Schaffhauser Nachrichten: Der nüchterne Diplomat zieht sich zurück

Bei der gestrigen Pressekonferenz: Didier Burkhalter erläutert, warum er sein Amt als Bundesrat niederlegt.Bild Key
Bei der gestrigen Pressekonferenz: Didier Burkhalter erläutert, warum er sein Amt als Bundesrat niederlegt.Bild Key

Aussenminister Didier Burkhalter hat gestern völlig überraschend per 31. Oktober seinen Rücktritt vom Amt als Bundesrat erklärt. Er wolle wieder mehr Zeit für sein Privatleben und andere Projekte haben. Auf dem internationalen Parkett hat der Neuenburger eine gute Figur abgegeben. Innenpolitisch fällt die Bilanz zwiespältig aus.

VON MAJA BRINER UND TOBIAS GAFAFER

Bei der gestrigen Pressekonferenz: Didier Burkhalter erläutert, warum er sein Amt als Bundesrat niederlegt.Bild Key
Bei der gestrigen Pressekonferenz: Didier Burkhalter erläutert, warum er sein Amt als Bundesrat niederlegt.Bild Key

Die einen bezeichnen ihn als graue Maus, die anderen als George Clooney. Beides hat ein Körnchen Wahrheit: Didier Burkhalter, der zurückhaltende stille Schaffer, blieb zuweilen blass – und machte doch auf der internationalen Bühne stets eine gute Figur. Die Aussenpolitik, sie liegt dem Neuenburger, der eine steile Karriere hingelegt hat. Mit 49 Jahren schaffte der FDP-­Politiker 2009 den Sprung in den Bundesrat. Es gelang ihm, den Sitz gegen die CVP zu verteidigen, die mit ihrem langjährigen Fraktionschef Urs Schwaller einen profilierten Kandidaten ins Rennen geschickt hatte.

Burkhalter gehört zu einer neuen Generation von Bundesräten: Er verbrachte praktisch sein ganzes Leben in der Politik. Der 57jährige Vater dreier Kinder war in Stadtregierung, Kantonsparlament, National- und Ständerat. Drei Jahrzehnte war er in der Politik – mit viel Herzblut, wie er gestern sagte.

Kein grosser Wurf im Innern

Die ersten Jahre im Bundesrat verliefen harzig für Burkhalter. Er übernahm von seinem Parteikollegen Pascal Couchepin das Innendepartement – und damit einige knifflige Dossiers. Burkhalters Wahl weckte Hoffnungen. Dem konsensorientierten Politiker traute man es zu, Kompromisse zu schmieden und Lösungen zu finden. Doch Burkhalter gelang der grosse Wurf nicht. In der Gesundheitspolitik betrieb er zwar mit einigem Erfolg eine Politik der kleinen Schritte. Entscheidend voranbringen konnte er die schwierigen Dossiers jedoch nicht. Reformen der Sozialversicherungen scheiterten aber, oder Burkhalter packte sie gar nicht erst an. Das Innendepartement – es war nicht Burkhalters Welt.

Und so nutzte der Westschweizer die Chance, als Aussenministerin ­Micheline Calmy-Rey (SP) Ende 2011 zurücktrat, und wechselte ins Aussendepartement. Ziel der Departementsrochade zwischen der FDP und der SP war auch, die Blockade in der Europa- und der Sozialpolitik aufzubrechen. Burkhalter kam das gelegen: Er fühlte sich im Aussendepartement sichtlich wohler. Richtiggehend aufgeblüht ist Burkhalter in seinem doppelten Präsidialjahr 2014. Der Zufall wollte es, dass die Schweiz die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehatte, als Burkhalter Bundespräsident war – und das mitten in der Ukrainekrise. Burkhalter vermittelte, reiste herum, weibelte vor und hinter den Kulissen für eine Lösung. Er erntete viel Lob, auch vom damaligen US-Aussenminister John Kerry, mit dem sich Burkhalter bestens verstand. Für das internationale Genf engagierte sich Burkhalter ebenfalls mit Erfolg.

Mutig packte er nach seinem Wechsel ins Aussendepartement auch das EU-Dossier an – und konnte bald Fortschritte bei den Verhandlungen verkünden. Doch dann kam der 9. Februar 2014: Die Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative machte dem Bundesrat einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Burkhalter plädierte daraufhin öffentlich für eine grosse Europaabstimmung. Aber der Gesamtbundesrat zog nicht mit. Burkhalters wichtigstes Dossier, die Europapolitik, kam seither kaum mehr vom Fleck.

