Schaffhauser Nachrichten: Die Beteiligungshürde ist gewollte Willkür

Die Unternehmenssteuerreform II enthält sinnvolle Massnahmen zur Stärkung der Personengesellschaften unter den KMU, darin sind sich SVP-Ständerat Hannes Germann und SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr einig. Stark umstritten ist hingegen die steuerliche Entlastung von Dividendeneinkommen für einen Teil der Aktionäre. Ein Streitgespräch.

Herr Germann, das Pro-Komitee führt den Abstimmungskampf zur Unternehmenssteuerreform II unter dem Schlagwort KMU-Steuerreform. Weshalb?

Hannes Germann: Weil die Reform wirklich auf die kleinen und mittleren Unternehmen ausgerichtet ist. Einerseits durch eine ganze Reihe von Massnahmen, welche die Übergabe von Unternehmen erleichtern. Andererseits geht es bei der Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung um die Beseitigung einer stossenden Ungerechtigkeit und den steuerlichen Anreiz, überschüssige Mittel auszuschütten und besser zu investieren. Die Massnahmen zielen darauf ab, die KMU zu stärken.

Herr Fehr, haben Sie kein Herz für die KMU?

Hans-Jürg Fehr: Doch, aber das ist keine KMU-Reform. Schon der Begriff Unternehmenssteuerreform ist weitgehend falsch. Der Kern der Reform ist die Teilbesteuerung der Dividenden, man kann auch sagen ein Steuerrabatt für Aktionäre. Die Begünstigten sind Aktionäre und nicht Firmen.

Aber die Vorlage ist ein Paket mit vielen Massnahmen zugunsten der Personengesellschaften unter den KMU. 

Fehr: Diese Massnahmen sind ja nicht bestritten. Unser Widerstand richtet sich gegen die Teilbesteuerung von Dividenden von Grossaktionären. 

Herr Germann hat soeben gesagt, die Minderung der Doppelbelastung nütze den KMU.

Fehr: Man muss wissen, dass zwei Drittel der KMU in der Schweiz keine Aktiengesellschaften, sondern Personengesellschaften sind, die keine Dividenden ausschütten. Von den Aktiengesellschaften sind zwei Drittel steuerfrei, weil sie zu wenig Gewinn machen. Damit wird die Zahl der Betriebe, die von der Teilbesteuerung der Dividenden profitieren, auf ein paar zehntausend herunterkorrigiert. Dann kommt eine zweite Hürde: Das Privileg, dass man nur noch 60 Prozent der Dividende besteuern muss, kommt nur den Aktionären zugute, die mindestens zehn Prozent einer Firma besitzen. Somit reduziert sich die Zahl der Betriebsinhaber, die von der Reform profitieren, nach unseren Berechnungen schweizweit auf 8400 Personen.

Germann: Wer keine Steuern bezahlt, kann logischerweise nicht entlastet werden – es gibt aber auch keine Steuerausfälle.

Wenn ein und derselbe Franken zweimal besteuert wird, einmal beim Unternehmen als Gewinn und einmal beim Anteilsinhaber als Einkommen, dann ist das Steuersystem doch ungerecht.

Fehr: Das mit der Doppelbelastung ist weitgehend ein Märchen. Bei all den Betrieben, deren Gewinn gar nicht besteuert wird, fällt die Doppelbelastung schon einmal weg. Dort wird nur, wenn überhaupt, die Dividende beim Aktionär besteuert. Bei Personengesellschaften aber zahlt sich der Besitzer den Gewinn in Form von Lohn aus. Und hier kommt etwas ganz Entscheidendes dazu, wenn man von Doppelbelastung spricht: Auf die Dividende zahlt man keine Sozialversicherungsabgaben, auf den Lohn schon. Eine Doppelbelastung liegt also beim Lohn vor, nicht bei der Dividende.

Germann: Dieses Szenario ist fiktiv. Sie müssen mir einmal ein Unternehmen zeigen, das Dividenden ausschüttet, ohne dass es einen Gewinn erwirtschaftet hat. Tatsache ist, dass heute Gewinne zu 100 und die Dividenden nochmals zu 100 Prozent besteuert werden, also zu total 200 Prozent. Das ist ungerecht. Herr Fehr vermischt immer wieder gezielt Personen- und Kapitalgesellschaften. Für Personengesellschaften haben wir rund ein Dutzend Massnahmen geschaffen, die dem typischen Klein- und Einzelunternehmen helfen. Aber bei den Personengesellschaften kann man natürlich die wirtschaftliche Doppelbelastung nicht mildern, weil sie keine haben.

Aber die doppelte Besteuerung ist doch auch eine Fehlkonstruktion, weil sie falsche Anreize schafft. 

