Schaffhauser Nachrichten: «Der Telekommarkt wird aufgemischt»

Am kommenden Mittwoch berät der Nationalrat über die Privatisierung der Swisscom. SP-Präsident Hans-Jürg Fehr wird dagegen stimmen. Im SN-Streitgespräch sagt er, warum. Der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann hingegen ist ein Privatisierungsbefürworter.

von Michael Brunner und Hans Wicki

Herr Germann, haben Sie als Präsident der kleinen, ländlichen Gemeinde Opfertshofen keine Angst, dass durch die Swisscom-Privatisierung die Grundversorgung in Randregionen gefährdet wird?
Hannes Germann: Nein. Die Grundversorgung kann auch ohne halbstaatliche Swisscom erbracht werden. Das muss der Bundesrat nun aufzeigen. Gesetzlich besteht ein klarer Auftrag, da ändert sich nichts. Weiterhin wird ein Unternehmen – beste Chancen hat die Swisscom – den Grundversorgungsauftrag erhalten und die vom Bund definierten Leistungen auch für die Randregionen erfüllen. Herr Fehr, Sie zweifeln daran, dass die Grundversorgung mit einer privatisierten Swisscom erbracht werden kann.
Hans-Jürg Fehr: Ja. Grundversorgungssicherheit und Grundversorgungsqualität würden durch die Swisscom-Privatisierung gefährdet. Da reicht es nicht, gesetzliche Vorgaben zu machen. Wahrscheinlich wird die Swisscom mitsamt dem Festnetz ins Ausland verkauft, vielleicht an renditesüchtige Investoren. Was der Käufer danach mit der Swisscom macht, wissen wir nicht. Es ist etwa denkbar und in anderen Fällen so passiert, dass er die Swisscom ausweidet und in Einzelteile zerlegt. Solange die Swisscom dem Bund gehört, kann er sie nicht nur an der langen Leine über das Gesetz, sondern auch an der kurzen über die Strategie führen. Nur das sichert uns den hochklassigen Service public.
Germann: Wer eine Konzession übernimmt, bekommt nur dann Geld, wenn der Auftrag erfüllt wird. Damit hat das Unternehmen ein vitales Interesse, sich an die Konzessionsbestimmungen zu halten. Dank der Neuvergabe der Konzession für 2008 bis 2012 könnte der Netzausbau sogar zusätzliche Impulse zu Gunsten einer verbesserten Grundversorgung in Randregionen und in Zentren erhalten.

Aber wird dies für die Allgemeinheit nicht viel teurer?
Fehr: Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich gross, dass ein künftiger Konzessionsnehmer eine Abgeltung für gemeinwirtschaftliche Leistungen verlangt. Das kostet rasch ein paar 100 Millionen Franken pro Jahr. Heute liefert die Swisscom dem Bund jährlich ein paar 100 Millionen Franken ab. Ich kann daher nicht nachvollziehen, warum man am heutigen Zustand etwas ändern sollte.
Germann: Die Swisscom gibt heute Geld als Gewinn an den Staat ab, das wir Konsumenten zuvor bezahlt haben. Da beisst sich die Katze also in den Schwanz. Was nicht heisst, dass die Swisscom kein gutes Unternehmen wäre. Ich selbst bin zufriedener Swisscom-Kunde.
Fehr: Die Privatisierung brächte noch weitere Risiken. Ich befürchte, dass ein privater Eigentümer nicht ins Netz investiert. Dagegen könnte niemand etwas unternehmen. Der Anbieter erhielte allenfalls die Konzession nach vier Jahren nicht mehr. Aber dann haben wir ein veraltetes Netz. Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass die Unternehmung während der Konzessionslaufdauer den Besitzer wechseln kann. Dann kann sich der neue Besitzer auf den Standpunkt stellen, diese Konzession gehe ihn nichts an. Was dann?
Germann: Das wäre dann eine Konzessionsverletzung, die den Verursacher teuer zu stehen käme.
Fehr: Nein, eingegangen ist die Verpflichtung der erste Käufer. Das ist eine reale Gefahr.
Germann: Die Beispiele sind an den Haaren herbeigezogen. Es hat niemand ein Interesse daran, ein Netz zu besitzen und dieses dann nicht kommerziell zu nutzen. Zudem lässt sich dies über entsprechende Auflagen bei der Konzessionsvergabe verhindern. Nicht vergessen werden darf auch die technische Entwicklung. Es wird schon bald mehrere Netze geben, über die die Grundversorgung sichergestellt werden kann. Von einem funktionierenden Wettbewerb – mit geschickt formulierter Konzession – werden namentlich auch die Randregionen profitieren.

Herr Germann, wo sehen Sie umgekehrt Gefahren, wenn die Swisscom mehrheitlich in Staatsbesitz bleibt?
Germann: Wir würden auf unserer staatlichen Gesellschaft sitzen bleiben und ihr Fesseln anlegen. Fast alle anderen europäischen Länder haben frühzeitig die Weichen für mehr Markt gestellt und sich von ihren staatlichen Telekommunikationsunternehmen getrennt. Mit dem staatlichen Zwangskorsett gefährden wir die zukünftige Marktposition von Swisscom. Das schätzen der neue Konzernchef Carsten Schloter und auch der neue VR-Präsident übrigens genau gleich ein. Wir sollten diese Stimmen ernst nehmen, sonst laufen wir Gefahr, ein gigantisches Volksvermögen in einem unsicheren Markt zu vernichten.

