[Schaffhauser Nachrichten] Der AHV-Steuerdeal im Kreuzfeuer

Die Verknüpfung der Unternehmenssteuerreform und der AHV-Sanierung – ist sie ein Geniestreich oder des Teufels? Zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 19. Mai debattierte bei «Politik am Saal» der «Schaffhauser Nachrichten» gestern Abend eine hochkarätige Runde.

Mark Liebenberg

Die AHV-Steuervorlage im Widerstreit der Argumente: Kantonsrat Matthias Frick, Nationalrätin Regula Rytz, Moderatorin Sidonia Küpfer, Ständerat Hannes Germann und Nationalrat Thierry Burkart (v. l. n. r.) im Zunftsaal zun Kaufleuten, Schaffhausen. BILD SELWYN HOFFMANN
Die AHV-Steuervorlage im Widerstreit der Argumente: Kantonsrat Matthias Frick, Nationalrätin Regula Rytz, Moderatorin Sidonia Küpfer, Ständerat Hannes Germann und Nationalrat Thierry Burkart (v. l. n. r.) im Zunftsaal zun Kaufleuten, Schaffhausen. BILD SELWYN HOFFMANN

SCHAFFHAUSEN. Die grosse Knacknuss beim gestrigen SN-Podium zur AHV-Steuervorlage war die Verknüpfung der beiden Fragen zu einer Abstimmungsvorlage. Regula Rytz, Parteipräsidentin der Grünen Schweiz und Nationalrätin aus Bern, sagte: «Man wollte klar die Akzeptanz für die Steuervorlage mit der AHV-Finanzierung verbessern. Diese Verknüpfung ist falsch, und sie nimmt das Volks-Nein zur USR III nicht ernst.» Allein schon diese Verknüpfung von zwei Themen, die miteinander nichts zu tun hätten, sei für ihn ein Grund, ein Nein in die Urne zu legen, meinte der Schaffhauser AL-Kantonsrat Matthias Frick: «Falls das in Zukunft einreisst, haben Volksabstimmungen nicht mehr den gleichen Wert wie bis anhin.» Ständerat Hannes Germann hielt dagegen, das Bundesamt für Justiz sei in einem juristischen Gutachten zum Schluss gekommen, dass die Verknüpfung unbedenklich sei. «Natürlich ist sie in gewisser Weise unschön, das wird jetzt aber auch hochstilisiert», sagte Germann. Er warb für die Vorlage als «gut­eidgenössischen Kompromiss». «Das Par­lament hat versucht, die Fehler der ersten Abstimmung nicht zu wiederholen, sie besser sozial abzufedern und neben den Kinder- und Ausbildungsabzügen auch ­etwas für die Altersvorsorge zu tun, was dringend nötig ist.» Entscheidend sei für ihn, ob die beiden Teile der Vorlage richtig sind. «Ich sage ganz klar Ja», sagte Germann. Der ­Aargauer FDP-Nationalrat Thierry Burkart doppelte nach: «Die Schweizer Politik ist immer eine der kleinen Schritte. Wir lösen das AHV-Problem damit nicht, aber wenn wir gar nichts tun, ist die Kasse im Jahr 2035 leer. Und bei den heutigen Unternehmenssteuerregimes kommen wir bei der OECD auf die schwarze Liste.»

Die Steuervorlage will für alle Unternehmen gleich hohe Steuern, also ein Ende der heute tiefen Sonderbesteuerung für gewisse Gesellschaften und dafür die Senkung des Steuersatzes für alle Unternehmen, auch KMU. Auf die Frage der Moderatorin, SN-Inlandredaktorin Sidonia Küpfer, wie die Politiker ihren Freunden die komplexe Vorlage erklären, rechnete Burkart vor, welche Brisanz die Unternehmenssteuern hätten – nicht nur für Kantone wie Schaffhausen. «Fast 400 Firmen sind hier betroffen, 24 000 sind es in der ganzen Schweiz. ­Daran hängen 150 000 Arbeitsplätze und die Hälfte der Unternehmenssteuern beim Bund sowie die Hälfte der Investitionen in Forschung und Entwicklung.» Die Unternehmen blockierten zurzeit Investitionen, weil weiterhin Rechtsunsicherheit bestehe, sagte Germann. «Die Verunsicherung ist riesig, wie ich im Gespräch mit internationalen Unternehmern feststelle. Bleibt die Schweiz ein Ort, wo verlässliche Regeln herrschen oder nicht?» Denn die Konsequenzen eines Neins malten die Befürworter der AHV-Steuervorlage mit schwarzen Farben an die Wand: die drohende Abwanderung vieler Unternehmen in billigere Steuerstandorte.

Bauchweh machen den Gegnern indes vor allem die Steuerausfälle von jährlich 2 Milliarden Franken bei Bund und Kantonen. Rytz: «Es trifft den Mittelstand. Nicht alle Kantone werden ihre Unternehmenssteuern senken können, die Zeche bezahlen die Bürgerinnen und Bürger, wenn Leistungen gekürzt werden müssen, zum Beispiel in der Pflege, der Bildung oder bei Kinderkrippen.» Bei einem Nein sei schnell eine neue Vorlage erarbeitet, welche ohne Mindereinnahmen auskomme. Stattdessen würde bei einem Ja am 19. Mai die Steuerwettbewerbsspirale zwischen den Kantonen in Gang gesetzt.

Er wolle als Stimmbürger die Kantone aber nicht ertüchtigen, den Steuerdumpingwettbewerb untereinander und gegen andere Länder noch anzuheizen, sagte Matthias Frick: «Wir sind heute schon eine der üblen Steuerparadies-Inseln für Unternehmen, was es leider möglich macht, dass ­Gewinne global verschoben und nicht dort versteuert werden, wo sie erzielt werden. Das ist die falsche Politik.» Germann widersprach – die letzten beiden Unternehmenssteuerreformen hätten nachweislich bewirkt, dass schliesslich mehr ausländische Firmen in die Schweiz gekommen seien, was insgesamt ein Plus an neuen Arbeitsplätzen und auch mehr Steuereinnahmen zur Folge hatte.

Burkart sagte, man stärke den Standort Schweiz und die Arbeitsplätze (in Schaffhausen sind es rund 3200), indem es den Kantonen nach einem Ja möglich sei, ihre eigenen massgeschneiderten Lösungen zu treffen, mit den Werkzeugen, welche die Vorlage beinhaltet (Patentbox, Abzüge für Forschung und Entwicklung). Bei einem Nein würde Folgendes passieren: «Viele Kantone würden auf eigene Faust die ­Steuern senken, ohne die Gegenfinanzierung vom Bund.» Die Vorteile einer Zustimmung, so der Gast aus dem Aargau, überwögen klar.