Schaffhauser Nachrichten: «Die Kontrollen sind restriktiv» – «Nein!»

Ob der Export von Kriegsmaterial für Schweizer Firmen verboten werden soll, entscheidet sich am 29. November an der Urne. Im SN-Streitgespräch liefern sich Tom Cassee, politischer Sekretär der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), und der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann eine engagierte Debatte zum Thema.

von Adrian Schumacher

Bereits zum vierten Mal versuchen pazifistische Kreise, die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu unterbinden. Warum glauben Sie, dass die Schweizer Gesetze zu lasch sind?
Tom Cassee: Schweizer Kriegsmaterial kommt heute in Konflikten zum Einsatz. Die Liste reicht von Sniper-Munition in Afghanistan bis hin zu Splitterbomben, die im Tschad von einem Pilatus-Flugzeug abgeworfen worden sind. Im Irak werden Schweizer Waffen verwendet. Das war schon im Krieg von 2003 der Fall. Das reicht, um aufzuzeigen, dass die Ausfuhrgesetze des Bundes heute nicht ausreichen. Hannes Germann: Die Exportregelung ist sehr restriktiv. Artikel 5 der Kriegsmaterialverordnung listet eine Reihe von Bedingungen auf, denen die Ausfuhren genügen müssen. Dass in problematischen Fällen eine strenge Güterabwägung zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen vorgenommen wird, zeigt sich daran, dass viele Exportgesuche abgelehnt werden … Cassee: Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass die Ausfuhrbestimmungen strikt sind. Schliesslich ist Saudi-Arabien derzeit der zweitgrösste Abnehmer von Schweizer Waffen. Dort wird systematisch gefoltert, Frauen werden unterdrückt, und es gibt die Todesstrafe für Minder- jährige. Germann: Die EU liefert in weit grösserem Umfang Waffen nach Saudi-Arabien. Das Land ist wichtig für die Stabilität im Nahen Osten. Und um diese zu gewährleisten, braucht es nun mal auch militärische Mittel. Cassee: Saudi-Arabien spielt bei der Finanzierung von Terrororganisationen wie Al Kaida eine Hauptrolle. Überdies sind Waffenexporte eine grosse Hypothek für die Schweizer Aussenpolitik.

Inwiefern? 
Cassee: Wir können keine glaub- würdige Aussenpolitik betreiben, wenn wir Regimes mit Waffen ausstatten. Gerade im Nahen Osten sollte die Schweiz auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen. Germann: Nach Saudi-Arabien hat die Schweiz Maschinenpistolen geliefert. Das sind Waffen, die ein Polizeikorps in jedem Land dieser Welt benötigt. Gerade die Terrorbekämpfung wird durch UNO-Mandate gestützt, was wiederum die Voraussetzung für Schweizer Waffenlieferungen ist. Cassee: In Saudi- Arabien regiert ein Regime, das die Menschenrechte missachtet. Und die Schweiz stützt die Machthaber durch Waffenlieferungen. Germann: Dass der Bundesrat im März eine Aussetzung weiterer Lieferungen nach Saudi-Arabien geprüft hat, zeigt doch, dass die Schweiz fähig ist, auf Entwicklungen in den Zielländern zu reagieren. Persönlich wünschte ich mir auch mehr Demokratie in den arabischen Ländern, aber an der jetzigen Situation ändern wir nichts, wenn wir keine Waffen mehr liefern. Cassee: Ein Verbot von Kriegsmaterialexporten ist eine grosse Chance, den Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen, und es ist auch eine Chance für die Schweizer Neutralität. Die Schweiz hat ihre Soldaten aus Afghanistan abgezogen mit dem Hinweis, dass dort Krieg herrsche und eine Präsenz vor Ort aus neutralitätspolitischen Erwägungen nicht mehr drinliege. Da ist es doch nur folgerichtig, wenn man auch keine Waffen mehr ausführt, welche diesen Krieg unterstützen. Germann: Für Lieferungen unsererseits ist das Vorhandensein eines UNO-Mandats entscheidend. Man darf nicht vergessen, dass auch die EU-Staaten jene Länder, die Sie als so problematisch erachten, mit Kriegsmaterial versorgen. In der EU wird das Thema indes nicht so heiss diskutiert, dort sind die Geschäfte geradezu selbstverständlich.

