Mit einer 10-Prozent-Quote, staatlichen Vorkaufsrechten und Regeln zum Erhalt preisgünstiger Mietwohnungen soll der gemeinnützige Wohnungsbau gefördert werden. SP-Nationalrätin Jacqueline Badran und SVP-Ständerat Hannes Germann argumentieren im SN-Streitgespräch für ihre Standpunkte.
Reto Zanettin
Die SP und die Grünen sind für die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» des Mieterinnen- und Mieterverbands. Die bürgerlichen Parteien sowie ihnen nahe stehende Verbände wehren sich gegen das Volksbegehren, das den gemeinnützigen Wohnungsbau fördern will. Zu starr sei die 10-Prozent-Quote und zu viel Bürokratie würde verursacht. Dem entgegnen die Befürworter, dass Wohnen ein Grundbedürfnis sei und für alle erschwinglich sein sollte.
Herr Germann, das Anliegen «Mehr bezahlbare Wohnung» klingt doch gut. Warum bekämpfen Sie es?
Hannes Germann: Die Zielsetzung ist löblich, Weg und Mittel sind fragwürdig. Die Initiative will eine Quote in die Verfassung schreiben, die einfach nicht in die Verfassung gehört. Und sie sieht staatliche Vorkaufsrechte für private Genossenschaften vor.
Frau Badran, Sie sprechen von «bezahlbaren Wohnungen» – was genau heisst «bezahlbar»?
Jacqueline Badran: Wir reden vom Wohnen, nicht von Lippenstift und nicht von Turnschuhen – man kann nicht nicht wohnen, es ist Zwangskonsum. Das Gut Wohnen ist in drei Verfassungsartikeln enthalten. Es gibt kein Gut, das in der Verfassung so geregelt wird. Unter anderem besagt der Artikel 108, selbst bewohntes Eigentum und die gemeinnützigen Wohnbauträger seien zu fördern. Beide Wohnformen verzichten auf Rendite. Ausserdem deckelt der Artikel 109 die Renditen – man darf nicht übermässig Ertrag aus Immobilien machen. Der Verfassungsgeber wollte dadurch das Portemonnaie der Leute schützen. Jetzt aber zeigt eine Studie, dass die Mieten um 40 Prozent höher liegen, als der gesetzlich festgelegte Pfad erlauben würde. Das entspricht 14 Milliarden Franken, die den Leuten zu viel aus der Tasche gezogen wurden.
Germann: Die Verfassungsgrundlage haben wir. Nun aber bezahlt der Eigentümer, der sein Haus selbst bewohnt, den Eigenmietwert. Er muss dem Staat also eine Art Rendite abliefern. Da kommt einiges an Geld zusammen, es liessen sich Milliardenbeträge aufrechnen. Das zeigt, dass die Verfassung in diesem Bereich nicht umgesetzt ist und es Handlungsbedarf gibt. Warum die Initianten jetzt eine Ergänzung der Verfassung wollen, die es gar nicht bräuchte, ist doch merkwürdig. Sie sagen ja, Frau Badran, dass die Verfassung das Wohnen regelt. Sie verschärfen das Bestehende mit einer Quote. Das ist unserer Bundesverfassung fremd; Quoten haben nichts in der Verfassung verloren.
Badran: Es geht nicht um eine Quote, sondern um einen Richtwert, Herr Germann.
Germann: 10 Prozent aller neu erstellten Wohnungen sollen gemeinnützig sein. Das ist sehr wohl eine Quote, die für meine Begriffe verbindlich daherkommt. Etwas Zweites: die staatlichen Vorkaufsrechte. Die sind für mich in Ordnung, wenn es um ein Bahnhofsareal, eine Poststelle oder eine Militärkaserne geht, die bereits Eigentum der öffentlichen Hand ist. Die kann man schon den gemeinnützigen Wohnbauträgern zuführen. Die Regelung geht aber noch weiter: Man gibt den Kantonen und Gemeinden die Möglichkeit, ihr Vorkaufsrecht auch auf andere Grundstücke auszuweiten, welche die öffentliche Hand noch nicht besitzt. In diesem Punkt geht mir die Initiative zu weit. Ein dritter Haken sind die energetischen Sanierungen, die trotz geschaffenem Mehrwert nicht mehr auf die Mieten überwälzt werden könnten. Das ist kontraproduktiv für die angestrebte Energiewende.
