Schaffhauser Nachrichten: Die Krise ist noch nicht verdaut

Folgen, Narben und Lehren der Wirtschaftskrise lautete das Thema des Referats an der diesjährigen Versammlung der Industrie- & Wirtschaftsvereinigung Schaffhausen (IVS) im Hombergerhaus.

von Philipp Lenherr

Ständerat und IVS-Vorstandsmitglied Hannes Germann (l.) im Gespräch mit dem Gastreferenten Rolf Soiron und IVS-Präsident Giorgio Behr.Bild Selwyn Hoffmann
Ständerat und IVS-Vorstandsmitglied Hannes Germann (l.) im Gespräch mit dem Gastreferenten Rolf Soiron und IVS-Präsident Giorgio Behr.Bild Selwyn Hoffmann

Über 200 Vertreter der IVS-Mitgliederfirmen und Gäste sind am Freitag der Einladung der IVS zur Generalversammlung im Schaffhauser Hombergerhaus gefolgt. Wie IVS-Präsident Giorgio Behr bei der Begrüssung sagte, sei die jährliche Versammlung der IVS nach wie vor ein gesellschaftliches Ereignis, was bei Versammlungen anderer regionaler Handelskammern oft nicht der Fall sei. Regierungspräsident Erhard Meister, Stadtpräsident Thomas Feurer, Brigadier Martin Vögeli, weitere Regierungsmitglieder von Stadt und Kanton, Chefbeamte, Kantons- und Grossstadträte sowie Bundesparlamentarier und Gemeindepräsidenten unterstrichen diese Aussage mit ihrer Anwesenheit.

«Ein zartes Pflänzchen» 
Im Zentrum der Versammlung stand das Gastreferat von Rolf Soiron mit dem Titel «Folgen, Narben, Lehren – provisorische Gedanken zur Wirtschaftskrise». Soiron war früher Pharmachef bei Sandoz und ist heute Mitglied des Stiftungsrates von Avenir Suisse. Als Verwaltungsratspräsident bei Holcim, Lonza und Nobel Biocare ist er mit den vielfältigen Folgen der Wirtschaftskrise konfrontiert. Soiron bezeichnete die momentane wirtschaftliche Erholung als ein «zartes Pflänzchen». Zu tief sei der Sturz gewesen, als dass jetzt mit einem schnellen und anhaltenden Aufschwung zu rechnen sei. Die Rettungsaktionen zahlreicher Staaten, die durch das Anwerfen der Notendruckmaschinen den drohenden Kollaps der Finanzwirtschaft verhindert haben, führten zu einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung. «Auf die Schuldenberge, die wir schon in den vorangehenden Jahrzehnten aufgetürmt haben, haben wir nachfolgenden Generationen noch einiges draufgepackt», so Soiron. Situationen wie derzeit in Griechenland könnten also auch noch weiteren Ländern drohen. Beunruhigend seien aber nicht nur die materiellen Schäden der Krise, sondern auch die ideellen Folgen. Die Debatten hätten sich verschärft, der Volkszorn gegen «Abzocker» beispielsweise treffe je länger, je mehr alle Unternehmer. Die Krise habe dazu beigetragen, dass viele Leute immer weniger zwischen der Realwirtschaft und den Finanzmärkten unterscheiden würden. Dabei sei klar erwiesen, dass die aktuelle Krise nicht von der Realwirtschaft ausgegangen sei. Die Finanzinstitute hätten mit komplexen Produkten die Blasenbildung ermöglicht und so die Grundlage für die Krise geschaffen.

Vertrauen zurückgewinnen 
«Auch ich verstehe längst nicht alle englischsprachigen Begriffe, die die Finanzwelt erfunden hat – das muss ich aber auch nicht. Schliesslich versteht ein Banker auch nichts von Zement», so der Holcim-Verwaltungsratspräsident. Auf dem Weg aus der Krise gehe es auch darum, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Der offizielle Anlass der Generalversammlung, die statutarischen Geschäfte, wurden wie üblich zügig erledigt. Die anwesenden Mitglieder haben dem Jahresbericht zugestimmt und die Jahresrechnung mit einem Gewinn von rund 4000 Franken genehmigt. Weiter wurde Thomas Fischer, Geschäftsführer der Knecht & Müller AG in Stein am Rhein, neu in den Vorstand gewählt. Jakob Bleiker (Sigpack Systems) und Markus Zoller wurden aus dem Vorstand verabschiedet. Nach getaner Arbeit konnte der anfangs gerühmte gesellschaftliche Teil des Anlasses so richtig beginnen. Bei Apéro-Häppchen und dem anschliessenden Nachtessen wurden Kontakte gepflegt und Gespräche über wirtschaftliche und wohl auch einige andere Themen geführt. Die Folgen, Narben und Lehren der Wirtschaftskrise dürften im Verlauf des Freitagabends gedanklich ein wenig in den Hintergrund getreten sein. Die meisten Anwesenden werden aber ab heute Morgen wieder damit konfrontiert sein.