Fehr: Fehlanreize werden erst jetzt geschaffen. Durch die Teilbesteuerung der Dividenden wird dafür gesorgt, dass Personengesellschaften in Aktiengesellschaften umgewandelt werden, damit man der Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, entgehen kann, weil man nun auf das attraktive Modell Dividenden gleich Lohnersatz ausweichen kann. Deshalb wird die AHV bis zu 150 Millionen Franken im Jahr verlieren.

Gemeint waren eigentlich Fehlanreize, weil Kapitalgesellschaften ihre Gewinne im Unternehmen parkieren, statt Dividenden auszubezahlen, und so allenfalls zu teuer werden, wenn ein Nachfolger gesucht wird. 

Germann: Genau, das ist das Problem Nummer eins. KMU parkieren heute wegen der ungerechten Doppelbesteuerung überschüssige Mittel im Unternehmen. Das verhindert allzu oft die Unternehmensübergabe und kostet jährlich rund 20 000 Arbeitsplätze. Mit der Milderung der Doppelbesteuerung von 200 auf 160 Prozent schaffen wir wenigstens einen kleinen Anreiz, überschüssige Mittel auszuschütten. Davon profitieren der Staat und die Volkswirtschaft, weil das Geld wieder in die Wirtschaft zurückfliesst.

Fehr: Wir bestreiten den volkswirtschaftlichen Nutzen der Vorlage. Unserer Meinung nach ist es nicht sinnvoll, dazu beizutragen, dass die Eigenkapitalbasis von Klein- und Mittelbetrieben geschmälert wird durch das Ausschütten von zu viel Gewinnanteilen. Es ist besser, sie haben eine vernünftige Eigenkapitalbasis und sind weniger von Fremdkapital der Banken abhängig. Und man weiss ja nicht, was mit den Mitteln geschieht, die aus der Firma herausgezogen werden. Wenn die Mittel in einer Firma sind, dann weiss man wenigstens, dass sie für Investitionen zur Verfügung stehen.

Germann: Wenn das Unternehmen ein Investitionsvorhaben hat, dann ist es sinnvoll, wenn es diese mit Eigenmitteln finanziert. Aber in der Schweiz, und das ist ja die Krux, ist es günstiger, mit Fremdkapital zu wachsen als mit Gesellschaftskapital. Denn Eigenkapital wird schon beim Einzahlen und später permanent mit der Kapitalsteuer belastet. Und wenn die Kapitalgesellschaft Gewinne macht und Dividenden ausschüttet – wird ein und derselbe Gewinn gleich doppelt besteuert.

Herr Germann, das Gegenkomitee spricht von Steuergeschenken an Grossaktionäre, weil nur Aktionäre mit Beteiligungen von zehn Prozent von der Teilbesteuerung der Dividenden profitieren. Wie lässt sich diese Grenze rechtfertigen?

Germann: Diese Zehn-Prozent-Hürde hat man eingebaut, weil sonst die steuerlichen Ausfälle zu gross gewesen wären. Die Kantone haben die qualifizierte Beteiligung gefordert. Diejenigen, die von der Teilbelastung profitieren, sind typische Unternehmeraktionäre von KMU, die als AG oder GmbH organisiert sind. Es sind oft Unternehmer, die eine Firma aufgebaut haben, Arbeitsplätze schufen und mit ihrem Schicksal dahinterstehen. Diese wollen wir gezielt entlasten und nicht alle Aktionäre, nur weil sie bei der UBS, Nestlé oder Novartis Aktien als reine Finanzanlage halten.

Ein Aktionär mit einer Beteiligung von neun Prozent kann doch auch ein unternehmerisches Interesse haben. 

Germann: Dann kann er ja auf zehn Prozent erhöhen. Es stimmt aber, die Grenze ist willkürlich. Doch in Bern haben die SVP-Leute in der Wirtschafts- und Abgabekommission des Nationalrates einen Antrag gestellt, man solle die Dividendenerleichterung allen Aktionären zugestehen. Die SP hat dem aber nicht zugestimmt. Wir im Ständerat haben dann den Antrag fallengelassen, auch weil die Kantone diese 10-Prozent-Limite wollten.

Fehr: Tatsache bleibt erstens, dass die Zehn-Prozent-Klausel willkürlich ist. Die, die weniger haben, sind in Zukunft in eurer Diktion doppelt belastet, und die, die mehr haben, sind in Zukunft nicht mehr doppelt belastet. Zweitens: Die SP ist generell gegen die Teilbesteuerung der Dividende. Darum haben wir nicht zugestimmt, den Kreis auf alle Aktionäre zu erweitern. Wir wollen keine Teilbesteuerung von Dividenden, sondern Gleichbehandlung mit den Löhnen und Renten. Wenn man etwas machen will für die Unternehmen, dann muss man die Gewinnsteuern reduzieren.