Die Leerstandsziffern sind in den letzten Jahren gestiegen. Schweizweit sind fast 1,7 Prozent aller Wohnungen ohne Mieter. In Schaffhausen sind es sogar mehr als 2,5 Prozent. Warum muss man den Wohnungsbau überhaupt noch zusätzlich fördern?
Germann: Eine Stadt Bern steht leer in der Schweiz. Das zeigt, dass sich der Wohnungsmarkt entspannt hat und alle eine Wohnung finden können. Im Mietrecht haben wir zudem Instrumente, um gegen zu hohe Mieten vorzugehen. Davon sollte man Gebrauch machen. So werden die Wohnungsanbieter aus dem Markt gespült, die überrissene Mieten verlangen.
Badran: Ich erinnere daran, dass wir jahrzehntelang eine Leerwohnungsziffer von unter einem Prozent hatten. Und der Markt neigt also nicht einfach so zur Überproduktion – auch nicht, wenn die Zinsen tief sind.
Frau Badran, Sie sprechen bei der 10-Prozent-Regel von einem Richtwert, nicht von einer Quote. Dann gibt es also Spielraum?
Badran: Selbstverständlich. Das ist doch völlig unproblematisch. Es ist doch egal, ob es mal 9 oder mal 13 Prozent sind. Ich gehe sowieso davon aus, dass die 10-Prozent-Marke spielend überschritten wird, weil wir auch die erforderlichen Instrumente zur Verfügung stellen. Es ist übrigens auch nicht so, dass der Richtwert pro Gemeinde oder sogar pro Bauprojekt eingehalten werden muss. Richtig ist: Die 10-Prozent-Regel muss schweizweit greifen.
Germann: Wir müssen im Gesetz festlegen, wie die Quote zu handhaben ist.
Badran: Nein, das müssen wir nicht. Man muss die Entwicklung überwachen. Wenn die 10 Prozent dauerhaft unterschritten werden, muss man allenfalls etwas unternehmen. Wir müssen aber jetzt erst mal klären, worüber wir uns unterhalten: Die Neubauproduktion in der Schweiz beträgt 50 000 Wohnungen. Davon machen Genossenschaften jetzt schon fünf Prozent aus.
Germann: Das entspricht gerade in etwa dem Bedarf, der aus der Zuwanderung entsteht. Ich stelle das völlig wertneutral fest.
Badran: Ja. Da bin ich ganz auf Ihrer Seite. Eigentlich ist die Zuwanderung zu hoch. Aber das ist nun einmal eine Realität. Abgesehen davon: Das renditeorientierte Kapital will ja unbedingt bauen – und baut im Moment sogar zu viel an den falschen Orten. Zurück zum Richtwert: 2500 von 50000 neuen Wohnung sind heute gemeinnützig. Es sind folglich nur weitere 2500 Einheiten, die wir innerhalb dieser 50 000 zusätzlich verlangen. Wenn wir den Gemeinden die Instrumente – besonders das Vorkaufsrecht – dazu geben, werden die Gemeinnützigen automatisch expandieren. Ausser dem Monitoring muss man nichts mehr dafür tun.
Wie würde ein solches Monitoring aussehen, wer würde es betreiben?
Badran: Jeder einzelne Bau, jeder Quadratmeter wird bereits jetzt ganz genau statistisch erfasst. Und das in den Gemeinden, auf kantonaler Ebene sowie durch den Bund. Wir wissen heute zu 100 Prozent, welche Bautätigkeiten laufen. Das müssen wir nach der Annahme der Initiative einfach weiterführen – genau gleich, wie wir den Verkehr beobachten.
Das ist alles?