2008 war Pakistan der grösste Kunde für Schweizer Kriegsmaterial. Ein Staat, der innenpolitisch mit den Taliban ringt.
Germann: Pakistan ist in der Tat ein heikler Kunde, und deshalb ist es auch so wichtig, dass der Bundesrat die laufende Entwicklung ständig im Auge behält. Angesichts der Tatsache, dass die Taliban öfter von Pakistan aus operieren, waren die bewilligten Waffenlieferungen an die Regierungstruppen sicherlich korrekt. Als das Regime jedoch anfing, gegen die Bevölkerung vorzugehen, hat der Bundesrat die Ausfuhrbewilligung im November 2007 folgerichtig suspendiert. Cassee: Die Waffen werden eingesetzt, um das illegale Atomprogramm von Pakistan zu schützen. Zudem ist es so, dass viele für die pakistanische Regierung bestimmte Waffen über kurz oder lang an die Taliban gehen. Die «New York Times» hat kürzlich aufgedeckt, dass das entsprechende Material unter der Hand an die Terroristen verkauft wird. Zwar hat der Bundesrat einzelne Waffenlieferungen an Pakistan suspendiert, doch hat er in der gleichen Sitzung im März 2008 noch weitere Gesuche bewilligt. Das zeigt doch, dass die Profitinteressen der Rüstungsfirmen höher gewichtet werden als Menschenrechte und Demokratie. Im Zweifelsfall gilt das Motto: «Augen zu und liefern». Germann: Das ist Ihre Sicht der Dinge. Was die Atomanlagen angeht, so ist es im Interesse aller, dass diese gerade vor terroristischen Gruppierungen wirksam geschützt werden. Schliesslich existieren die Anlagen, ob wir das nun gut finden oder nicht. Ich bedaure es auch, dass Pakistan Atomwaffen besitzt. Cassee: Man kann nicht die internationale Abrüstung propagieren und auf nationalem Parkett nicht bereit sein, diesen Schritt zu vollziehen. Wir müssen aufhören, Kriegsmaterial an Regimes zu liefern, die wir kritisieren. Waffen sind schliesslich keine normalen Güter. Germann: Umsonst fallen sie ja wohl kaum unter die Kriegsmaterialverordnung des Bundes … Cassee: Dann müssen Sie mir erklären, warum 70 Rechtsprofessoren den Bundesrat für dessen Ausfuhrpolitik kritisieren. Die Professoren sagen, dass die Schweiz punkto Waffenexporte ihre eigenen Gesetze nicht einhält. Germann: Man würde auf der anderen Seite wohl auch so viele Professoren finden, welche die Politik des Bundesrates stützen. Wenn die Professoren von ihrem Standpunkt überzeugt sind, so können sie ja eine Klage einreichen. Es ist bemerkenswert, dass sich diese Gruppe erst jetzt zu Wort meldet. Cassee: Das liegt daran, dass die geltende Kriegsmaterialverordnung noch nicht lange in Kraft ist. Erst jetzt liegen die konkreten Zahlen auf dem Tisch. Die einzigen Juristen, welche die Meinung des Bundesrates teilen, arbeiten im Departement von Doris Leuthard. Germann: Die Verordnung geht weiter als die vorhergehende, und sie greift. In ihrer Politik orientiert sich die Schweiz an der UNO und der EU, sie ist damit in eine Sicherheitsarchitektur eingebettet, und man kann nicht behaupten, dass sie fahrlässig handle. Natürlich können wir nicht garantieren, dass die Verhältnisse in einem Land Jahre nach einer Lieferung noch dieselben sind. Missbräuche kann man daher nicht automatisch der Schweiz anlasten. Cassee: Wenn Sie sich schon auf UNO-Mandate beziehen, so sprechen wir doch vom Irakkrieg. Da bestand kein Mandat, der Krieg war somit völkerrechtswidrig. Trotzdem kamen Schweizer Waffen zum Einsatz.

