Schaffhauser Nachrichten: «Bundesrat will eine Nacht-und-Nebel-Aktion»

Die Hoffnung von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf auf ein rasches Ja zum Steuerdeal zwischen der US-Justiz und den Banken steht auf dünnem Eis: Von links und rechts hagelt es Kritik zum Vorgehen des Bundes.

Von Denise Lachat und Tobias Gafafer

Es droht eine kalte Dusche: Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf.Bild Key

Der Bundesrat will per Eilverfahren eine Gesetzesgrundlage für die Bereinigung des Steuerstreits mit den USA durch das Parlament bringen. Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP) findet das fragwürdig.

Hannes Germann, als Mitglied der ständerätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben gehören Sie zu den ersten Parlamentariern, die das Gesetz beraten. Was sagen Sie zum angeschlagenen Tempo?

Hannes Germann: Es ist für mich völlig unverständlich. Hätte man eine Globallösung gefunden, die den Streit beilegen würde, wäre eine dringliche Behandlung in nur einer Session allenfalls gerechtfertigt gewesen. Aber davon kann jetzt nicht die Rede sein. Die Globallösung ist gescheitert. Uns wird ein eigentliches Kapitulationsgesetz vorgelegt, und ich bin nicht bereit, per Eilverfahren schweizerisches Recht auszuhebeln.

Was sagen Sie zum Verhandlungsergebnis?

Germann: Die Verhandlungen sind gescheitert, die Amerikaner diktieren uns sämtliche Bedingungen. Nun versucht der Bundesrat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, das Parlament zu überrumpeln.

Hätte man überhaupt ein besseres Verhandlungsresultat erzielen können?

Germann: Das können wir Parlamentarier nicht beurteilen. Der Rücktritt von Unterhändler Michael Ambühl deutet allerdings auf ein Zerwürfnis mit Bundesrätin Widmer-Schlumpf hin und auf eine unterschiedliche Beurteilung des Verhandlungsergebnisses.

Die Details des US-Programms für die Banken werden erst nach der Schlussabstimmung bekannt gegeben. Was sagen Sie dazu?

Germann: Das Parlament muss sich überlegen, ob es glaubwürdig bleiben will. Eine solche Blackbox will ich nicht absegnen. Würde der Bundesrat unter dem Druck der Banken einen solchen Führungsentscheid fällen, wäre das etwas anderes.

Inwiefern?

Germann: Als Exekutive muss man manchmal rasche Entscheide fällen, die auch einmal falsch sein können. Aber das Parlament ist die Legis- lative. Und wenn wir als Gesetzge- ber Hand zu einem solchen Gesetz bieten, hat das ein ganz anderes Gewicht. Wir können doch nicht für die USA ein Jahr lang unser Gesetz aushebeln.

Offenbar machen die USA aber Druck …

Germann: Schon die Präzisierung des Doppelbesteuerungsabkommens mussten wir vor drei Jahren im beschleunigten Verfahren beschliessen, und die Amerikaner haben es bis heute noch nicht ratifiziert.

Wie soll sich das Parlament jetzt verhalten?

Germann: Zuerst sollten wir auf den ordentlichen Weg verweisen und das Geschäft nicht traktandieren. Wenn wir eine Lösung für die vergangenen zehn Jahre finden sollen, dann muss dies kaum in diesem Juni passieren. Wir sollten das Gesetz prüfen, eine Vernehmlassung und Anhörungen durchführen. Wir müssen doch wissen, was für Folgen das für den Rechtsstaat hat, und ich bin auch dagegen, dass die Banken entscheiden können, welche Kunden und welche Mitarbeiter sie ausliefern und welche nicht. Das ist doch Willkür: Ausgerechnet jene Banken, die solche Systeme zur Steuerhinterziehung installierten, sollen über so etwas entscheiden können. Interview: Sidonia Küpfer

 

«Das ist die Lösung für jene Banken, die in den USA Geschäfte getätigt haben, die sie besser nicht getätigt hätten»: Mit diesen Worten präsentierte Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf gestern den zwischen den USA und der Schweiz ausgehandelten Rahmen, mit dem Schweizer Banken rückwirkend nicht versteuerte US-Gelder regularisieren können. Dafür schlägt der Bundesrat keine Globallösung vor, sondern unterbreitet dem Parlament ein «Bundesgesetz über Massnahmen zur Erleichterung der Bereinigung des Steuerstreits der Schweizer Banken mit den Vereinigten Staaten». Es ist auf ein Jahr befristet und ermächtigt Banken, gegen welche die USA ein Strafverfahren eröffnet haben oder die potenziell amerikanisches Recht verletzt haben, mit den amerikanischen Behörden zusammenzuarbeiten – und zwar in eigener Verantwortung.