Dennoch finden viele lobende Worte für ihn. Die St. Galler FDP-Ständerätin Karin Keller-Sutter sagte gestern über ihren abtretenden Partei- kollegen: «Burkhalter hat das Europadossier wieder an die Hand genommen, das seine Vorgängerin Micheline Calmy-Rey vernachlässigt hatte. Er hat den Fokus von Anfang an darauf gesetzt, den bilateralen Weg abzusichern.» Das sei sehr wichtig gewesen, sagt die Aussenpolitikerin. Burkhalter habe zudem für die Schweiz international eine gute Visitenkarte hinterlassen.

Kritik als Kompliment

Lob kommt auch von links. «Ich bedaure seinen Rücktritt sehr», sagte SP-Präsident Christian Levrat, Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Burkhalter habe versucht, das EU-Dossier weiterzubringen. Levrat lobt auch Burkhalters Rolle in der OSZE und sein Engagement für die Entwicklungshilfe. «Leider ist er oft in seiner eigenen Partei aufgelaufen», sagte er.

Von rechts kam Burkhalter immer wieder unter Beschuss: Er vertrete im Bundesrat die bürgerliche Linie zu wenig, kritisierte die SVP. Burkhalter sagte gestern, er nehme das als Kompliment, denn Unabhängigkeit sei ihm wichtig. Der Neuenburger gilt allerdings auch als harmoniebedürftig. Im Bundesrat habe er sich wenig in die Dossiers der anderen eingemischt, heisst es.

Obwohl er die Auftritte in internationalen Organisationen und bei bilateralen Treffen sichtlich genoss, scheute er das grosse Rampenlicht. Er gab wenig Interviews, arbeitet zuletzt oft von zu Hause aus. Die grosse Bühne, welche die Diskussion über die Zukunft des bilateralen Wegs bietet, überlässt er nun seinem Nachfolger.

«Ich bedaure seinen Rücktritt sehr. Leider ist er oft in seiner eigenen Partei aufgelaufen.»

SP-Präsident

So reagieren die Schaffhauser Politiker Für die einen ein Verlust, für die anderen eine Notwendigkeit

Didier Burkhalters Rücktritt hat auch in der Schaffhauser Politlandschaft für grosse Überraschung gesorgt. «Im ganzen Saal war es mucksmäuschenstill. Und nach dem Schweigen waren erst einmal alle perplex – damit hatte keiner gerechnet», beschreibt SP-Nationalrätin Martina Munz die Minuten während und nach der Rücktrittsverlesung durch Nationalratspräsident Jürg Stahl. Für sie sei Burkhalters Abgang ein Verlust. Er sei «durch und durch» ein Liberaler gewesen. Er habe eine eigenständige, offene Europapolitik verfolgt und «war kein FDPler, der mit der SVP auf Schmusekurs» ging.

Genau das könnte ihm laut dem ehemaligen Schaffhauser Nationalrat und alt FDP-Parteipräsidenten Gerold Bührer mit zum Verhängnis geworden sein. Die Gründe für Burkhalters Rücktritt seien wohl vielseitig gewesen, aber «vielleicht hat ihn beschäftigt, dass ihm nachgetragen wurde, oft das Zünglein an der Waage zu sein – und zwar zulasten der bürgerlichen Positionen», sagt Bührer. Denn die europapolitische Agenda sei innenpolitisch äusserst sensibel.

«Auf dem Papier bürgerlich»

Dem stimmt der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann zu. «Politisch gesehen setzte er natürlich schon andere Schwerpunkte als wir», sagt er über den scheidenden Bundesrat. Je nach Nachfolger könne es zu einer Verschiebung im Bundesrat kommen – was für Germann durchaus wünschenswert wäre. «Dann wäre der Bundesrat nicht mehr nur auf dem Papier bürgerlich», sagt er. Amtsmüde habe Burkhalter auf ihn nicht gewirkt. Mit seiner «welschen Art» sei er ein guter Repräsentant gewesen, hinterlasse aber auch viele offene Baustellen.

«Es war an der Zeit»

Deutlichere Worte zu dieser Thematik findet der parteilose Ständerat Thomas Minder: «Burkhalter hat keine einzige Baustelle geschlossen, weder in der Europapolitik noch mit der grössten Immigrantengruppe in der Schweiz, den Eritreern.» Obwohl er der geborene Diplomat sei, habe er in der Krim-Krise nichts vollbracht – «trotz guter Beziehungen der Schweiz zu Russland». Burkhalters Bilanz sei wirklich nicht gut – «es war an der Zeit, dass er zurücktritt», sagt Minder.

