NZZ: Der Ständerat will kein 300-Milliarden-Geschenk

Die Vollgeld-Initiative gehört in ein wissenschaftliches Seminar, aber nicht in die Bundesverfassung. Das denkt der Ständerat. Kein einziger Ständerat empfiehlt ein Ja zur Vorlage.

Von Hansueli Schöchli

Volksinitiativen haben meist sympathische Etiketten und kommen voller Versprechungen daher. Das gilt auch für die Vollgeld-Initiative des Vereins «Monetäre Modernisierung». Sie ist für das breite Publikum nur schwer verständlich, doch ihre Versprechen lassen aufhorchen: ein einmaliges Geschenk für Staat und Haushalte von etwa 300 Milliarden Franken, jährliche Zusatzerträge von 5 bis 10 Milliarden Franken, das Ende von Bankenkrisen und die Sicherheit, dass der Staat nie mehr eine Grossbank retten müsste.

Doch der Bundesrat zeigte sich undankbar: Er lehnte die Volksinitiative schnöde ab. Auch im Ständerat ging es der Initiative am Donnerstag nicht besser: Der Rat empfiehlt dem Volk ohne Gegenstimme die Ablehnung.

Die Ständeräte Ruedi Noser (FDP), Hannes Germann (SVP), und Werner Hösli (SVP), von links, diskutieren an der Herbstsession der Eidgenössischen Räte in Bern. (Bild: Peter Schneider / Keystone)
Die Ständeräte Ruedi Noser (FDP), Hannes Germann (SVP), und Werner Hösli (SVP), von links, diskutieren an der Herbstsession der Eidgenössischen Räte in Bern. (Bild: Peter Schneider / Keystone)

Private Geldschöpfung

Banknoten drucken kann nur die Nationalbank (SNB), aber den Grossteil der «Geldschöpfung» betreiben die Geschäftsbanken. Eine Bank gibt zum Beispiel Firma X einen Kredit von 1 Million Franken und schreibt der Firma diesen Betrag auf deren Konto gut. Damit ist eine Million Franken Buchgeld geschaffen. In der Praxis können die Banken nicht beliebig Geld schöpfen. Grenzen setzen ihre eigenen Risiko- und Liquiditätsüberlegungen, die Kreditnachfrage der Kunden, die Vorgaben für Reserven bei der SNB sowie Liquiditäts- und Eigenkapitalregeln.

Die Vollgeld-Initiative will die Geldschöpfung der Geschäftsbanken via Kreditgewährung verbieten und das zurzeit auf Bargeld beschränkte Monopol der Nationalbank auf Buchgelder ausdehnen. Die Geschäftsbanken dürften weiter Kredite vergeben, aber nur, wenn diese Gelder voll durch Spareinlagen (oder SNB-Darlehen) gedeckt sind. Die SNB würde den Geldkreislauf nicht mehr indirekt über den Zins steuern, sondern direkt über die Verteilung neu geschöpfter Gelder an Staat und Haushalte. Zahlungsverkehrskonti bei den Geschäftsbanken würden nicht mehr in der Bankbilanz auftauchen, sondern wie heute schon die Wertschriftendepots treuhänderisch (und unverzinslich) verwaltet.

Laut den Initianten wäre die Gefahr einer Bankschalter-Panik gebannt, Kreditexzesse würden verhindert, und eine Staatsgarantie für Grossbanken wäre hinfällig. Hinzu kämen die Milliardengeschenke für Staat und Haushalte.

Und trotz all diesen schönen Versprechen hatte der Ständerat am Donnerstag kein Musikgehör. Hier die wesentlichen Einwände aus der Ratsdebatte:

  • Kein Land der Welt hat ein Vollgeld-System. Die Folgen wären höchst ungewiss. Die Schweiz würde auf eigene Kosten Versuchskaninchen in einem riskanten Experiment spielen und würde genau das machen, was die Initianten an den Finanzmärkten kritisieren: eine Hochrisiko-Spekulation.
  • Das Vollgeld hätte die letzte Finanzkrise nicht verhindert. Bei jener Krise war eine Bankschalter-Panik in der Schweiz nicht das Thema. Der Systemwechsel könnte per saldo die Risiken sogar noch erhöhen, da Kundengelder in weniger regulierte (und verzinsliche) Kanäle ausweichen dürften.
  • Für die Kreditversorgung ist mit Problemen zu rechnen, wenn sie zentral durch die SNB statt dezentral durch die Geschäftsbanken getrieben ist.
  • Wenn die SNB Geldschöpfungsgewinne direkt an Fiskus und Bürger verteilt, sind politische Einflussnahmen auf die Notenbank zu befürchten.
  • Die Vollgeld-Initiative ist ein interessantes Gedankenexperiment. Es gehört aber in ein wissenschaftliches Seminar und nicht in die Bundesverfassung.
  • Die Schweiz hat in den letzten Jahren schon viel gemacht, um die Stabilität des Finanzsektors zu erhöhen.

Nullsummenspiele

Kaum ein Thema war im Ständerat das attraktivste Argument der Initianten: die Aussicht auf kostenlose Milliardengeschenke für Staat und Haushalte. Doch diese Versprechen beruhen auf Buchhalter-Tricks. Das 300 Milliarden-Geschenk basiert auf der Idee, dass die SNB ihr Vermögen nach dem Systemwechsel zu einem erheblichen Teil ausschütten könnte. Dummerweise würden die Schweizer damit nicht reicher; sie hätten vielleicht mehr im Portemonnaie, doch im Gegenzug wäre die Notenbank ihr Tafelsilber los. Der jährliche Geldfluss von 5 bis 10 Milliarden illustriert derweil eine Verschiebung der Geldschöpfungsgewinne von den Geschäftsbanken zur SNB. Im Ergebnis entspräche es einer Verteuerung des Bankgeschäfts, was letztlich die Kunden zu tragen hätten. Im Wesentlichen ginge es also auch hier um ein Nullsummenspiel.