Der Bund: «Ich verstecke mich nicht hinter einem Amt»

Sein Text zur Masseneinwanderungsinitiative im SVP-Extrablatt sei ein «Grenzfall», gibt Hannes Germann zu. Doch auch als Ständeratspräsident werde er seine Meinung nicht verleugnen.

Von Franziska Kohler

Herr Germann, fühlen Sie sich in erster Linie als SVP-Politiker oder als Ständeratspräsident?
Als Ständeratspräsident, voll und ganz. Aber natürlich bin ich trotzdem immer noch ein Standesvertreter, auch wenn ich eine neue Funktion habe und innerhalb des Rates keine Position mehr beziehen kann.

Haben Sie an Ihr Amt als Ständeratspräsident gedacht, als Sie den Essay fürs SVP-Extrablatt zur Masseneinwanderungsinitiative verfassten?
Nein. Im Artikel zum Thema «Wie viel Wachstum wollen wir?» mache ich mir Gedanken um Zukunftsfragen, die unser Land betreffen. Ich habe ihn verfasst, als ich noch nicht Ratspräsident war. Ich gebe im Text ohnehin keine Stimmempfehlung ab, ich schreibe: «Wir dürfen auf die Urteilsfähigkeit des Schweizer Volkes vertrauen.» Dazu braucht es aber eine vertiefte und sachliche Diskussion – und die will und darf ich auch als Präsident anregen.

Sie tun dies aber in einer Parteipublikation.
Das Extrablatt wurde an alle Schweizer Haushalte versandt. Und es ist nicht gänzlich verboten, sich im Präsidialjahr zu politischen Themen zu äussern. Mein Text richtet sich an jene, die sich Gedanken über die Zuwanderung machen. Auch als Ständeratspräsident darf ich die Ängste der Menschen ernst nehmen.

Der Ständerat jedenfalls sagte deutlich Nein zur Initiative, mit 37:5 Stimmen.
Ich habe mich nicht zur Initiative geäussert, sondern zur Frage, wie viel Wachstum die Schweiz verträgt. Der Text steht in einem grösseren Zusammenhang. Wir haben eine enorme Zuwanderung, aber keinerlei Möglichkeit, das Ausmass zu steuern. Einige, zum Beispiel die Ecopop-Initianten, wollen praktisch null Zuwanderung, die Wirtschaft will volle Freiheit. Das Volk muss nun entscheiden.

Politiker von links bis rechts kritisieren Ihren Artikel. Der Ständeratspräsident müsse die Mehrheitsmeinung der kleinen Kammer vertreten, sonst werde das Amt unglaubwürdig.
Als Ratspräsident hat man das Recht und die Pflicht, politische Fragen zu diskutieren. Jeder weiss, wo ich parteipolitisch stehe, jeder kann meine Äusserungen richtig einordnen. Ich bin dem Rat gegenüber zu hundert Prozent loyal, aber ich kann mich als Mensch nicht verleugnen, vor allem wenn es um Grundsatz- oder Gewissensfragen geht. Das ist hier der Fall. Ich verstecke mich nicht hinter einem Amt – schon gar nicht, wenn ich es nur für ein Jahr innehabe.

Dann würden Sie den Text nochmals so publizieren?
Ich stehe zum Artikel. Die Publikation im Extrablatt ist vielleicht ein Grenzfall. Mit der Kritik muss und kann ich leben. Die Kritiker sollten besser selber klarmachen, wo sie im Bezug zur Masseneinwanderung stehen. Doch wer Angst vor einer inhaltlichen Diskussion hat, bricht wohl lieber einen solchen Streit vom Zaun.

Werden Sie in Zukunft also zurückhaltender kommunizieren?
Ich werde meine Meinung auch im Präsidialjahr nicht verleugnen, aber ich werde sie in den Hintergrund stellen. Ich werde im nächsten Jahr auch keine Abstimmungskämpfe führen, wir haben genug andere Exponenten, die sich dazu berufen fühlen und das gut machen. Die Parteileitung akzeptiert das.

Widerwillig?
Ob widerwillig oder nicht spielt keine Rolle.

Der «SonntagsBlick» spekuliert, dass Sie von Ihrer Partei unter Druck gesetzt wurden, den Text fürs Extrablatt zu verfassen.
Nein. Zu Spekulationen nehme ich ohnehin keine Stellung.