Badran: Wohnbaugenossenschaften können jetzt noch nicht expandieren, weil ihnen einerseits das bezahlbare Land und andererseits das Eigenkapital fehlen. Aufgrund der Initiative wird der Bund den Fonds de Roulement aufstocken. Damit verdient er sogar Geld, weil die Darlehen an die Genossenschaften rückzahlbar und verzinslich sind. Den Genossenschaften dient das Geld als Quasi-Eigenkapital. Das ist eine Win-win-Situation.
Germann: Dass das von selbst funktioniert, ist in den Initiativtext hineininterpretiert. Ich lese den Verfassungstext, wonach der Bund zusammen mit den Kantonen dafür sorgt, dass der gemeinnützige Wohnungsbau vorankommt. Das geschieht offenbar nicht von allein. Sonst hätten es die Initianten nicht in den Verfassungstext aufgenommen. Die Quote ist einfach nicht durchdacht und würde nichts als eine teure Bürokratie verursachen.
Badran: Aber bitte, Herr Germann, ohne diesen Richtwert passiert nichts. So wie bisher nichts passiert ist. Es braucht Druck.
Germann: Wenn, wie die Initianten behaupten, die Vorkaufsrechte und die Aufstockung des Fonds de Roulement genügten, bräuchte es doch keine Quote, die man über das ganze Land stülpt. Davon sind auch Kantone betroffen, in denen gar kein Problem besteht. Wenn der Bund etwas umsetzt, wird es teuer, nicht nur wegen der 120 Millionen Mehrkosten, von denen der Bundesrat ausgeht. Hinzu kommt die Planungs- und Kontrollbürokratie. Da frage ich mich schon, ob sich der Aufwand wirklich lohnt.
Was ist die Alternative?
Germann: Wir haben bereits einen Gegenvorschlag formuliert. Der Fonds de Roulement soll mit 250 Millionen Franken geäufnet werden, wenn die Initiative abgelehnt wird. Die Initianten und mit ihnen die Wohnbaugenossenschaften stünden bei einem Nein nicht mit leeren Händen da.
In Zürich sind die Mieten überdurchschnittlich hoch, obwohl ein Viertel aller Wohnungen gemeinnützig ist. Mit anderen Worten: Die Initiative wird in Zürich keine Wirkung haben, oder?
Germann: Genau so wird es herauskommen. Zürich hat bereits heute mehr als 25 Prozent gemeinnützige Wohnbauträger. Das zeigt, dass die bestehende Wohnbauförderung, zum Beispiel über den Fonds der Roulement, funktioniert. Und es ist der Beweis dafür, dass es weder eine Quote noch Vorkaufsrechte braucht, welche die in der Verfassung verankerte Eigentumsgarantie weiter einschränkt. Wenn jemand ein Grundstück besitzt, soll er doch selbst bestimmen können, wem er es verkauft und ob er es einem Bekannten oder Verwandten geben will. Der Staat soll dabei nicht dazwischenfunken.
Badran: Das kann man im Gesetz regeln. Wir können festlegen, dass die staatlichen Vorkaufsrechte bei Grundstücksübertragungen innerhalb der Verwandtschaft nicht gelten sollen. Eine solche Regelung würde ich sogar befürworten. Wir liegen in diesem Punkt gar nicht so weit auseinander, Herr Germann.
Germann: Es geht doch um das Grundsätzliche. Wir haben es mit einem Eingriff in die Eigentumsrechte zu tun. Das kann man nicht in Abrede stellen.
Badran: Der Verkäufer hat doch keinen Nachteil. Denn er veräussert sein Grundstück auch an den Staat zum Verkehrswert. Zudem müssen die Gemeinden nicht zwingend von ihrem Recht Gebrauch machen.
Sie wollen den Gemeinden das Recht absprechen, das Wohnen auf ihrem Gebiet zu verbessern, Herr Germann?
