Schaffhauser Nachrichten: Als Favorit gestartet – souverän gewählt

Alle Medien wollten gestern etwas vom neu gewählten Bundesrat – und auch die Parteien stellen Ansprüche. Bild Key
Alle Medien wollten gestern etwas vom neu gewählten Bundesrat – und auch die Parteien stellen Ansprüche. Bild Key)

Der neue Bundesrat heisst ­Ignazio Cassis. Nicht nur das Tessin freut sich – auch die SVP. Sie hofft auf einen Rechtsrutsch im Bundesrat.

Von sda/r

Geschafft: Der frisch gewählte Bundesrat Ignazio Cassis lässt sich feiern. Bild Key
Geschafft: Der frisch gewählte Bundesrat Ignazio Cassis lässt sich feiern. Bild Key

BERN 18 Jahre lang musste das Tessin warten, jetzt sitzt mit Ignazio Cassis wieder ein Tessiner in der Bundesregierung. Die Wahl eines Bundesrats aus der italienischsprachigen Schweiz wird von links bis rechts als Votum für den nationalen Zusammenhalt gewürdigt. Für teilweise heftige Kritik sorgt hingegen, dass mit Cassis keine Frau gewählt worden ist. Die Frauenfrage beschäftigt auch die Schaffhauser SP-­Nationalrätin Martina Munz. Es sei öffentlich infrage gestellt worden, ob Isabelle Moret überhaupt Bundesrätin hätte sein können – hat sie doch zwei kleine Kinder. Bei Pierre Maudet etwa habe aber keiner nach seinem Nachwuchs gefragt. SVP-Nationalrat Thomas Hurter ist mehr als zufrieden mit Cassis’ Wahl, etwas weniger euphorisch, aber doch hoffnungsvoll klingt es bei Parteikollege und Ständerat Hannes Germann. Der parteilose Ständerat Thomas Minder schliesslich hat gar nicht erst für Cassis gestimmt – weil dieser die Masseneinwanderungs-Initiative nicht verfassungsgetreu umsetzen wolle.

Hohe Erwartungen

Cassis tritt sein Amt im November an. In den kommenden Wochen wird er aber bereits einige Vorbereitungsaufgaben zu bewältigen haben. Vieles, was Cassis wissen muss, ist im sogenannten «Aide-mémoire für die Mitglieder des Bundesrates» geregelt. Dort steht detailliert, wie sich ein Bundesrat zu verhalten hat und welche Leistungen ihm zustehen. Die Erwartungen an den neuen Bundesrat sind gross, gerade im Tessin. Der Kanton will, dass Cassis in Bundesbern Verständnis für die Probleme des Tessins weckt, vor allem auch in Bezug auf die Grenzgänger. Und auch die Parteien werden es ihm nicht leicht machen: SVP und SP haben bereits ihre konträren Forderungen formuliert für den Fall, dass Cassis Aussenminister wird. Welches Departement er erhält, wird morgen entschieden. (sda/r.)

 

 

«In der EU-Frage will er die Reset-Taste drücken»

Von «sehr zufrieden» bis «ich habe ihn nicht gewählt» – die Reaktionen der Schaffhauser Parlamentarier auf die Wahl von Ignazio Cassis.

VON SIDONIA KÜPFER

BERN Nach nur zwei Wahlgängen stand es fest: Ignazio Cassis heisst der neue FDP-Bundesrat. «Ich bin sehr zufrieden mit der Wahl», sagt der Schaffhauser SVP-Nationalrat Thomas Hurter. Vor allem sei gut, dass keine Spielchen gespielt worden seien, meint der Linienpilot. Er habe Cassis auf mehreren USA-Reisen mit dem Parlament näher kennengelernt: «Er kann führen und entscheiden, das hat er als Fraktionspräsident gezeigt. Er ist aber auch jovial und ein ‹glatter Kerl›, und das braucht es eben in der Politik auch», lobt Hurter. Bei seinem Parteikollegen, Ständerat Hannes Germann, klingt es etwas weniger begeistert, doch auch er setzt Hoffnungen in Cassis’ Wahl: «Er hat in der Anhörung bei unserer Partei gesagt, er würde in der Europafrage den Reset-Knopf drücken. Das ist auch nötig, um den von Didier Burkhalter festgefahrenen Karren aus dem Sumpf zu ziehen.»

Sehr zwiespältige Gefühle hat Ständerat Thomas Minder (parteilos) ge- genüber dem neuen Bundesrat: «Im Grunde gehört die italienischsprachige Schweiz permanent in den Bundesrat. Das haben wir nun korrigiert», sagt er. Viel mehr Positives kann er der Wahl aber nicht abringen. Minders Stimme hat Cassis nicht bekommen, weil er die Masseneinwanderungs-Initiative – «die wichtigste Abstimmung der letzten Legislatur» – nicht verfassungsgetreu umsetzen will. «Wenn er als Tessiner, wo das Fass bei der Migration am Überlaufen ist, diesen Volksentscheid nicht umsetzt, wer tut es dann?» Für Minder sitzt mit Cassis nun ein Politiker im Bundesrat, der die Verfassung nicht ­respektiert und dies auch öffentlich zugegeben hat. Dass ihn die SVP-Fraktion trotzdem breit unterstützt hat, versteht Minder nicht.

Munz kritisiert Umgang mit Moret

Auch für SP-Nationalrätin Martina Munz war Ignazio Cassis keineswegs Favorit. Sie habe noch am Wahltag zwei Herzen in ihrer Brust, sagte sie nach dem ersten Wahlgang: einerseits den Wunsch, eine Frau zu wählen, andererseits auch Sympathien für das unabhängige Auftreten des Genfer Staatsrates Pierre Maudet.

Im Rückblick auf den Wahlkampf kritisiert Munz die Art und Weise, wie mit Isabelle Morets Kandidatur umgegangen wurde: «Die FDP hat sie zu einer Kandidatur motiviert, sie dann aber fallen lassen wie eine heisse Kartoffel», sagt Munz. Es sei unglaublich, dass in der Öffentlichkeit infrage gestellt worden sei, ob sich das Amt einer Bundesrätin damit vereinbaren lasse, dass Moret zwei kleine Kinder habe. Bei Pierre Maudet habe niemand nach seinen Kindern gefragt.

Allerdings muss Munz einräumen, dass die Waadtländerin auch beim Hearing in der SP-Fraktion nicht völlig überzeugt habe. Dennoch sieht sie ein grundsätzlicheres Problem: Die geringe Anzahl Frauen im Parlament ist für Munz eine Folge der fehlenden Gleichstellung. Kinder bedeuteten für Frauen auch heute noch einen viel grösseren Einschnitt im beruflichen und politischen Leben als für Männer. Dass sich angesichts der Doppelbelastung von Beruf und Familie viele Frauen gegen eine politische Laufbahn entschieden, sei verständlich, aber unbefriedigend. Und mit dem in Aussicht gestellten Rücktritt von ­Doris Leuthard dürfte die Frage der Frauenvertretung noch stärker in den Fokus rücken.