
Die Journalistin Luzia Tschirky berichtete am Mittwoch im Pavillon im Park über den Krieg in der Ukraine.
Von Alfred Wüger

SCHAFFHAUSEN. Der Vortrag von Luzia Tschirky im Pavillon im Park am Mittwochabend war sehr gut besucht, trotz oder wegen des wunderschönen Sommerwetters, der es einem erlaubte, nach dem Gehörten draussen auf der Terrasse beim Apéro Gedanken auszutauschen. Und Stoff dazu hatte man in den anderthalb Stunden, die der Anlass dauerte, genug bekommen.
Der Vortrag unter dem Titel «Gesundheitsversorgung unter Beschuss – wie Russland gezielt Spitäler in der Ukraine angreift» war organisiert worden vom erst vor Kurzem gegründeten Verein «Zukunft Spitäler Schaffhausen», dessen Co-Präsidenten Marlis Pfeiffer und Ständerat Hannes Germann das Publikum begrüssten und für den Verein warben, bevor dann der Moderator des Abends, Matthias Wipf, die Referentin vorstellte.
Vorträge landauf, landab
Luzia Tschirky ist einem breiten (Fernseh-)Publikum bekannt geworden durch ihre Berichterstattung am Tag des Einmarsches der russischen Armee in die Ukraine am 22. Februar 2022. Unvergessen die Frau am Strassenrand, das rote SRF-Mikrofon in der Hand, während hinter ihr lange Autokolonnen mit Flüchtenden Kiew verlassen. «Neun Kilometer von meinem damaligen Standort entfernt landeten im gleichen Moment russische Soldaten auf einem Flugplatz und töteten die ersten ukrainischen Menschen», sagte Luzia Tschirky im Pavillon im Park und räumte ein, dass sie mit mehr Glück als Verstand jene Situation gemeistert habe. Und sie hat überlebt. Inzwischen arbeitet Luzia Tschirky nicht mehr beim Schweizer Fernsehen, sondern lebt mit ihrem Mann, einem Deutsch-Russen, und dem gemeinsamen Kind in Zürich. Sie hat ein Buch geschrieben – «Live aus der Ukraine» – und hält Vorträge landauf, landab. Und zwar mit viel Feuer.
Luzia Tschirky brennt für ihre Aufgabe, sie ist alles andere als unberührt von dem, was sie gesehen und erlebt hat. Keine kühl-distanzierte Beobachterin steht da auf der Bühne im grossen Saal des Pavillons im Park, sondern eine von den Erlebnissen spürbar gezeichnete, mindestens seelisch mitgenommene Augenzeugin, denn sie spricht schnell, kann kaum alles, was sie zu sagen hat, in den Sätzen unterbringen. Es ist mucksmäuschenstill im Saal.
Ein konventioneller Krieg mitten in Europa, das schien jahrzehntelang eine völlig absurde Vorstellung, nun ist der Krieg zurück, angefangen bei der vom Westen mit erstaunlicher Gelassenheit zur Kenntnis genommenen Annektierung der Krim durch Russland im Jahre 2014 bis zum Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine am 22. Februar vor drei Jahren. Was einen Waffenstillstand, ein Kriegsende gar anbetrifft: Da ist Luzia Tschirky pessimistisch. Sie sprach sogar mit den nächsten amerikanischen Wahlen im Blick, im Bewusstsein natürlich, dass in Russland längerfristiges und nicht von Wahlkämpfen getaktetes Denken Usus ist.
Die blutige Wirklichkeit
Der Titel von Luzia Tschirkys Vortrag – «Gesundheitsversorgung unter Beschuss» – hat in der Ukraine eine grauenhafte reale Entsprechung, denn Russland, so die Referentin, verstosse gezielt und ständig gegen das humanitäre Völkerrecht, das ja Angriffe auf medizinische Einrichtung verbietet. Luzia Tschirky zeigte Bilder einer bombardierten Klinik, wo krebskranke Kinder behandelt worden waren. Sie erzählte von einer Familie, die nach einer erfolglosen Odyssee durch polnische Spitäler – die Ukraine ist nicht Mitglied der EU – den Tod ihrer kranken Tochter wegen der unterbrochenen Chemotherapie zu verkraften hatte. Luzia Tschirky berichtete von einer hochschwangeren Frau, die wegen eines Bombardements im Krankenhaus ihr Kind verlor, was ihr Mann nicht gewusst habe, sie aufsuchen wollte und bei einem Angriff sein Bein verlor. Dank Beziehungen und Interventionen konnte die Familie schliesslich in einem Krankenhaus der Bundeswehr in Ulm unterkommen.
Ambulanzen im Kugelhagel
Aber nicht nur Krankenhäuser und Kinderkliniken seien Ziel von Fliegerbomben, auch Ambulanzen, die Verletzte bergen und transportieren, würden angegriffen. Die Referentin zeigte Bilder von Operationssälen, die aussahen wie eine mechanische Werkstätte, und ein Ärzteteam, das beim Schein von Handyleuchten eine Operation durchführte. «Wenn es heisst, dass die Stromversorgung getroffen wurde bei einem Angriff», so Luzia Tschirky, «dann sind eben auch die Schwächsten der Schwachen, die Kranken die ersten Opfer.» Nicht jedes Spital verfüge über eine Notstromanlage.
Schliesslich endete der Vortrag ziemlich plötzlich, und dann wurden aus dem Publikum Fragen gestellt, unter anderem eben zur Zukunftsperspektive, zur Kriegsdauer, und auch diese Fragen beantwortete die Augenzeugin und Journalistin ausführlich und kompetent.
Momentan indes kann Luzia Tschirky nicht nach Russland reisen, sie bekommt keine Arbeitsbewilligung, und eine Privatreise in die Ukraine zu Freundinnen und Freunden verbietet sie sich. «Aber wenn ich einen Auftrag bekomme, dann fahre ich sofort hin.»