Schaffhauser Nachrichten: «Das Volk hat eine echte Auswahl»

Keine Wahl im Schlafwagen, sondern echter Wahlkampf: Die Ausgangslage für die Ständeratswahlen präsentiert sich für den Bisherigen Hannes Germann unerwartet – nämlich unberechenbar.

von Doris Kleck und Zeno Geisseler

Hannes Germann, sind Sie im Hinblick auf die Wahlen nervös? 
Hannes Germann: Nein. Allerdings ist jede Wahl eine neue Herausforderung und mit einer gewissen Spannung verbunden. Mein Ziel ist eine gute Wiederwahl.

Schaffen Sie die Wiederwahl? 
Germann: Ich bin zuversichtlich. Persönlich spüre ich bei der Schaffhauser Bevölkerung eine Vertrauensbasis, die weit über die Parteigrenzen hinweg geht.

Mit Ihnen, Christian Heydecker (FDP), Matthias Freivogel (SP) und Herbert Bühl (ÖBS) stehen bereits vier Kandidaten fest. Thomas Minder und Heinz Aemisegger (CVP) sondieren noch. Mit einem solch breiten Kandidatenfeld hat niemand gerechnet. Was heisst das für Ihren Wahlkampf? 
Germann: Die Ausgangslage wird nicht einfacher. Der Wahlkampf wird jedenfalls spannend, und das Volk hat eine echte Auswahl. Das ist gut so. Denn Ständerat zu sein, ist ein Privileg. Die kleine Kammer arbeitet äusserst effizient, ist sach- und lösungsorientiert. Die Diskussionskultur ist vorbildlich. Ich kann deshalb gut nachvollziehen, dass auch andere dieses Amt wollen.

Die Situation wird unberechenbar. 
Germann: Ständeratswahlen sind Persönlichkeitswahlen nach dem Majorzverfahren. Überraschungen sind nie ausgeschlossen. Man muss den Stimm- berechtigten aufzeigen, dass man ihre Interessen mit Nachdruck vertritt und als Standesvertreter in Bern in der Lage ist, Mehrheiten zu finden. Zur politischen Durchschlagskraft gehört eine starke Vernetzung auf nationaler Ebene.

Das hatten Sie am Anfang auch nicht. 
Germann: Nein, das muss man sich erarbeiten. Ich kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich im Parlament eine breite Akzeptanz geniesse. Das hat sich unter anderem bei der Wahl ins Büro, also ins geschäftsleitende Gremium des Ständerates gezeigt. Auf der anderen Seite braucht man auch eine Verankerung im Kanton. Das heisst, einen guten Draht zum Volk und eine politisch repräsentative Gruppierung oder Partei, die hinter einem steht. Freischwebend kann man als Standesvertreter nicht erfolgreich wirken.

Sie denken jetzt an Thomas Minder. 
Germann: Minder wird sowohl von rechts wie links motiviert anzutreten. Sicher ist, dass diese Seiten nicht die gleichen Absichten mit ihm haben. Er muss die Situation aber selbst beurteilen, ich erteile keine Ratschläge.

Wie ist das Verhältnis zwischen der SVP und Thomas Minder? 
Germann: Minder geniesst sicher eine gewisse Sympathie dank seinem Feldzug gegen die unverschämte Abzockerei und für einen besseren Schutz der Marke Schweiz. Christoph Blocher und er haben ein paar Gemeinsamkeiten. Damit hat es sich.

Herbert Bühl kandidiert nicht zuletzt unter dem Eindruck von Fukushima. Die Atomenergie und das Endlager werden wichtige Themen im Wahlkampf sein. Nicht gerade ein Vorteil für Sie und Christian Heydecker. 
Germann: Viele versuchen gegen- wärtig, aus der menschlichen Tragödie von Japan und der bestehenden Verunsicherung ihren Profit zu ziehen. Panikmache ist aber ein schlechter Berater bei strategisch zentralen Entscheiden. Ich bin ein Realpolitiker, der die Interessen von Wirtschaft und Ökologie stets mit grosser Sorgfalt abwägt. Ohne intakte Umwelt gibt es keine Zukunft!

Die SVP unterstützt Heydecker. An der Parteiversammlung gab es auch kritische Stimmen, Sie haben sich vehement für eine Zusammenarbeit aus- gesprochen. Was wäre die Gefahr gewesen, wenn es nicht zu dieser Zusammenarbeit gekommen wäre? 
Germann: Dann wäre es zu zwei Einzelläufen gekommen, und das wäre nicht zielführend. Ich blicke auf neun Jahre Zusammenarbeit mit Peter Briner zurück und darf feststellen: Wir haben hervorragend harmoniert. Wir sind zwar keine siamesischen Zwillinge und haben auch Differenzen. Doch wenn es um Standesinteressen geht, stehen wir zusammen. Die ungeteilte Standesstimme darf nicht verloren gehen. Wir wollen nicht, dass sich die Stimmen des Kantons Schaffhausen in wesentlichen Fragen gegenseitig neutralisieren.