Der frühere Schaffhauser FDP-Ständerat Peter Briner widerspricht. Seiner Ansicht nach hat Burkhalter seinen Job «sehr gut» gemacht. Er sei offen auf Leute zugegangen und im Ausland gut angekommen. Briner glaubt nicht, dass das Rahmenabkommen mit der EU etwas mit Burkhalters Rücktritt zu tun habe. «Dafür spukt es schon viel zu lange durch die Räume», sagt Briner

Der alt Ständerat hofft, dass der Sitz jetzt in die Ostschweiz zurück- geholt werden kann. Die St. Galler Ständerätin Karin Keller-Sutter wäre für ihn die Richtige. Hier pflichtet ihm Minder bei: «Nun schlägt die Stunde von Karin Keller-Sutter. Sie ist die ideale Lösung, über sie kann ich nichts Schlechtes sagen», so Minder.

Eine Frau «fast zwingend»

SVP-Ständerat Germann will zwar keine Namen nennen, er sieht aber auch die Ost- oder die Zentralschweiz im Vordergrund. Ebenfalls zu früh für Spekulationen um einen allfälligen Nachfolger ist es für den SVP-Nationalrat Thomas Hurter: «In den nächsten Monaten werden viele ­Namen genannt werden und auch wieder verschwinden.»

Konkretere Vorstellungen hat hingegen Martina Munz: «Für mich ist es jetzt fast zwingend, dass eine Frau Burkhalters Nachfolgerin wird – und dass sie aus der Romandie kommt.» Zum Teil würde man entsprechende Kandidatinnen in Bundesbern noch gar nicht kennen, weil sie derzeit noch als Regierungsrätinnen aktiv seien.

Auf einen lateinischen Nachfolger tippt «gemäss der Tradition der Partei» auch Gerold Bührer. «Obwohl wir auch in der Deutschschweiz gute Kandidaten hätten», fügt er an.

Alexa Scherrer und Anna Kappeler

Nachfolge FDP sucht in der Westschweiz

LausanneNach dem Rücktritt von Bundesrat Didier Burkhalter ist für Ständerat Andrea Caroni (FDP/AR) klar: Die FDP sucht einen lateinischen Nachfolger. Das sei auch die Meinung des Parteipräsidiums. Es sei eine langjährige Tradition der FDP, im Bundesrat mit zwei Sprachregionen vertreten zu sein, sagte Caroni. Er jedenfalls stehe als Kandidat nicht zur Verfügung. Für eine allfällige Rochade – bei der Burkhalters Sitz durch einen Deutschschweizer und der später frei werdende Sitz von Johann Schneider-Ammann durch einen Westschweizer ersetzt wür- den – sieht Caroni «absolut keinen Grund». Schneider-Ammann werde die bis 2019 dauernde Legislatur beenden, hiess es gestern in seinem Departement. Alle Augen richten sich deshalb auf die Westschweiz und das Tessin, das seit dem Rücktritt von CVP-Bundesrat Flavio Cotti 1999 nicht mehr vertreten ist.

Tessiner FDP in den Startlöchern

Die Tessiner FDP steht in den Startlöchern und nahm noch gestern Abend mit den FDP-Vertretern Fabio Abate, Giovanni Merlini und Ignazio Cassis in Bern Kontakt auf. Cassis hatte sich als Chef der Bundeshausfraktion der Freisinnigen einen Namen gemacht, allerdings hatte ihn sein Widerstand gegen die Reform der Alters- vorsorge bei der Linken viel Sympathie gekostet.

In der Romandie fällt sogleich der Name von Pierre Maudet. Der erst 39-Jährige wurde als starke Kraft in der Genfer Kantonsregierung bekannt. Maudet machte gestern keine Angaben zu einer allfälligen Kandidatur. Aus dem Wallis erteilte der FDP-Nationalrat Philippe Nantermod gestern sofort eine Absage. Vorsichtig äussert sich der Waadtländer Finanzdirektor Pascal Broulis. Die Waadt und der Kanton Freiburg sind allerdings bereits im Bundesrat vertreten.

Schwierig dürfte es für Deutschschweizer Kandidaten werden. Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG) und ­Nationalrat Kurt Fluri (SO) werden genannt. Doch Politologe Andreas Ladner nimmt nicht an, dass für die FDP zwei Deutschschweizer Bundesräte eine gute Option wären. Insofern dürften auch die Chancen des Schaffhauser Regierungsrates Christian Amsler gering sein.(sda/r.)