SDA-MELDUNG Bern; Mittwoch, 21. September 2022 13h06
Landesversorgung: Keine neuen Biodiversitätsvorgaben und dafür ein Massnahmenpaket, welches den Selbstversorgungsgrad erhöhen soll: Diese Rezepte für mehr Versorgungssicherheit sieht der Ständerat vor. Mit 30 zu 15 Stimmen beschloss er am Mittwoch, die neue Mindestvorgabe von 3,5 Prozent an Biodiversitätsförderflächen auf der Ackerfläche aus dem ökologischen Leistungsnachweis in der Direktzahlungsverordnung zu streichen. Zudem wurde der Bundesrat mit 31 zu 13 Stimmen bei einer Enthaltung beauftragt, ein Massnahmenpaket auszuarbeiten, welches die Abhängigkeit der Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit ausländischen Lebensmitteln verringert. Über beide Motionen muss noch der Nationalrat entscheiden. Die Anliegen dürften im Rahmen der künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) erneut zur Sprache kommen. Nichts wissen wollte der Ständerat davon, zusätzliche Brachflächen und Biodiversitätsförderflächen für den Ackerbau bereitzustellen.
Schutzstatus: Auch die Flüchtlinge aus der Ukraine waren ein Thema in der Sonderdebatte im Ständerat. Die SVP forderte mit weiteren Motionen, dass der Bundesrat den Schutzstatus S innerhalb der Ukraine regional differenziert anwenden soll. Für viele Ukrainer sei eine sichere Rückkehr in ihre Heimatregion im Westen, im Zentrum oder im Norden der Ukraine mittlerweile möglich, hielt Marco Chiesa (SVP/TI) fest. Justizministerin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass die Situation auf dem gesamten Gebiet der Ukraine sehr volatil sei. Der Ständerat versenkte die drei entsprechenden Motionen mit jeweils 37 Nein-Stimmen deutlich. Sie sind damit vom Tisch.
Landwirtschaft: Der Ständerat will mit Rücksicht auf Viehhalter das Ziel bei den Nährstoffverlusten aus der Landwirtschaft tiefer setzen als es der Bundesrat in einer Verordnung vorsieht. Er hat eine Motion von Johanna Gapany (FDP/FR) mit 25 zu 18 Stimmen angenommen. Die noch nicht in Kraft getretene Verordnung sieht vor, dass die Stickstoff- und Phosphor-Verluste in der Landwirtschaft bis 2030 um je mindestens zwanzig Prozent zurückgehen. Ausgangsbasis sind gemäss Verordnungsänderung die Mittelwerte der Jahre 2014 bis 2016. Der Bundesrat plädierte für ein Nein. Die vorgesehene Reduktion der Nährstoffverluste entspreche dem Auftrag der vom Parlament verabschiedeten Vorlage zur Reduktion der Risiken durch Pestizide, machte er geltend. Die Motion geht an den Nationalrat.
Dienstpflicht: Für die Armee und den Zivilschutz sollen in der Zukunft genügend Personen rekrutiert werden können. Der Ständerat hat zwei vor dem Ukraine-Krieg verfasste Berichte des Bundesrates zur Kenntnis genommen. Auch der Bürgerdienst kam aufs Tapet. Die Regierung prüft zurzeit zwei Varianten für die künftige Dienstpflicht. Bei der einen würden der Zivildienst und der Zivilschutz zusammengelegt, bei der anderen die Dienstpflicht auf Frauen ausgeweitet. Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerates (SIK-S) bevorzugt zurzeit die Zusammenlegung von Zivildienst und Zivilschutz, will aber die Dienstpflicht für Frauen nicht fallen lassen. Auch will sie, dass Frauen verpflichtet werden, an den Orientierungstagen der Armee teilzunehmen.
Barrierefreiheit: Der Ständerat will die Livestreams der Ratsdebatten für Hörbehinderte untertiteln. Er hat eine schon vom Nationalrat angenommene parlamentarische Initiative von Nationalrätin Gabriela Suter (SP/AG) mit 24 zu 16 Stimmen angenommen, entgegen dem Antrag des Ratsbüros. Dieses hätte eine Lösung bevorzugt, die es erlaubt, zwei Zwecke gleichzeitig zu erfüllen, nämlich die Übersetzung der Debatte in die Landessprachen und den Zugang für Hörbehinderte, und das zu verhältnismässigen Kosten. Maya Graf (Grüne/BL) beantragte ein Ja und verwies auf die Mitgliedschaft bei der Uno-Behindertenrechtskonvention und die zahlreichen Menschen mit Hörproblemen. Protokolle der Ratsdebatten werden heute zeitverzögert im Internet veröffentlicht.