Herr Fehr, die Swisscom fühlt sich eingeengt. Wollen Sie dem Unternehmen Steine in den Weg legen?
Fehr: Aus einer betriebswirtschaftlichen, kapitalistischen Logik heraus ist die Privatisierung anzustreben, das ist ganz klar. Daher ist verständlich, dass Herr Schloter so denkt. Aber der Service public, dem die Swisscom verpflichtet bleiben soll, ist eben etwas anderes. Er folgt der Logik der Bedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft, nicht der Logik der Börse. Ins gleiche Kapitel gehört die Frage der Auslandsengagements. Ich habe den früheren Konzernchef Jens Alder jedes Jahr einmal gefragt, ob Auslandsengagements nötig sind. Alder sagte immer, für den Service public in der Schweiz müsse er nicht ins Ausland. Da würden Teilkooperationen reichen, um gewisse Leistungen sicherzustellen. Wenn er hingegen seine amerikanischen Privataktionäre zufrieden stellen wolle, dann müsse er ins Ausland. Daran sieht man sehr schön: Will man den Investoren dienen, dann muss man privatisieren. Wenn man den Interessen der Schweizer Bevölkerung dienen will, dann nicht.

Verstehen wir Sie richtig, Herr Fehr? Sie finden den Bundesratsentscheid, wonach eine nicht privatisierte Swisscom praktisch nicht ins Ausland gehen kann, richtig?
Fehr: Die SP hat immer gesagt, die Swisscom müsse jene Auslandsinvestitionen tätigen können, die es ihr erlauben, den Service-public-Auftrag in der Schweiz optimal zu erfüllen. Andere Auslandsinvestitionen, die nur Kapitalinteressen befriedigen, sind nicht nötig. Gerade bei Auslandsengagements, die aus Sicht der Grundversorgung nicht nötig waren, hat die Swisscom viel Geld verloren. Germann: Ich bin überrascht, wie kritisch Sie die Auslandsengagements der Swisscom nun plötzlich beurteilen. Sie waren es doch, der Bundesrat Christoph Blocher am heftigsten kritisierte. Er vernichte Volksvermögen, indem er die Übernahme von Eircom verhindere, sagten Sie.
Fehr: Blocher wollte zunächst jegliche Auslandsinvestition verbieten, also auch jene, die zur Erbringung des Service public im Inland wichtig sind. Dagegen hat sich die SP gewehrt.
Germann: Aber SP-Bundesrat Moritz Leuenberger hat nie etwas gegen die Dutzend Auslandsengagements unternommen, mit denen bis jetzt rund vier Milliarden Franken Schweizer Volksvermögen vernichtet worden sind. Er hätte auch beim riskanten Einstieg bei der irischen Eircom zugeschaut. Zudem zeigt die ganze Diskussion etwas Grundsätzliches sehr deutlich: Wir können nicht ein national gesteuertes Unternehmen im Weltmarkt mitmachen lassen. Mit Ihren Zielen müssten Sie, wenn schon, konsequent sein und die Rückführung der Swisscom ins Eigentum des Staates fordern. Damit wäre die Swisscom ein Betrieb wie die SBB. Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit, kostete aber zunächst sieben Milliarden, weil der Bund dann ein Drittel der Aktien zurückkaufen müsste.

Herr Fehr, wollen Sie die Swisscom wieder ganz verstaatlichen?
Fehr: Darüber müssen wir jetzt nicht sprechen. Das hat niemand verlangt. Wir wollen nur, dass der Bund weiterhin die Mehrheit der Swisscom-Aktien hält.

Herr Germann, sind die Gefahren einer halbstaatlichen Swisscom gebannt, wenn sie, wie es Herr Fehr will, keine riskanten Auslandsgeschäfte machen darf?
Germann: Nein, überhaupt nicht. Der Telekommarkt wird in den nächsten Jahren aufgemischt. Bald könnten auch Stromanbieter mit ihren Verbindungen in jedes Haus in den Kommunikationsmarkt einsteigen. Die Swisscom würde unter massiven Druck geraten, Vermögen vernichtet werden. Jetzt können wir dieses Vermögen für den Staat und die Steuerzahler, denen es ja auch gehört, sichern. Ein zusätzliches Problem, welches bestehen bleiben würde, sind die Interessenkonflikte des Bundes im Telekommunikationsbereich: Der Staat ist heute Gesetzgeber, Regulator, Hauptkunde und Besitzer in einem. Als Besitzer wollen wir jährlich eine fette Dividende in der Staatskasse sehen. Gleichzeitig sollen wir den Swisscom-Konkurrenten einen fairen Wettbewerb gewährleisten. Sie spüren: Mit der jetzigen Lösung manövrieren wir uns immer tiefer ins Dilemma.

Zum Schluss noch ein Ausblick auf die Debatte im Nationalrat. Hannes Germann, welche Seite wird gewinnen?
Germann: Wenn alle Parteien so stimmen, wie sie es angekündigt haben, wird die Privatisierung keine Mehrheit finden.
Fehr: Es zeichnet sich ab, dass die Vorlage im Nationalrat scheitert. Danach dürfte die CVP-SP-Koalition für ein Nein auch im Ständerat halten.