen – nicht nur bei Hilfswerken, SP und Grünen. Auch die Mitte-Partei und die GLP forderten, dass die Ukraine-Hilfe aus anderen Mitteln finanziert wird. Doch der Bundesrat hielt an seinem Plan fest und schickte die Vorlage im Mai ans Parlament.

Hilfe zugunsten von Schweizer Unternehmen

Im Juni beschloss er nachträglich, Gelder in die wirtschaftliche Zusammenarbeit umzuleiten – einen Teil davon zugunsten von Schweizer Unternehmen. Ein Novum. Der Bundesrat begründete dies damit, dass dem Schweizer Privatsektor beim Wiederaufbau der Ukraine eine wichtige Rolle zukommen solle.

Die Hilfswerke reagierten empört darauf. Auch die zuständige Kommission des Ständerates hatte Fragen, zumal eine Zusammenarbeit mit Schweizer Unternehmen in dieser Form im geltenden Recht nicht vorgesehen ist. Der Bundesrat will deshalb in den kommenden Monaten eine Rechtsgrundlage dafür schaffen. SP-Ständeräte beantragten dem Rat, die Verschiebung der Mittel abzulehnen und die Hilfe aufzustocken. Doch diese Anträge waren chancenlos.

Beschluss vom Sommer umsetzen

Im Zentrum der Debatte stand ein anderes Anliegen: FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann plädierte dafür, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen. Der Grund: In der Sommersession hatte der Ständerat bei der Beratung der Armeebotschaft zusätzliche vier Milliarden Franken für die Armee gesprochen. Auf Antrag Mühlemanns beschloss der Ständerat damals, die Hälfte davon bei der Entwicklungshilfe zu kompensieren.

Der Nationalrat hat noch nicht darüber entschieden. Doch Mühlemann forderte nun, dass der Bundesrat die Verpflichtungskredite für die Entwicklungshilfe den Armeebeschlüssen anpasse. Der Ständerat habe sich in der Sommersession dafür entschieden, die politischen Prioritäten zu verschieben, sagte er.

FDP-Präsident Thierry Burkart pflichtete Mühlemann bei: «Wir haben Krieg in Europa.» Die Schweiz sei davon auch betroffen, und zwar bereits jetzt – «nicht erst dann, wenn die Panzer am Rhein stehen». Deshalb sei es notwendig, mehr in die Armee zu investieren.

Ein wenig durchdachter Entscheid

Mitte-Vertreter Beat Rieder räumte ein, auch er habe im Sommer Mühlemanns Antrag zugestimmt. Inzwischen sei aber klar geworden, dass solche Kürzungen die internationale Zusammenarbeit nachhaltig schädigen würden. Die Entwicklungshilfe müsse ihren Sparbeitrag leisten, aber nicht in diesem Umfang. Der Entscheid vom Juni sei «ein bisschen aus der Hüfte geschossen» gewesen, sagte Benedikt Würth (ebenfalls Mitte).

SVP-Ständerätin Esther Friedli sah das anders. Sie beantragte als Kompromiss, auf eine Zusatzschlaufe zu verzichten und den Verpflichtungskredit für die Entwicklungshilfe und die humanitäre Hilfe gleich zu kürzen – aber nicht um zwei Milliarden, sondern um 800 Millionen Franken. Friedli argumentierte, die Bürgerinnen und Bürger würden es nicht verstehen, wenn so viel Geld ins Ausland fliesse, während im Inland gespart werden müsse. Sie stellte zudem die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit grundsätzlich infrage. Auch Hannes Germann (SVP) und Hans Wicki (FDP) schlugen in diese Kerbe. Laut Fachleuten sei nur die Hälfte der Projekte nachhaltig, sagte Wicki.

Sowohl Brandschutz als auch Feuerwehr

SP-Vertreterin Franziska Roth widersprach. Die Wirkung könne heute gut gemessen werden, sagte sie. Untersuchungen zeigten, dass die Hilfe das Leben der Menschen nachhaltig verbessere. Auch Matthias Michel (FDP) wies darauf hin, dass etwa die extreme Armut und die Kindersterblichkeit stark zurückgegangen seien.

Aussenminister Ignazio Cassis rief dazu auf, Armee und Entwicklungszusammenarbeit nicht gegeneinander auszuspielen. «Wir brauchen sowohl den Brandschutz als auch die Feuerwehr.» Am Ende lehnte der Ständerat Mühlemanns und Friedlis Antrag deutlich ab. Das verändert auch die Ausgangslage für die Armeedebatte von kommender Woche im Nationalrat: Dass ein schnelleres Wachstum der Armeeausgaben mit zwei Milliarden aus der Entwicklungshilfe finanziert wird, ist unwahrscheinlich geworden.

Wie viel Geld tatsächlich für Entwicklungshilfe ausgegeben wird, entscheidet sich freilich in den jährlichen Budgetberatungen im Dezember. Mehrere Ratsmitglieder liessen durchblicken, dass dort Kürzungen möglich blieben.