Landwirtschaft: Der Ständerat will Landwirtinnen und Landwirten Positionierungssignale für Traktoren und Mähdrescher nicht kostenlos zur Verfügung stellen. Er hat eine Motion aus dem Nationalrat abgelehnt, mit 23 zu 20 Stimmen. Der Vorstoss ist damit vom Tisch. Die Mehrheit war der Ansicht, dass die Landwirtschaft gegenüber anderen Branchen nicht bevorzugt werden solle. Zudem seien die Lizenzen für die Benutzung der Signale relativ kostengünstig – vor allem im Vergleich zu den Beschaffungspreisen der landwirtschaftlichen Maschinen, die solche Signale empfangen können.
Flüchtlinge I: Der Ständerat will Zwangsausschaffungen nach Äthiopien und Sonderflüge für Rückführungen in dieses Land nicht verbieten. Er hat eine entsprechende Genfer Standesinitiative abgelehnt, nun entscheidet der Nationalrat. Der Kanton hatte argumentiert, dass internationale Organisationen die Lage in Äthiopien als sehr gefährlich einschätzten. Die Initiative verlangt zudem, Rückführungen auch in andere Länder zu unterlassen, in denen „Menschenrechte mit Füssen getreten werden“. Die Staatspolitische Kommission empfahl die Initiative zur Ablehnung. Die heutige Praxis bei Wegweisungen trage den Risiken für die Zurückgeführten angemessen Rechnung, hielt sie dazu fest. In Gebiete in Äthiopien, in denen Konflikte herrschten, würden nach Angaben des Staatssekretariats für Migration keine Abgewiesenen zurückgeführt.
Flüchtlinge II: Das Parlament ist gegen die zusätzliche Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge und Migranten von den griechischen Inseln. Nach dem National- hat auch der Ständerat eine Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt abgelehnt, mit 28 zu 13 Stimmen. Die Standesinitiative wurde insbesondere mit den Lebensbedingungen der Geflüchteten etwa auf der Insel Lesbos und Vorwürfen gegen die EU-Grenzschutzbehörde Frontex begründet. Eine Minderheit um Lisa Mazzone (Grüne/GE) wollte der Initiative Folge geben. Viele Städte wollten für Menschen aus griechischen Flüchtlingslagern Plätze zur Verfügung stellen, erinnerte Mazzone vergeblich an den Anstoss für die 2021 eingereichte Initiative.
Ratsbetrieb: Der Ständerat will an den Regelungen für den Zugang zu Kommissionsunterlagen nichts ändern. Er ist dagegen, dass künftig alle Ratsmitglieder die Protokolle aller Kommissionen einsehen können. Mit 26 zu 18 Stimmen bei einer Enthaltung lehnte er eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Matthias Jauslin (FDP/AG) ab. Heute haben Ratsmitglieder einzig Zugriff auf Protokolle ihrer Kommission und auf jene der Schwesterkommission, nicht aber auf Protokolle anderer Kommissionen. Jauslin begründete den Vorstoss mit Stellvertretungen in den Kommissionen. Hannes Germann (SVP/SH) ergänzte, dass Ratsmitglieder in Sachen Protokolle weniger Kompetenzen hätten als die Fraktionssekretariate. Das müsse korrigiert werden. Die Initiative ist vom Tisch.
Aussenpolitik: Der Ständerat hat von den Tätigkeitsberichten mehrerer Parlamentsdelegationen stillschweigend Kenntnis genommen. Es sind die Delegationen beim Parlamentarierkomitee der Efta und für die Beziehungen zum Europäischen Parlament, bei der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), beim Europarat, bei der Interparlamentarischen Union, der Parlamentarischen Versammlung der Frankophonie, der Parlamentarischen Versammlung der Nato und schliesslich die fünf bilateralen Delegationen für die Beziehungen zu den Nachbarstaaten.