Können Sie ein Beispiel geben, bei dem die ungeteilte Standesstimme für den Kanton Schaffhausen so wichtig war? 
Germann: Beim öffentlichen Verkehr für die Verbesserung der Bahnverbindungen, beim Individualverkehr für den Ausbau der A4, für das Projekt Galgenbucktunnel oder auch im Kampf um die nationalen Mittel für ein Hallenprojekt in der Region haben wir uns gemeinsam engagiert. Dann in allen Wirtschafts-, Finanz- und Steuerfragen. Dank der Schuldenbremse und unserer verantwortungsvollen Ausgabenpolitik hat die Schweiz die Finanzkrise so gut überstanden. Die Arbeitslosigkeit ist beneidenswert tief, gerade auch in unserem Kanton. Schaffhausen profitiert mit seiner Wirtschaftsförderung überdurchschnittlich vom attraktiven Steuersystem, für das wir uns gemeinsam und mit Erfolg einsetzen. Dazu kommt die weitere Attraktivierung des Forschungsstandortes, die für internationale Unternehmen zentral ist. Ein aktuelles Beispiel ist auch die Unternehmenssteuerreform II, die für viele KMU in Industrie und Gewerbe massive Verbesserungen gebracht hat. Sie wird nun von links – auch im Nachhinein wieder – vehement bekämpft.

Die Unternehmenssteuerreform II ist unter Beschuss, weil die Ausfälle höher sind als prognostiziert.
Germann: Tatsache ist und bleibt, dass die Steuereinnahmen des Bundes stärker wachsen als das BIP. Aber sie sprechen auf die Unsicherheit beim Kapitaleinlageprinzip an. Ich finde es richtig, dass die Steuerverwaltung auf die Ausfälle hinweist. Aber, wir reden hier primär von der Verrechnungssteuer – und dort sind die Prognosen erfahrungsgemäss mit grosser Ungenauigkeit behaftet.

Für die Glaubwürdigkeit von Bundesrat und Parlament – Sie präsidierten die für das Geschäft zuständige Kommission – sind die falschen Prognosen verheerend. 
Germann: Bei dynamischer Betrachtung hat sich diese Reform gelohnt, da bin ich felsenfest überzeugt. Wir wollten mit dem Systemwechsel sicherstellen, dass die Rückzahlung einer Einlage nicht steuerwirksam ist.

Das System wird nicht in Frage gestellt. Das Problem ist, dass die Reform rückwirkend gilt. 
Germann: Logisch wäre es eigentlich gewesen, von einer Rückwirkung gänzlich abzusehen. Stellen Sie sich vor, man würde eine nationale Erbschaftssteuer einführen und dann nur Vermögen erfassen, die nach Inkrafttreten der Bestimmung geäufnet worden wären. An diesem Beispiel sieht man, wie abstrus die aktuelle Diskussion eigentlich ist.

Zurück zu den Ständeratswahlen und der bürgerlichen Zusammenarbeit. Gibt es gemeinsame Plakate mit dem Duo Germann/Heydecker? 
Germann: Für mich ist das eine Nebensache. Entscheidend ist, dass die SVP-Versammlung den Kandidaten der FDP mit 70 zu 4 Stimmen unterstützt hat.

Sie weichen aus. 
Germann: Diesen Entscheid hat man an die Wahlkomitees delegiert. Der SVP-Kantonalvorstand hat den Grundsatz-entscheid für getrennte Plakate gefällt. Für mich sind beide Wege gangbar.

Wie gut kennen Sie Christian Heydecker?
Germann: Wir kennen uns seit Jahren. Ich schätze seine Berechenbarkeit, Authentizität und Zuverlässigkeit.

Haben Sie in der Endlagerdebatte das Heu auf der gleichen Bühne? 
Germann: Ich habe mich immer hinter die Strategie der Schaffhauser Regierung und des Kantonsrates gestellt und bin klar gegen ein Tiefenlager in unserer Region. Zu gross wären die Nachteile für uns und unseren Kanton.

Wo soll der radioaktive Müll dann hin? 
Germann: Er gehört in die Nähe der bestehenden KKW. Ich habe mich stets für eine internationale Verbundlösung ausgesprochen.

Eine Lösung im Ausland verbietet das Gesetz. 
Germann: Wenn die Realität es verlangt und das Volk es so will, lassen sich Gesetze ändern.

