
Die Bundesratswahlen sind nicht nur parteipolitisch umstritten. Es geht auch um die Vertretung der Ostschweiz.
von Doris Kleck
Bern/schaffhausen Die Ausgangslage für die Bundesratswahlen vom 14. Dezember präsentiert sich unübersichtlich: Gelingt es der SVP, den zweiten Sitz zurückzuerobern? Wenn ja, auf Kosten der BDP oder der FDP? Oder gar der SP, deren zwei Sitze erst am Schluss vergeben werden? Für die Parteistrategen gibt es noch viele Gespräche zu führen und Absprachen zu treffen. Parallel dazu läuft für die SP, welche den Sitz von Micheline Calmy-Rey neu besetzen muss, und für die SVP, die den zweiten Sitz will, die Kandidatensuche auf Hochtouren. Bei der SP lichtet sich das Kandidatenfeld – die Meldefrist läuft nächste Woche ab –, bei der SVP werden die möglichen Kandidaten immer mehr. Erst heute trifft sich der SVP-Fraktionsvorstand, um das weitere Vorgehen festzulegen. SVP-Generalsekretär Martin Baltisser geht davon aus, dass der Fraktionsvorstand beschliessen wird, die Kantonalparteien aufzurufen, bis Ende November ihre Kandidaten zu melden.
Verschiedene Szenarien
Galten bis vor den Wahlen der Freiburger Nationalrat Jean-François Rime und Fraktionschef Caspar Baader als Favoriten der SVP-Parteileitung, haben Strategiechef Christoph Blocher und Präsident Toni Brunner diese Woche neue Optionen ins Spiel gebracht – Kandidaten aus der Ost- und der Innerschweiz. Baltisser begründet diese «Öffnung des Kandidatenfeldes» damit, dass sich die SVP auf unterschiedliche Szenarien einstellen müsse. Die Fraktion werde ihre Kandidaten erst vor der Wintersession nominieren. «Bis dann kennen wir die Ausgangslage besser, jetzt ist es noch zu früh, regionale Eingrenzungen zu machen», so Baltisser. Damit unterscheiden sich die Vorgehen von SVP und SP: Die Sozialdemokraten wollen bei den Bundesratswahlen explizit mit einem Mann aus der lateinischen Schweiz antreten. Kandidaturen aus der Deutschschweiz sind nicht gefragt. Für den Schaffhauser Ständerat Hannes Germann ist allerdings klar, dass die SVP den Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf mit einem Kandidaten aus der Ostschweiz angreifen muss. Denn Widmer-Schlumpf ist die einzige Bundesrätin aus der östlichen Schweiz. Würde sie abgewählt, stände die Ostschweiz ohne Vertretung da. Das gab es in der Geschichte des modernen Bundesstaates erst zweimal: Zwischen 1921 und 1933 sowie in den 60er-Jahren. Germann, er erzielte 2008 bei der fraktionsinternen Nomination für die Nachfolge von Samuel Schmid ein sehr beachtliches Resultat, könnte sich eine erneute Kandidatur vorstellen, wenn es eine «reelle Chance» gibt, den ersten Bundesratssitz für den Kanton Schaffhausen zu erobern. Allerdings, so sagte er gestern, liege seine Priorität bei der Präsidentenlaufbahn. Läuft alles wie geplant, wird Germann die kleine Kammer 2013 präsidieren. Der Schaffhauser Nationalrat Thomas Hurter will sich zu allfälligen Bundesratsambitionen noch nicht äussern: «Die Partei muss zuerst über die Strategie befinden, wie sie den zweiten Bundesratssitz zurückholen will», so Hurter. Eine Kandidatur aus der Ostschweiz steht aber auch für ihn im Vordergrund. Für die beiden Schaffhauser Parlamentarier ist ein SVP-Angriff auf den Sitz der Bündnerin Widmer-Schlumpf also naheliegend. Generalsekretär Baltisser aber schliesst eine welsche Kandidatur nicht aus. Er sieht den Anspruch der Sozialdemokraten auf einen Bundesrat aus der Westschweiz nicht in Stein gemeisselt. «Als wählerstärkste Partei wäre es durchaus sinnvoll, mit je einem Vertreter aus der Deutschschweiz und der Westschweiz im Bundesrat vertreten zu sein». Für Baltisser ist die Ausgangslage für eine abschliessende Beurteilung derzeit noch zu unübersichtlich.
Die Absagen
Doch gäbe es – nebst Germann und Hurter – valable Kandidaten in der Ostschweiz? Eine ganze Reihe hat bereits via Radio DRS abgesagt. Dazu gehört der neu gewählte Thurgauer Ständerat und ehemalige Regierungsrat Roland Eberle. Für den Ausserrhoder Regierungsrat Köbi Frei ist eine Kandidatur ebenfalls «kein Thema». Und der Thurgauer Nationalrat Hansjörg Walter wird als künftiger Präsident der grossen Kammer die Bundesratswahl leiten und sagt deshalb nichts zum Thema.