[Schaffhauser Nachrichten] Der permanente Ständerat

Seit fast zwei Jahrzehnten ist Hannes Germann (SVP) Ständerat. Obwohl er in der kommenden Amtszeit das AHV-Alter erreicht, will er noch nicht davon sprechen, seinen Sitz freizugeben. Im Schaffhauser Volk gilt er als unbestritten. Bei der SVP-Führung ist er weniger beliebt.

Zeno Geisseler

«Ich fühle mich wohl und am richtigen Platz im Ständerat»: Hannes Germann. BILD SELWYN HOFFMANN
«Ich fühle mich wohl und am richtigen Platz im Ständerat»: Hannes Germann. BILD SELWYN HOFFMANN

Glückwünsche, Blumen, Apéros: Für die meisten Politiker ist der Tag ihrer Amts­einsetzung ein Moment der ungetrübten Freude. Bei Hannes Germann war das ­anders. Als er am 16. September 2002 im Bundeshaus vor Ständeratspräsident Anton Cottier tritt und «mit fester Stimme», wie die SN damals berichten, den Eid ablegt, herrscht im Saal auch Traurigkeit. Drei Monate zuvor, im Juni 2002, war sein Amtsvorgänger, SVP-Ständerat Rico E. Wenger aus Stein am Rhein, überraschend an einer schweren Erkrankung verstorben. Wenger wurde nur 56 Jahre alt.

Gegen Widmer Gysel gewonnen

Germann, damals 46, arbeitete 2002 als Wirtschaftsredaktor für die SN. Daneben hatte er sich bei der SVP schon länger politisch engagiert. Er war Erziehungsrat gewesen und vier Jahre lang Kantonsrat. Im Sommer 2000 hatte er für den Regierungsrat kandidiert und den Einzug nur um knapp 500 Stimmen verpasst. Seit 1997 war er Gemeindepräsident von Opfertshofen. Doch er dachte daran, die Politik langsam aber sicher hinter sich zu lassen. «Das Spannungsfeld zwischen Journalismus und Politik wurde mir zu gross, und ich musste mir überlegen, ob ich künftig in der Politik oder im Journalismus meinen Schwerpunkt setzen wollte», sagt er heute rückblickend. «Und eigentlich hatte ich mich bereits für Journalismus und Wirtschaft entschieden.»

Und dann wurde überraschend dieser Sitz in Bern frei. Es ging alles sehr schnell. Germann setzte sich im Juli parteiintern gegen vier Konkurrenten durch, Kantonsrätin Annelies Keller, Kantonsrat Markus Müller, Forstmeister Walter Vogelsanger und Rosmarie Widmer Gysel, die damalige Parteipräsidentin. Im August liess er bei den Ständeratswahlen seinem Herausforderer, SP-Regierungsrat Hermann Keller, keine Chance. Im September wurde er vereidigt.

«Es war schon eine Überraschung»

Caspar Heer, ehemaliger SN-Journalist und zeitweiliger Bürokollege Germanns, blickt zurück: «Es war schon eine Überraschung, als man Hannes für den Ständerat aufstellte. Viele hatten ihn unterschätzt. Doch er hat sehr viel Format entwickelt. Er ist im Amt gewachsen.»

Peter Briner, 1999 bis 2011 für die Schaffhauser FDP im Ständerat, war vom neuen Kollegen beeindruckt. «Er hat sich sehr schnell zurechtgefunden», sagt er. «Er hat das nötige Gespür und die Affinität zu Kontakten mitgebracht.»

Mit seiner Art kommt Germann auch zu Hause in Schaffhausen an wie kein anderer Politiker vor ihm: 2015 holt er im kleinen Kanton 21 000 Stimmen, ein Rekord. Sein Name steht auf sechs von zehn Stimm­zetteln. «Hannes Germann ist in Schaffhausen quasi ein Volksheiliger», sagt Briner anerkennend. Germann selbst führt das Resultat auf seine engen Kontakte zur Bevölkerung zurück. «Ich versuche, mich in andere Leute hineinzuversetzen und nehme ihre Anliegen ernst.»

Und natürlich gilt er als moderater SVP-ler. Als einer, der es mit seiner Art und seiner Haltung eben nicht nur auf die erste Linie auf dem Wahlzettel der SVP-Anhänger schafft, sondern gerne auch auf die zweite Linie bei einem FDP-ler oder einer SP-Wählerin. «Er ist ein treuer SVP-Mann, aber nicht verblendet oder ideologisch», sagt Briner. Ex-SN-Kollege Heer sieht das gleich: «Wir standen politisch nicht auf der gleichen Linie. Ich erlebte ihn aber nicht als stur. Man konnte gut mit ihm ­diskutieren. Und er ist für seine Arbeitskollegen eingestanden. Auch für jene, die seine politischen Meinungen nicht immer teilten.»

Der Fast-Bundesrat

Zu jenen, die seine politische Meinung nicht immer teilen, gehört auch seine eigene Partei. Jedenfalls die nationale Führung. Immer wieder tritt Germann öffentlich als Kritiker in Erscheinung, warnt vor einer «zu zentralistischen Strategie», spricht von «Machtdemonstrationen», die «bei der Basis Kopfschütteln auslösen». Zum jüngsten SVP-Aufreger, dem umstrittenen Apfel-Plakat, meinte er: «Einmal mehr ist das völlig neben den Schuhen.»

Germann kultiviert diese Distanz durchaus. «Wenn Journalisten einen SVP-Kritiker aus den eigenen Reihen suchen, rufen sie immer bei Hannes Germann an», sagt die Schaffhauser Bundeshausjournalistin Doris Kleck, Co-Leiterin Inland von CH Media.

