Schaffhauser Nachrichten: Atomausstieg mit einem kleinen Aber

Nach dem gestrigen Ja des Ständerats rückt das Ende der Atomenergie in der Schweiz ein gutes Stück näher. Definitiv werden die Weichen erst 2012 gestellt.

von Michael Brunner

Bild: Key
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Bundesrätin Doris Leuthard, Vorsteherin des Departements Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek), legte sich gestern nochmals mächtig ins Zeug, um zaudernde Ständeräte zu überzeugen. Ja, der Atomausstieg sei ein schwieriges, ambitiöses Unterfangen. Mit etwas Begeisterungsfähigkeit sei er aber zu schaffen: «Also machen wir uns auf den Weg!» Die Worte zeigten offenbar Wirkung: Überraschend klar, nämlich mit einem Verhältnis von etwa 4 zu 1, stimmte der Rat dem Atomausstieg zu.

Damit dies möglich wurde, war aber Leuthards Einsatz nicht nur gestern nötig, sondern schon im Vorfeld: Hinter den Kulissen suchten die CVP-Bundesrätin und ihre Partei einen Weg, damit auch atomfreundliche CVP-Ständeräte (und einzelne FDP- und SVP-Vertreter) dem von der Partei seit Fukushima gewünschten Ausstieg zustimmen konnten. Nachdem noch vor wenigen Wochen nur die «heutige Generation» der Atomkraftwerke verboten werden sollte, bezieht sich das Verbot nun auf alle Atomkraftwerke. Aber im Gegensatz zum Nationalrat wird explizit festgehalten, dass dieser Ausstiegsentscheid kein «Technologie- verbot» sei.

Nur Wortklauberei? 
Verschiedene Ständeräte hielten solche Differenzen für Wortklauberei. Auch machten sie darauf aufmerksam, dass es im Moment konkret erst um Motionen geht. Mit diesen beauftragt das Parlament den Bundesrat, ein Bauverbot für neue Atomkraftwerken zu erlassen. Konkret passieren wird das erst im kommenden Jahr – und auch das Parlament und allenfalls das Volk werden dann dazu nochmals Stellung nehmen können. Kommt dazu, dass auch die heftig umstrittene Frage, wie endgültig der Ausstieg aus der Atomenergie ist, eher von symbolischer Bedeutung ist. Denn in der Schweiz können beschlossene Gesetze und sogar Verfassungsbestimmungen jederzeit wieder geändert werden. Diese Ausgangslage hinderte die Ständeräte nicht daran, eine emotionale Debatte zu führen. Atombefürworter wie Rolf Schweiger (FDP/ZG) zeigten sich beleidigt: Es sei ungerecht, dass er als Atomlobbyist ohne Platz für eigenständiges Denken wahrgenommen werde. Umgekehrt warnten die Atomkraftgegner nochmals eindringlich: «AKW bergen für mich seit je unverantwortbare Risiken im Betrieb», sagte die Zürcher GLP-Ständerätin Verena Diener.

Fast religiöse Debatte
Ob so viel Emotionen fasste Kommissionsprecher Filippo Lombardi die Debatte als «fast theologisch» zusammen. Tatsächlich konnte der Eindruck entstehen, diejenigen, die sich immer schon auf dem rechten Weg wähnten, verlangten nun von den Atombefürwortern, ihrem Glauben auf alle Zeit abzuschwören. Insofern erinnerte die Debatte etwas an die EU-Frage: Ein Beitritt ist auf Jahre hinaus ebenso illusorisch wie der Bau eines neuen Atomkraftwerks, und trotzdem verlangen die vehementesten Beitrittsgegner von allen anderen einen Offenbarungseid. Nach dem Entscheid des Ständerates wussten die Grünen nicht so recht, ob sie sich nun über einen Sieg freuen konnten. Denn einerseits kommen die Motionen wegen der kleinen Differenz erst nach den Wahlen nochmals in den Nationalrat. Nicht einmal das Zeichen für den Atomausstieg ist also schon definitiv. Andererseits will das Parlament die Laufzeit der heutigen Atomkraftwerke nicht verkürzen. Die Grünen halten daher an ihrer weiter gehenden Ausstiegs-Initiative fest.

Tiefenlager im Ausland Eine internationale Verbundlösung würde sich anbieten
bern Gestern diskutierte der Ständerat nach dem Ausstiegsbeschluss auch noch über eine Interpellation des Schaffhauser SVP-Ständerats Hannes Germann. Er hatte den Bundesrat aufgefordert, bei der Suche nach einem geologischen Tiefenlager auch die Möglichkeit einer Lagerung im Ausland miteinzubeziehen. Die Interpellation wurde auch von Peter Briner, den beiden Zürcher Ständeräten Verena Diener und Felix Gutzwiller und dem Basler SP-Ständerat Claude Janiak unterstützt.

Im bestehenden Kernenergiegesetz ist vorgeschrieben, dass die Lagerung der Abfallstoffe im Inland stattfinden muss. Da es sich in der bisherigen Standortsuche nun aber abzeichne, dass keine der infrage kommenden Regionen freiwillig das Tiefenlager für Atomabfälle übernehmen will, forderte Germann, eine Anpassung des Gesetzes ins Auge zu fassen. «Mit dem Entscheid, aus der Kernenergie auszusteigen, sollte der Bundesrat nun seine defensive Haltung ablegen und auch eine Alternative im Ausland ernsthaft prüfen», sagte Germann. Während der Debatte bezeichnete Bundesrätin Leuthard eine Lagerung im Ausland als nicht fair. «Wir alle sind für den Atommüll verantwortlich», sagte sie. Trotzdem schloss der Bundesrat in seiner schriftlichen Antwort auf die Interpellation eine ausländische Lagerung nicht kategorisch aus. Sie bleibe eine Option, hiess es dort. Voraussetzungen dafür seien aber eine völkerrechtliche Vereinbarung, also ein Staatsvertrag, und ein hoher Sicherheitsstandard im ausländischen Lager. «Es ist falsch, zu meinen, im Ausland könne die Schweiz keine Verantwortung übernehmen», sagte Germann. Zwar sei eine Lösung im Ausland anspruchsvoller, aber auch mit einem solchen Projekt würde die Schweiz nicht ihre Verantwortung exportieren. «Es könnte etwa in einer dünn besiedelten Zone in einem nördlichen Land sein», sagte Germann. Als Nächstes muss der Bundesrat seine Botschaft mit den konkreten Massnahmen zur Energiestrategie 2050 vorlegen. Dabei, so Germann, könne man auch eine Änderung der Endlagerbestimmungen im Kernenergiegesetz anpacken. Natürlich müsse man gleichzeitig mit dem Überprüfen der inländischen Standorte fortfahren. «Doch jetzt, wo der Ausstieg beschlossen ist, sollte auch wieder Bewegung in die Diskussion um das Tiefenlager kommen», sagte Germann.