Der SVP-Ständerat und Aussenpolitiker Hannes Germann findet, dass die Schweiz statt des institutionellen Abkommens mit der EU lieber den bilateralen Weg fortführen soll. Und er sagt, warum er das Abkommen gern mit einer Versicherung vergleicht.
Im Gespräch mit: Hannes Germann
Anna Kappeler
Herr Germann, die SVP macht Fundamentalopposition gegen das Rahmenabkommen. Geht Ihre Partei nicht zu sorglos mit unserem wichtigsten Handelspartner um?
Hannes Germann: Natürlich ist die EU wichtig für uns. Aber mit dem institutionellen Abkommen (InstA) gehen wir eine einseitige Abhängigkeit ein, weil wir damit künftige rechtliche Anpassungen der EU einseitig übernehmen müssten. Dabei haben sich die Bilateralen bewährt. Mit anderen Ländern wie China, Japan oder der Efta haben wir ja auch Freihandelsabkommen. Dort wurden die Regeln partnerschaftlich, entweder bilateral oder multilateral, ausgehandelt. Mit der EU aber wäre es künftig ein unilaterales Diktat.
Aber: Erodiert der bilaterale Weg ohne Abkommen nicht?
Germann: Ich glaube nicht, denn die Verträge sind in gegenseitigem Interesse ausgehandelt worden. Wir müssen auf diesem bewährten Weg beharren. Andere Länder betreiben ja auch Handel mit der EU, ohne dass alles zugunsten der EU automatisiert wäre. Dort geht es also auch. Ich vergleiche das InstA gern mit einer Versicherung: Wenn man einen Vertrag abschliesst und unterzeichnet, stimmt es für beide Parteien. Nie im Leben würde ich der Versicherung erlauben, die Bedingungen einseitig zu ihren Gunsten anzupassen.
Müsste die SVP nicht hinstehen und sagen, wir wollen einfach nicht so eng mit euch?
Germann: Wir wollen massgeschneidert, nicht grundsätzlich nicht. Eng verbunden mit der EU sind wir ja sowieso. Wir müssen also den bestmöglichen Weg finden – und zwar gemeinsam. Die Lösung muss aber auch für die Schweiz stimmen.
Was schlagen Sie konkret vor?
Germann: Eben, den bilateralen Weg fortzusetzen.
Genau das aber will die EU nicht mehr.
Germann: Dann müssen wir halt zurück auf die Basis des Freihandelsabkommens von 1972. Das gilt ja nach wie vor. 1992 sind zum Beispiel unsere Efta-Partner Liechtenstein, Norwegen oder Island zusätzlich dem EWR beigetreten. Diese leiden heute ein Stück weit darunter, dass sich die EU gar nicht mehr so stark für den EWR interessiert. Die EU will ja den Vollbeitritt, nicht primär die wirtschaftliche Partizipation. Gleichwohl hat die EU auch ein Interesse daran, dass es mit der Schweiz funktioniert, gerade bei Dossiers wie den technischen Handelshemmnissen. Auch will sie auf Strasse und Schiene weiterhin günstig durch unsere Alpen fahren. Das einzig wirklich strittige Dossier ist die Personenfreizügigkeit.
Keine Angst, dass ein späteres Abkommen für die Schweiz schlechter wäre?
Germann: Das ist schwierig zu beurteilen. Der Bundesrat muss dann über das Abkommen entscheiden, wenn er sich einig ist. (Pause)Obwohl, einig wird er sich kaum. Ich präzisiere also: Der Bundesrat muss dann entscheiden, wenn es eine verlässliche Mehrheit für das Abkommen gibt. Und dann muss im Parlament alles auf den Tisch und später wohl auch vors Volk.
Und wann wird das sein? Die EU tritt hart auf auch gegenüber Grossbritannien. Können wir verhandlungstaktisch, so lange wir wollen, auf Zeit spielen?