Bundesrat Merz will diese senken. Gäbe es nach Annahme der Unternehmenssteuerreform II noch Spielraum zur Reduktion der Gewinnsteuern?

Fehr: Nein, weil die Manövriermasse verlorengegangen ist.

Germann: Welche Manövriermasse? Auf Bundesebene fallen durch die Teilbesteuerung der Dividenden nur 56 Millionen Franken aus.

Fehr: Ich rede nicht nur vom Bund, sondern auch den Ausfällen durch die Teilbesteuerung bei Bund und Kantonen.

Germann: 17 Kantone haben die Teilbesteuerung schon eingeführt. Auf kantonaler Ebene fällt wegen dieser Abstimmung null und nichts aus. Keine halbe Milliarde und auch nicht zwei. Erst wenn ein Kanton in eigener Kompetenz die Teilbesteuerung einführt, kann es zu Ausfällen kommen.

Fehr: Ich sage, wenn diese Besteuerungsmethode in der ganzen Schweiz, bei allen Kantonen und beim Bund, eingeführt ist, dann kommt es zu Steuerausfällen von zwei Milliarden Franken.

Zur AHV: Herr Fehr befürchtet Ausfälle für das Sozialwerk in Höhe von 150 Millionen Franken, weil sich die Unternehmeraktinäre ihren Lohn vermehrt in Dividenden auszahlen. 

Germann: Das mit der AHV ist ein Ammenmärchen. Kein Unternehmer wird doch so naiv sein und sich um seine Altersvorsorge bringen. Wenn er keine AHV zahlt, wird er auch nur das AHV-Minimum bekommen. Und etwas Steuergünstigeres als die Bildung des BVG-Vorsorgevermögens oder einer dritten Säule gibt es ohnehin nicht. Im übrigen würde es keine kantonale Steuerverwaltung genehmigen, dass sich ein Unternehmer nur 20 000 Lohn auszahlt und 200 000 Franken Dividende.

Fehr: Ich stütze mich auf die offiziellen Zahlen vom Finanzministerium, welche die Frage beantworten, wie viel Umschichtungen der Bezüge es aufgrund der Privilegierung von Dividenden geben wird. Die Modellrechnungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung besagen: Die Ausfälle, die der AHV entstehen können, liegen zwischen 100 und 200 Millionen Franken pro Jahr.

Herr Fehr, Sie behaupten, die Vorlage sei verfassungswidrig. Weshalb?

Fehr: Die Zehn-Prozent-Hürde ist eine Ungleichbehandlung von Gleichen, die vor dem Gleichheitsgebot in der Bundesverfassung nicht bestehen kann. Meines Erachtens liegt hier eine degressive Besteuerung vor, weil man für die ersten zehn Prozent hundert Prozent Steuern bezahlt und das, was darüber liegt, nur noch mit 60 Prozent besteuert wird. Sie haben also genau den Tarifknick, der gemäss bundesgerichtlicher Rechtssprechung nicht verfassungsgemäss ist.

Herr Germann, was sagen Sie zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit?

Germann: Natürlich ist die Hürde willkürlich. Aber im Gesetz gibt es jede Menge Willkür. Bei allen Abzügen ist das so und auch bei allen Steuerfreibeträgen. Das ist gewollte Willkür. Es gibt Unterschiede, und die müssen wir auch machen. Und wenn Experten unterschiedlicher Meinung sind – und das sind sie in dieser Frage – dann muss die Politik entscheiden. Genau dazu sind wir da. Ich staune, mit welcher Leichtigkeit man in gewissen Kreisen Volksentscheide via Bundesgericht oder mittels anderer Spitzfindigkeiten aushebeln will.

Aber im Parlament haben Sie sich mit der Verfassungsfrage beschäftigt.

Germann: Wir haben zwei Gutachten zur Verfassungsmässigkeit der Vorlage erstellen lassen. Eines der Gutachten hat uns bei der Entlastung viel Spielraum gegeben: Es lässt auch das Glarnermodell mit der Teilbesteuerung der Dividenden mit 20 Prozent zu. Das für uns entscheidende Gutachten vom Bundesamt für Justiz hat der Vorlage die volle Verfassungskonformität bestätigt. Ich glaube nicht, dass das Bundes- gericht auf die Argumentation der Gegner einschwenken und 17 kantonale Volksabstimmungen aushebeln wird.

Von Doris Kleck und Patrick Steinemann