Schaffhauser Nachrichten: «Das Gesundheitswesen ist ‹verwelscht›»

Hannes Germann / Christian Lohr / Andrea Caroni
Hannes Germann / Christian Lohr / Andrea Caroni

Bald ein Jahr ohne Ostschweizer Vertreter im Bundesrat. Parlamentarier sagen, was sie davon halten und ob und wo der östliche Landesteil deshalb benachteiligt wird.

Von Anna Kappeler

schaffhausen Die Ostschweizer Kantonsregierungen wollen am Rande der Olma bei den Bundesratsparteien dafür weibeln, dass der nächste Bundesrat ein Ostschweizer wird. Denn seit am 9. Dezember 2015 Guy Parmelin Eveline Widmer-Schlumpf ersetzt hat, steht die Ostschweiz, inklusive Schaffhausen und Graubünden, ohne bundesrätliche Vertretung da.

Doch merkt man dieses Fehlen überhaupt? «Die Schweiz geht nach einem Jahr ohne Ostschweizer Bundesrat nicht unter. Mittelfristig aber ist die Untervertretung der östlichen Landeshälfte ein Nachteil für die Region», sagt der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP). Das zeige sich nur schon in der Mentalität: «Der Ostschweizer ist nüchtern, kostenbewusst und macht sich für die Eigenverantwortung stark.» Ein Ostschweizer würde etwa die Kultur- oder die Entwicklungshilfeausgaben nie so herauffahren, wie es ein Berner oder ein Welscher tue. «Deshalb ist es so wichtig, dass Bundesräte aus allen Regionen der Schweiz in der Regierung sitzen.» Die Untervertretung der Ostschweiz habe sich, so Germann, etwa bei der vom Bundesrat geplanten Schliessung mehrerer Ostschweizer Zollstellen gezeigt. «Dass die Schliessungen aller Voraussicht nach nun doch verhindert werden können, ist lediglich dem guten Zusammenspannen der Regionen zu verdanken.»

Weiter nennt Germann das Gesundheitswesen. «Dieses ist völlig ‹verwelscht›.» Die Westschweizer Kantone hätten schweizweit die höchsten Gesundheitskosten. «Solche Fehlentwicklungen aber lassen sich aktuell bei einem Bundesrat mit gleich drei Romands leider nicht durchbrechen.»

Apropos Romands: Deren überproportionale Vertretung stört auch Nationalrat Christian Lohr (CVP/TG). Er weist auf den aktuell schwelenden Sprachenstreit hin. «Es hat einen Grund, weshalb das Verständnis für Französisch kleiner wird, je weiter weg vom Röstigraben man ist.» Für Lohr werden «die Ostschweizer Interessen aktuell als zweitrangig» behandelt. «Der Bundesrat trifft Entscheide zulasten derjenigen Regionen, aus denen die geringste Gegenwehr kommt. Und wir sind nicht vertreten in der Regierung, können uns also schlecht wehren.» Ein konkretes Beispiel? Seit Kurzem erlaube der Bundesrat beim Flughafen Kloten etwa Südanflüge bei schlechtem Wetter. Vom Fluglärm betroffen sei mit dem südlichen Teil des Kantons Thurgau nebst Zürich also auch die Ostschweiz.

Zudem nennt Lohr die Sicherheits- und die Asylpolitik sowie den Einkaufstourismus, bei denen die Region ebenfalls direkter betroffen sei als andere Teile der Schweiz. «Die Sensibilität bei den Leuten ist einfach eine andere, wenn man unmittelbar an der Grenze wohnt», sagt Lohr. Dem müsse auch von der Regierung Rechnung getragen werden.

«Höhere Präsenz vor Ort»

Der Appenzeller Ständerat Andrea Caroni (FDP) gibt sich zurückhaltender: «Ein Jahr ist eine zu kurze Zeit, um bereits Auswirkungen auf die Region festmachen zu können», sagt er. Zudem seien die Bundesratsitzungen bekanntlich nicht öffentlich – wie ein anders zusammengesetzter Bundesrat abgestimmt hätte, bleibe spekulativ. Unbestritten aber ist auch für Caroni, dass ein Ostschweizer Bundesrat eine höhere Sensibilität für seine Region hat. «Auch ist ein Ostschweizer Magistrat mit dieser Region verbundener als mit einem ihm weniger nah liegenden Landesteil. Er hat automatisch eine höhere Präsenz vor Ort, wie ich aus meiner Tätigkeit als ehemaliger persönlicher Mitarbeiter von alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz weiss.»

Bundesratssitz Beim nächsten Wechsel stehen die Bürgerlichen im Fokus

Bern/schaffhausenWann wird der nächste Sessel im Bundesrat frei? Und welcher wird es sein? Nimmt man das Alter der aktuellen Magistrate zum Massstab, so rücken zwei Bürgerliche in den Fokus: Johann Schneider-Ammann (FDP) wird am 18. Februar 65 Jahre alt und erreicht somit das Pensionsalter. Im Fall von Schneider-Ammann wird seit Monaten spekuliert, dass der Volkswirtschaftsminister das laufende Präsidialjahr zum krönenden Abschluss seiner Amtszeit machen könnte. Aus der FDP selbst hingegen hört man, dass Schneider-Ammann wohl nicht direkt nach seinem Präsidialjahr zurücktrete, sondern sich eher auf Ende 2017 oder dann 2018 zurückziehen werde. Als mögliche Nachfolgerin gehandelt wird bereits jetzt die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter. Ihre Ambitionen seien augenfällig. Bei Sachgeschäften wirke sie zunehmend konsensorientiert, was als Zeichen magistraler Ambitionen interpretiert werden könne. Oft fällt zudem der Name des Bündner Ständerats Martin Schmid.

Ueli Maurer in der Nachspielzeit

Doch Bundesräte sind nicht an das offizielle Pensionsalter gebunden. Das zeigt sich am Beispiel von Ueli Maurer (SVP). Er wird am 1. Dezember 66 Jahre alt. Nach der Wahl von Guy Parmelin im letzten Dezember übernahm Maurer überraschend das Finanzdepartement. Mit einem raschen Rücktritt ist nicht zu rechnen, ansonsten hätte ein solcher Wechsel keinen Sinn gemacht. Für die fünf weiteren Bundesräte ist das Rentenalter noch in weiter Ferne. CVP-Bundesrätin Doris Leuthard ist in diesem Kreis allerdings die Amtsälteste: Die 53-Jährige ist seit 2006 im Bundesrat. Mit dem ersten Teil der Energiestrategie 2050 steht ihr Grossprojekt kurz vor dem Ziel. Da könnte durchaus Lust auf etwas Neues aufkommen. Seit 2009 ist Didier Burkhalter (FDP) Bundesrat. Dem Neuenburger werden Ambitionen auf internationaler Ebene nachgesagt. Weniger im Fokus stehen die beiden Sozialdemokraten Simonetta Sommaruga (seit 2010) und Alain Berset (seit 2012).(sk/aka)