Germann: Was heisst auf Zeit spielen? Die EU will ja das Abkommen. Nicht wir. Also muss auch sie sich die nächsten Schritte überlegen. Natürlich aber haben auch wir kein Interesse daran, mit der EU einen Handelsstreit vom Zaun zu brechen. Das würde beiden Seiten zu stark schaden. Ich sage nicht, wir sollen nicht verhandeln oder nicht nach Lösungen suchen. Im Gegenteil: Lösungen zu suchen, ist unsere Pflicht. Solange aber der Brexit über allem schwebt, ist es wohl schwierig für die Schweiz, ein gutes Ergebnis herauszuholen.
Was, wenn die EU genau vor den eidgenössischen Wahlen mit Retorsionsmassnahmen zurückschlägt? Schadet das im Wahljahr dann nicht der SVP als Hauptkritikerin der EU?
Germann: Es geht bei diesem Abkommen überhaupt nicht um die SVP. Es geht um die Schweiz. Und für unser Land wäre das vorliegende Abkommen schlecht. Zudem: Wir sind nicht mehr die einzigen Kritiker, die SP wehrt sich inzwischen ja auch.
Dann gibt es bald gemeinsame Wahlkampfveranstaltungen von SVP und SP?
Germann: (lacht) Das wäre spannend. Dann könnte man gemeinsam erläutern, dass man aus verschiedenen Gründen gegen das gleiche Endprodukt sein kann. Die Haltung, dass der Schweizer Lohn mit dem Abkommen in Gefahr wäre, teilen wir. Für die SP muss es allerdings viel schwieriger sein, gegen das Abkommen zu kämpfen. Sie ist ja die Partei, die grundsätzlich nach wie vor den EU-Beitritt will. Die SP hat eingesehen, dass es nicht sein kann, dass die EU unsere Löhne bestimmt respektive unsere bewährte Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften unterläuft.
Dass Bundesrat Ignazio Cassis die roten Linien dazu aufgegeben hat, war für die SVP ein Weihnachtsgeschenk schon im Sommer?
Germann: Es war ein grober Verhandlungsfehler der Schweiz, die roten Linien öffentlich zu machen. Man kann nicht verhandeln, wenn der Gegner genau weiss, bis wohin er gehen kann.
War das von Cassis wirklich bloss taktisch ungeschickt oder nicht vielmehr Kalkül?
Germann: Das war ein Fehler.
Falls bei allfälligen Nachverhandlungen die Unionsbürgerrichtlinie explizit ausgeschlossen und der Lohnschutz gewährleistet würde, setzten Sie sich dann für ein Ja zum Abkommen ein?
Germann: Dann würde es besser aussehen, aber die gewichtigen Mängel wie den einseitigen Automatismus und die fremden Richter hätten wir immer noch. Die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie ist ein No-Go, weil sie die Büchse der Pandora öffnen würde: Dann müssten wir EU-Bürgern künftig Sozialhilfe zahlen, ohne dass sie je auch nur einen einzigen Tag hier gearbeitet hätten. Das ist nicht akzeptabel.
Bundesrat Ueli Maurer will nachverhandeln, die EU sagt, es gebe diesen Vertrag oder keinen. Drohgebärde oder bald Tatsache?
Germann: Das ist wahrscheinlich eine verhandlungstaktische Drohgebärde, allerdings eine durchaus ernst gemeinte. Aber ich bin kein Hellseher. Ich versuche, eine möglichst rationale Politik zu machen, welche den Schweizer Bürgern und unserer Wirtschaft dient.
Apropos Wirtschaft: Der Ökonom Rudolf Strahm forderte jüngst einen Notfallplan der Regierung und die Prüfung von Gegenmassnahmen gegen die EU. Einverstanden?
Germann: Ja, ich finde Strahms Beurteilung richtig. Der Bundesrat braucht einen Notfallplan, aber er sollte nicht im Detail darüber sprechen. Die EU muss merken, dass sie auch etwas zu verlieren hat, wenn sie uns piesackt. Wenn die EU anfängt, willkürlich zu handeln und von rechtsstaatlichen Grundsätzen abzuweichen – Stichwort allfällige Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz –, dann ist es wirklich bedenklich. Dann wird sie möglicherweise schneller zerfallen, als sie zustande gekommen ist.
Das Gespräch mit einer Befürworterin des institutionellen Abkommens, mit Nationalrätin und Aussenpolitikerin Christa Markwalder (FDP/BE), publizieren wir ebenfalls diese Woche.