Germann: Nein. Das Interesse der Gemeinden, strategisch wichtige Gebiete in ihrem Besitz zu behalten oder zu bekommen, ist durchaus legitim. Wenn sie clever sind, geben sie die Baurechte ab, wenn das angezeigt ist. Das macht die Stadt Schaffhausen seit Jahrzehnten so.
Wer garantiert, dass die Gemeinden den Boden wirklich für den genossenschaftlichen Wohnungsbau verwenden?
Germann: Darin liegt schon ein gewisses Problem. Wenn zum Beispiel die Stadt Zürich ihre Vorkaufsrechte ausübt, müsste sie den genossenschaftlichen Wohnbau begünstigen. Vielleicht hat sie aber vor, einen Innovationspark oder sonst ein Projekt zugunsten der Allgemeinheit zu realisieren.
Badran: Das kann sie doch.
Germann: Da bin ich mir nicht sicher. Wir müssten allfällige Ausnahmen im Gesetz ausformulieren. Wenn man Vorkaufsrechte ausübt, muss man die Liegenschaften auch für den vorgesehenen Zweck verwenden, sonst ist das eine Art Betrug.
Badran: Ich mache seit zwanzig Jahren Immobilienpolitik und sage: Mit den Vorkaufsrechten auf den bundeseigenen Grundstücken wird sich der genossenschaftliche Wohnungsbau bestimmt von selbst ausweiten. Andernfalls greift der 10-Prozent-Richtwert, sodass wir etwas tun können.
Die Mieter sind doch ein Stück weit selbst schuld, wenn sie die Mietreduktionen nicht einfordern, wenn der Referenzzinssatz sinkt.
Germann: Laut unserem Mietrecht kann man zurzeit nicht mehr als zwei Prozent Reingewinn mit seinen Immobilien machen. Und wenn jemand die Höhe seiner Mieten anficht, wird er durchkommen.
Badran: Sicher, die Leute könnten zu hohe Mietzinsen anfechten. Das ist im Gesetz vorgesehen. Aber viele wissen nichts von ihrem Recht. Andere getrauen sich nicht, weil sie fürchten, die Wohnung zu verlieren. Etwas Drittes: Treu und Glauben – beide Parteien unterschreiben einen Vertrag. Dann soll der Mieter innerhalb eines Monats die Mietkonditionen anfechten. Damit haben die Leute Mühe.
Die steigenden Mieten gehen doch aber auch auf wachsende Ansprüche zurück. Eine alte Küche oder ein altes Bad ist für viele ein Ausschlusskriterium. Ein Waschturm in der Wohnung wird schon fast vorausgesetzt.
Badran: Die Preise sind pro Quadratmeter gestiegen, und wir sprechen von Vermietern, welche die Mieten über den gesetzlich erlaubten Pfad hinaus anheben. Ich wiederhole: Die Mieten sind um 40 Prozent höher als erlaubt. Das entspricht 14 Milliarden Franken – inakzeptabel. Wir brauchen deshalb mehr Gemeinnützige, die auf Rendite verzichten, also den dritten Weg: ein Mix von Wohneigentum und Miete.
Was geschieht, wenn die Initiative am 9. Februar abgelehnt wird?
Germann: Dann wird der Bund den Fonds de Roulement aufstocken. Damit schafft man die Voraussetzungen, um den genossenschaftlichen Wohnungsbau zu fördern.
Badran: Die Initiative bringt eine Win-win-Situation für die Bevölkerung, für die Steuerzahler, für die Gemeinden, das Gewerbe, die Mieter. Die Einzigen, die etwas verlieren werden, sind die institutionellen, an der Börse kotierten Immobilienfirmen.
Jacqueline Badran
Die in Sydney geborene SP-Nationalrätin lebt seit 1966 in der Stadt Zürich. Dort betreibt sie eine Online-Marketing-Agentur. Badran ist verheiratet und vertritt den Kanton Zürich seit 2011 im Nationalrat.
Hannes Germann
Der 63-Jährige vertritt den Kanton Schaffhausen seit 2002 im Ständerat. Germann ist SVP-Mitglied und Betriebsökonom. Er lebt in Opfertshofen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.