Die Initianten wollen die Auswirkungen eines Exportverbots mit rund 500 Millionen Franken abfedern. Ist dieser Betrag nicht viel zu knapp bemessen?
Cassee: In der Schweiz gibt es vier grosse Rüstungsfirmen, die zusammen 75 Prozent aller Rüstungsexporte tätigen. Etwa die RUAG, die heute schon zur Hälfte für den zivilen Markt produziert. Vom Kriegsmaterial sind nur zehn Prozent für das Ausland bestimmt, es dürfte kein Problem sein, diesen Anteil durch zivile Produkte zu ersetzen. Die Pilatuswerke als zweite grosse Firma stellen mit dem PC-12 schon heute Businessjets her. Die Firma hat schon heute Mühe, die zivile Nachfrage nach diesen Flugzeugen zu decken. Beim dritten Unternehmen handelt es sich um die MOWAG in Kreuzlingen, die ursprüng-lich Feuerwehrautos und Ambulanzfahrzeuge produzierte. Hier lautet die Devise: «Zurück in die Zukunft». Germann: Von der Exportverbots-Initiative sind indirekt alles in allem 10 000 Arbeitsplätze in rund 550 Unternehmen betroffen. Das ist aber nicht einmal entscheidend. Letztlich geht es doch darum, dass wir nebst den Arbeitsplätzen auch das Know-how der Rüstungsindustrie in der Schweiz behalten können, da es auch für die zivile Industrie wertvoll ist. Die GSoA lässt in ihrer Initiative zwar die Möglichkeit offen, dass hiesige Firmen die Schweizer Armee mit Waffen beliefern können. Aber auch sie weiss, dass der Markt in der Schweiz zu klein ist. Mit einem Ja würde man der Armee einen empfindlichen Schlag versetzen – und das ist es doch, was die GSoA will: die Armee laufend schwächen, mit dem Ziel, sie abzuschaffen. Cassee: Ich will mit Ihnen nicht über Zahlen streiten, aber eine Präzisierung möchte ich anbringen. BAK Basel Economics hat jüngst im Auftrag des Bundesrates eine Studie verfasst. Darin ist von 5132 Arbeitsplätzen zu lesen, die von einem Exportverbot betroffen wären. In Schaffhausen wären es 23 Arbeitsplätze. Zu unseren Zielen ist zu sagen, dass wir am 29. November über ein Verbot von Kriegsmaterialexporten abstimmen werden. Um die Schweizer Armee abzuschaffen, lancieren wir eine eigene Initiative – es ist nicht redlich, wenn man diese beiden Fragen jetzt vermischt. Germann: Das ist durchaus redlich, denn die Initiative reiht sich in eine ganze Reihe von Aktivitäten ein, die darauf abzielen, die Verteidigungsbereitschaft der Schweiz zu schwächen, die Sicherheit in unserem Land zu unterminieren. Cassee: Die Armee wird durch die Initiative nicht geschwächt. Sie importiert bereits heute 80 Prozent ihrer Waffensysteme. Auch der grösste Schweizer Lieferant, die RUAG, würde weiter für die Armee produzieren. Sie haben den Nutzen der Rüstungsindustrie für den zivilen Sektor angesprochen. Konsequenterweise müssen wir die Ingenieure aus der Kriegsmaterialindustrie für etwas einsetzen, was uns allen dient. Wenn wir dafür schauen, dass wir im Bereich der erneuerbaren Energien führend werden, gewinnen wir viel. Germann: Da sitzen Sie ja gerade einem Irrtum auf. Fakt ist, dass die Industrie heute in Clusters organisiert ist – kein Unternehmen kann es sich leisten, in mehreren Technologiebereichen top zu sein. Nochmals: Unser Ziel muss es sein, dass wir das in der Schweiz vorhandene Know-how halten können; zumal Kriegsmaterial nur gerade 0,5 Prozent der gesamten Exporte ausmacht, aber technologisch ein Vielfaches damit zusammenhängt. Cassee: Rüstungsgüter machen 0,1 Prozent der Wertschöpfung der Schweiz aus. Wir können es uns leisten, darauf zu verzichten.

Nehmen wir an, die Initiative wird angenommen: Werden nicht andere Länder als Waffenlieferanten einspringen? 
Cassee: Wir können nur für uns entscheiden. Unbestritten ist, dass die Schweiz ein Signal an die Staatengemeinschaft aussenden würde. Wir würden beweisen, dass es uns mit der Friedensförderung ernst ist. Andere Länder haben bereits erfolgreich eine Vorreiterrolle übernommen, etwa Kanada, das sich für ein Verbot von Anti-Personen-Minen eingesetzt hat. Heute sind diese Waffen überall geächtet. Germann: Niemand kommt auf die Idee, Sicherheitskräfte nicht mehr mit Waffen auszurüsten. Die Schweiz muss der Welt diesbezüglich nichts beweisen. Wer von einer Welt ohne Waffen spricht, hängt einer Illusion nach. Ich bin sicher, dass sich das Volk hier kein X für ein U vormachen lässt.