Mitarbeiter, Treuhänder, Berater

Konkret heisst das, dass Schweizer Banken dem amerikanischen Justizministerium Daten über das Verhalten ihrer US-Kundschaft und die Finanzströme liefern sowie Angaben über jene Mitarbeiter, die in der Bank die Kundengeschäfte organisiert und betreut haben. Übermittelt werden sollen auch die Daten Dritter: Damit sind Treuhänder und Finanzberater gemeint, die im Zusammenhang mit einer Geschäftsbeziehung eines US-Kunden stehen. Ausgeschlossen von dieser Ermächtigung sind indes Kundendaten und Kontoinformationen. Dafür müssen die USA den Weg des Amtshilfeverfahrens beschreiten. Dafür muss der US-Senat allerdings noch das blockierte Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz ratifizieren. Die USA bieten den Schweizer Banken zur Regularisierung ein Programm an und verzichten laut Widmer-Schlumpf im Gegenzug auf weitere Strafuntersuchungen. «Damit kann ein Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden.» Banken, die sich trotz eingegangener Risiken nicht am Programm beteiligen, müssten allerdings auch künftig Verfahren gewärtigen. Das Bundesgesetz verpflichtet die Banken zu einem «höchstmöglichen Schutz ihrer Mitarbeitenden». Die dafür vom Bund verlangte Vereinbarung zwischen den Arbeitgebern und dem Bankpersonal ist bereits getroffen worden. Sie sichert den Mitarbeitern die vorgängige Information, die Übernahme von Anwaltskosten sowie den Schutz vor Kündigung zu. Zudem wurde ein Härtefallfonds in Höhe von 2,5 Millionen Franken geschaffen. Der Arbeitgeberverband der Banken spricht in seiner Stellungnahme von einem «Musterbeispiel der Sozialpartnerschaft», und auch das Personal ist zufrieden. «Das ist eine gute Lösung», sagt Denise Chervet, Geschäftsführerin des Verbands.

Das Parlament sperrt sich

Über den Inhalt des US-Programms schwieg sich Widmer-Schlumpf gestern aus. Der Grund: Es handle sich um ein unilaterales Angebot der USA, und diese wollten erst informieren, wenn das entsprechende Gesetz vom eidgenössischen Parlament gutgeheissen worden sei. Auf ein Ja beider Räte hofft der Bundesrat bereits in der Junisession: Er schickt das Gesetz im dringlichen Sonderverfahren ins Parlament. Widmer-Schlumpfs rasantes Tempo unter Verweis auf den grossen Druck aus den USA kommt bei den Parteien schlecht an. «Wildwest-Methoden» seien dies, kritisiert SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz. Ein so wichtiges Geschäft im Eiltempo behandeln zu wollen, sei völlig unseriös und werde von der SVP in dieser Form bekämpft. Auch die FDP hält nichts von einer «Hauruck-Übung» des Parlaments und fordert den Bundesrat auf, die Lösung in eigener Kompetenz umzusetzen – sonst bestehe die Gefahr eines Scheiterns. Tatsächlich droht eine unheilige Allianz: Die SVP will keinem Geschäft zustimmen, dessen Inhalt sie nicht kennt, die SP lehnt die «Notfall-Übung» für den Finanzplatz grundsätzlich ab. Die Banken hätten sich ihre Schwierigkeiten selber eingebrockt und müssten eine Lösung ohne Staat finden.

«Schweiz zahlt nicht»

Martin Naville, Direktor der Handelskammer Schweiz-USA, räumt zwar ein, dass die USA Powerplay betreiben. Für ihn ist die Lösung aber ein wichtiger Schritt nach vorn. Sie bringe Rechtssicherheit: Banken, die am Programm der USA mitmachten, würden nicht angeklagt. Auch Widmer-Schlumpf kann sich «keine andere vernünftige, rechtsstaatliche Lösung» vorstellen. Und es sei fraglich, ob es der Wirtschaftsstandort Schweiz verkraften könne, wenn gar nichts unternommen werde. Sie erinnerte dabei vor allem an die Kantonalbanken, für die eine faktische Staatsgarantie besteht. Dass sich der Bund an den Kosten beteiligt, die sich für die Banken notabene in Form von Bussen ergeben, stellte die Bundesrätin hingegen in Abrede. In ihrem Departement werden entsprechende Spekulationen als «Unfug» bezeichnet. Auch indirekte Hilfe in Form einer Bevorschussung sei nicht geplant; dafür gebe es keinen einzigen Steuerfranken, sagt ein Sprecher. Je nach Umfang des US-Geschäfts sollen die Banken in vier Kategorien eingeteilt werden. Wie viele Einnahmen sich die USA erhoffen respektive wie hoch die Kosten für die Schweizer Banken sind, ist unklar. Die Rede ist von 7 bis 10 Milliarden Franken.