Wie haben Sie reagiert, als Sie von den Ereignissen in Japan gehört haben? 
Germann: Ich war völlig konsterniert, einerseits wegen des Leides, andererseits wegen der Hilflosigkeit. Diese Ereignisse haben mich ein Stück weit desillusioniert.

Haben Sie auch eine politische Einschätzung vorgenommen, was das für die Schweiz heisst? Oder macht man das als Politiker in solch einer Situation nicht? 
Germann: Ich habe mich darüber aufgeregt, dass wir angesichts des Leides in Japan bei uns in Europa Ober- flächendiskussionen über die Kernenergie führen. Und Politiker versuchen, auf dieser Tsunami-Welle mitzureiten.

Inwiefern wird Fukushima die Wahlen beeinflussen? 
Germann: Das wird sich weisen. Die Leute schenken jenen Kandidaten das Vertrauen, die glaubhaft einen Weg aufzeigen können, wie wir aus dem Energiedilemma herauskommen. Ausstieg aus der Atomenergie, 2000-Watt-Gesellschaft, Stromsparen: Das klingt alles schön, doch sind diese Rezepte auch glaubhaft? Der Stromverbrauch hat zwischen 1980 und 2010 um 30 Prozent zugenommen.

Wie soll denn die Energieversorgung der Schweiz künftig aussehen? 
Germann: Möglichst viel Energie soll aus Wasserkraft und CO2-freier Produktion stammen. Bei Letzterem müssen wir wohl einige Abstriche machen, wenn wir die Kernenergie reduzieren wollen. Der Anteil des Atomstroms liegt heute bei 40 Prozent, er lässt sich nicht von heute auf morgen ersetzen. Schon gar nicht, wenn hierzulande 90 Prozent aller Projekte für erneuerbare Energien durch Einsprachen blockiert sind – man höre und staune: auch von Umweltverbänden …

Soll man ein neues AKW bauen? 
Germann: Ich hoffe, wir kommen um eine Ersatzbaute herum. Wir müssen nun aber die Erkenntnisse aus Japan nüchtern analysieren. Es muss eine Debatte einsetzen, wie wir die Energieversorgung in Zukunft sichern können. Eine Verknappung wird zu einer Verteuerung der Energie führen. Das heisst, produktive Arbeitsplätze würden aus unserem Lande verschwin- den – so etwas kann ich nicht verantworten. Ein Beispiel dazu: Als das EKS im letzten Herbst eine Strompreiserhöhung um einen Rappen pro kWh ankündigte, führte dies in der Schaffhauser Industrievereinigung zu massiven Protesten.

Die SVP-Parteileitung bezeichnet den Ständerat als «europhile Dunkelkammer», und sie zieht nun in den «Krieg», um sie zu erobern. Teilen Sie diese Ansicht? 
Germann: Über die Wortwahl müssen wir nicht diskutieren: Diese Bezeichnung ist eines Parlamentes unwürdig. In der Sache muss ich sagen, weshalb sollen wir nicht transparent machen, wie wir abstimmen? Ein elektronisches Abstimmungssystem würde sich aber wohl auf das Stimmverhalten auswirken.

Das heisst mehr Parteidisziplin? 
Germann: Ja. Aber ob man das wirklich will? Die Verfassung hält fest, dass ein Parlamentarier keine Weisungen entgegennehmen darf. Dies sollte man denjenigen in Erinnerung rufen, die allzu sehr auf Parteidisziplin pochen.

Die SVP moniert die Dominanz von FDP und CVP im Ständerat. Nur ist die schwache Vertretung der SVP selbstverschuldet, deshalb muss man doch nicht das System in Frage stellen. 
Germann: Dem stimme ich zu. Der Ständerat ist die Kammer der Kantone. Er ist ein Garant für Föderalismus und nationalen Zusammenhalt. Wäre er eine Kopie des Nationalrats, schaffte er sich selbst ab.

Wird Christoph Blocher gewählt? 
Germann: Er wird es sicher in den Nationalrat schaffen. Als Strategiechef macht er einen ausgezeichneten Job. Inhaltlich ist die SVP als Partei besser und klarer positioniert als früher. Das heisst aber nicht, dass es nicht noch Verbesserungspotenzial gäbe.

Zum Beispiel? 
Germann: Wir vergeben uns ein gewisses Potenzial in der durchaus bürgerlichen Mitte, das derzeit die Grünliberalen ausschöpfen. Wir mit unseren eher ländlichen Wurzeln haben traditionell einen engen Bezug zur Natur – in Umweltfragen sind wir viel zu defensiv. Statt auf die Luftschlösser von Öko-Fundis zu bauen, läge und liegt es an uns, realistische und wirtschaftsverträgliche Lösungen zu realisieren.

Wann fängt in der SVP die Nach- Blocher-Ära an? 
Germann: Der Krake Paul ist leider tot – wir können ihn nicht mehr befragen.