Diese Haltung dürfte ihm den Weg in höhere Sphären versperrt haben. Mehrere Male war Germann als Bundesrat im Gespräch. Ein Sitz in der Landesregierung wäre für ihn wie für seinen Kanton ein riesiger Erfolg: Noch nie hat Schaffhausen einen Bundesrat gestellt. Dass seine Partei ihn aufs Ticket hieven würde, wäre aber eine ziemliche Überraschung. «Er ist wohl einfach zu wenig auf Blocher-Linie», sagt auch alt Ständerat Briner.

Oder gibt es doch noch Hoffnung? Erst vor ein paar Wochen, Ende Juli, hat ausgerechnet die Blocher-nahe «Weltwoche» ihn als möglichen Nachfolger von Ueli Maurer genannt. Für den 63-jährigen Germann ist der Bundesrat aber kein Thema mehr: «Ich fühle mich wohl und am richtigen Platz im Ständerat, ich verschwende keine Minute an diesen Gedanken.»

Die Differenzen mit der nationalen SVP will er nicht kleinreden, aber auch nicht überhöhen. Ja, es gebe Reibungsflächen und unterschiedliche Auslegungen. Aber: «Ich bin national in vielen Kernfragen mit der SVP einig. Ich schätze ihre Gradlinigkeit und Verlässlichkeit, sie bringt Themen auf den Tisch.» Er sei aber eben kein Parteisoldat, «sondern Vertreter des Standes Schaffhausen. Und die Schaffhauser SVP trägt meine Politik voll mit.»

Germann räumt ein, dass ihm seine Funktion mehr Spielraum erlaube. «Im Ständerat vertritt man in erster Linie seinen Kanton. Als Nationalrat hat man wohl nicht die gleiche Freiheit.»

Ob Germann bei den Wahlen 2019 einen neuen Rekord schaffen wird, ist ungewiss. Praktisch sicher ist aber seine Wiederwahl. Weder Thomas Minder noch Christian Amsler noch Patrick Portmann werden ihm das Wasser reichen können. Er selbst gibt sich bescheiden. «Eine Wahl ist eine Wahl, trotz guter Vorzeichen», sagt er. «Ich habe einen grossen Respekt vor meinen Mitbewerbern und nehme die Sache ernst.»

Letzte Amtszeit?

Im Raum steht allerdings die Frage, ob dies altershalber seine letzte Legislatur sein wird. Bei den Wahlen 2023 wird Germann 67 Jahre alt sein. Würde Germann dann nicht mehr kandidieren, müsste er noch weniger Rücksicht nehmen auf die Parteidoktrin. Ein Finale Furioso also? Germann lässt das offen. «Ich», sagt er, «konzentriere mich jetzt erst mal ganz auf diesen Wahlgang.»

Aus Sicht von Bundeshausjournalistin Kleck hingegen wäre es langsam Zeit für einen Abgang: «Gerade so ein kleiner Kanton braucht frisches Blut», sagt sie. In Schaffhausen gebe es nur sehr wenige ­politische Topjobs, vier Leute in Bern, fünf Regierungsräte, vielleicht noch die ­Stadtregierung. «Da sollte man Nachwuchsleute nicht vergraulen», sagt sie. «Germann ist heute schon der zweitamtsälteste Ständerat.»

Zur Person Hannes Germann

Partei : SVP

Alter : 63

Wohnort : Opfertshofen

Zivilstand : verheiratet, zwei Kinder

Beruf : Betriebsökonom, früher tätig u.a. als Lehrer und Redaktor (SN).

Politik : Seit 2002 Ständerat; früher u. a. Kantonsrat und Gemeindepräsident. Mandate u.a. Präsident der Ersparniskasse Schaffhausen, Vize­präsident des Elektrizitätswerks des Kantons (EKS), Präsident Schweizerischer Gemeinde­verband, Präsident ­Stiftung diheiplus

Hobbys Lesen und Sport (Fussball, Jogging, Skifahren), Musik, Kultur

Hannes Germann über …

… den Klimawandel «Das merkt doch jedes Kind.» («Tages-Anzeiger», 17. April 2019.)

… Journalisten und Politiker «Der Politiker spricht manchmal von Dingen, über die besser nicht geschrieben würde, und der Journalist schreibt manchmal Dinge, über die gar nicht gesprochen wurde.» (SN-Interview, 15. März 2003.)

… die Milizarbeit «Die Milizarbeit gehört zur DNA unseres Landes und ist für die Schweiz unverzichtbar.» ( Am 1. August auf dem Rütli, aufgezeichnet von der «Luzerner Zeitung».)

… Karin Keller-Sutter «Wenn sie es nicht schafft: Wer soll es dann je schaffen in den Bundesrat?» («Tages-Anzeiger», 6. Dezember 2018, zur neuen Bundesrätin. Auch der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler hatte sich beworben.)

… Schaffhauser e-Government «Die Möglichkeit einer interaktiven Übermittlung der Steuerdaten ist auf das Jahr 2004 geplant.» (SN vom 22. Februar 2002 über das elektronische Ausfüllen der Steuererklärung. Die «interaktive» Übermittlung der Daten ans Steueramt ist bis heute nicht realisiert worden.)

… den Swiss-Verkauf «Für 65 Millionen würde Unilever nicht einmal seine Chirat-Gurken verkaufen.» («Blick», 16. März 2005. Damals hiess es, die Lufthansa wolle für die Swiss 65 Millionen Euro bezahlen. Es wurden dann aber über 300 Millionen.)

… das SVP-Apfel-Plakat «Da fehlen einem die Worte.» (SN, 20. August 2019)