19. Juni 2008 Der ehemalige UBS-Banker Bradley Birkenfeld erklärt sich vor einem amerikanischen Gericht schuldig, für Kunden der Grossbank Geld am Fiskus vorbeigeschleust zu haben. 19. August 2009 Nach langem Tauziehen zwischen der UBS, dem Bundesrat und den US-Behörden um die Herausgabe von Namen verdächtiger Kunden, einigen sich die Schweiz und die USA auf einen Vergleich. Die USA erhalten 4450 UBS-Kundendaten. Die UBS zahlt eine Busse von 780 Mio. Dollar. 1. November 2010 Eveline Widmer-Schlumpf übernimmt die Leitung des Finanzdepartements. Die Schweiz verhandelt weiterhin mit den USA über eine «Globallösung» für den gesamten Finanzplatz. 16. November 2010 Nach Erhalt der meisten UBS-Kundendaten zieht die US-Steuerbehörde IRS ihre zivilrechtliche Klage gegen die UBS zurück. Sie will aber gegen weitere Banken in der Schweiz und anderswo wegen des Verdachts auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung ermitteln. Februar 2011 Die USA haben inzwischen neben der CS weitere Banken im Visier, darunter die HSBC Schweiz, die Basler und Zürcher Kantonalbanken, Julius Bär und die Bank Wegelin. 9. Dezember 2011 Das US-Justizministerium verlangt von Schweizer Banken auch Namen von Kundenberatern. Das schweizerische Recht verbietet aber die direkte Herausgabe von Dokumenten mit Namen von Mitarbeitenden. 18. Januar 2012 Der Bundesrat entscheidet, dass codierte Bankdaten an die USA geliefert werden dürfen. Den Schlüssel zur Decodierung sollen diese im Rahmen von Aufsichtsamts- und Rechtshilfeverfahren erhalten – oder wenn eine globale Lösung im Steuerstreit vereinbart ist. 27. Januar 2012 Die Besitzer der Bank Wegelin verkaufen unter dem Druck der USA ihr Nicht-US-Geschäft an die Raiffeisen Gruppe. 16. März 2012 Das Schweizer Parlament erklärt sich mit Gruppenanfragen aus den USA einverstanden und stimmt einer entsprechenden Ergänzung des Doppelbesteuerungsabkommens zu. 4. April 2012 Der Bundesrat erlaubt den Banken auch die Herausgabe von uncodierten Mitarbeiterdaten an die USA. 11. April 2012 Das Bundesverwaltungsgericht stoppt auf die Klage eines CS-Kunden die Lieferung von Kundendaten der CS an die USA, weil seiner Ansicht nach das amerikanische Amtshilfegesuch den Anforderungen nicht genügte. 4. Dezember 2012 Die Schweiz und die USA einigen sich auf die Einführung des «Foreign Account Tax Compliance Act» (Fatca) voraussichtlich 2014. Damit wollen die USA erreichen, dass sämtliche Auslandskonten von US-Steuerpflichtigen besteuert werden können. 3. Januar 2013 Die Bank Wegelin gibt in den USA ein Schuldgeständnis ab und gesteht damit ein, Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet zu haben. Die Busse beläuft sich auf 74 Mio. Dollar. 24. Mai 2013 Michael Ambühl, der Schweizer Chefunterhändler, gibt seinen Rücktritt bekannt. 28. Mai 2013 Nach der UBS und der CS sieht sich auch Julius Bär mit einer Gruppenanfrage konfrontiert. 29. Mai 2013 Der Bundesrat verabschiedet ein Gesetz zur Beendigung des Steuerstreits. Es soll die Banken nach einem dringlichen Verfahren im Parlament ermächtigen, direkt mit den US-Behörden zusammenzuarbeiten.