Karin Keller-Sutter soll in den Vorstand von Economiesuisse gewählt werden. Die FDP-Ständerätin wird damit in den innersten Zirkel der Schweizer Wirtschaft aufsteigen. Ihr Einfluss im Verband bleibt aber begrenzt.
Von Andri Rowstetter
Bei bürgerlichen Ständeräten geht es in der Regel schnell: Kaum sind sie gewählt, stehen die ersten Unternehmen vor der Tür und wedeln mit dem Vertrag für ein Verwaltungsratsmandat. Karin Keller-Sutter war da keine Ausnahme. In den anderthalb Jahren, in denen sie nun im Stöckli sitzt, wurde die St. Galler FDP-Politikerin bereits von mehreren Unternehmen umgarnt.
Weich geworden ist sie erst bei der NZZ – und auch bei der Bâloise. Am 2. Mai will sich die diplomierte Konferenzdolmetscherin in den Verwaltungsrat des Versicherungskonzerns wählen lassen. Die Wahl gilt als Formsache, Kritik kommt höchstens von ausserhalb – von jenen, die es schon immer gewusst haben: Keller-Sutter benutzt ihr politisches Amt, um Mandate in der Wirtschaft zu sammeln. Seit gestern sehen sich die Kritiker bestätigt: Der «Tages-Anzeiger» machte publik, dass die 49-Jährige in den Vorstand des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse soll. «Gelingt die Wahl, kommt Keller-Sutter in ähnliche Sphären wie einst die Zürcher FDP-Ständerätin Vreni Spoerry», so das Fazit des Blattes.
Eine Wahl von Amtes wegen
In der Tat: Seit ihrer Wahl ins Parlament sind bei Keller-Sutter laufend neue Mandate hinzugekommen: NZZ, Arbeitgeberverband, Swiss Retail Federation, Bâloise, dazu Stiftungen und kleinere Firmen. Keller-Sutter bewegt sich damit aber immer noch im Durchschnitt; einzelne Parlamentarier kommen auf doppelt oder dreimal so viele Mandate. In den Economiesuisse-Vorstand wird Keller-Sutter aber ohnehin nicht wegen ihrer politischen Strahlkraft gewählt, sondern aufgrund eines anderen Amtes: Seit Sommer 2012 sitzt sie im Vorstand der Swiss Retail Federation (SRF), der Dachorganisation des Detailhandels. Wie alle grösseren Wirtschaftsorganisationen verfügt die SRF über einen Sitz im Economiesuisse-Vorstand. Keller-Sutter trat vor einem Jahr bei der SRF mit der Zusicherung an, dass sie das Präsidium übernehmen werde, sobald der aktuelle Präsident Bruno Frick abtrete. Im Juni ist das nun der Fall. Ob Frick dann auch gleich den Sitz bei der Economiesuisse räumt, steht aber noch nicht fest, wie Keller-Sutter auf Anfrage sagt. Ihr Einfluss im Wirtschaftsdachverband wird indes begrenzt sein. Zum einen umfasst der Economiesuisse-Vorstand 66 Mitglieder, darunter diverse Vertreter von internationalen Konzernen, die untereinander bestens vernetzt sind. Als Wortführerin des Schweizer Detailhandels vertritt Keller-Sutter innerhalb der Economiesuisse eine «Randgruppe». Zum andern ist der Vorstand nur eines von mehreren Leitungsgremien, die im Verband mitreden. Keller-Sutters neue Mandate markieren dennoch den vorläufigen Endpunkt eines sorgfältig geplanten Rollenwechsels. Ihr Kampf gegen Hooligans und ihre harte Linie in der Asylpolitik hatten ihr zu nationaler Bekanntheit verholfen, ihr aber auch ein Image eingetragen, das sie kaum mehr loswurde. Sie galt als Hardlinerin, wurde als «Eiserne Lady» und «Blocher im Jupe» betitelt.
Gut geplanter Rollenwechsel
Nach ihrer Wahl in den Ständerat änderte sie ihr Themenspektrum und setzte auf Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die Partei machte mit und verhalf ihr zu Sitzen in der Wirtschafts-, der Sozial- und der Aussenpolitischen Kommission. Die Mandate bei Bâloise, NZZ und Swiss Retail Federation sind die erwünschten Nebenwirkungen dieser Neupositionierung, wie sie selber sagt. «Mit knapp 50 habe ich noch ein Berufsleben vor mir.» Als Tochter eines Beizers stehe ihr das Gewerbe nahe, zudem seien die Mandate in der Wirtschaft eine wichtige Ergänzung zur Politik. «Ich will ja nicht nur aus dem Theoriebuch politisieren.»
«Ohnehin wirtschaftsnah»
Als ehemalige Regierungsrätin sei Keller-Sutter für die Unternehmen nicht nur wegen des direkten Zugangs zur Politik interessant, sagt CVP-Ständerat und Mehrfachverwaltungsrat Konrad Graber: «Eine Kantonsregierung hat gewisse Ähnlichkeiten mit einem Verwaltungsrat, beide arbeiten strategisch.» Dass die steigende Zahl der Mandate einen Einfluss auf Keller-Sutters politische Haltung haben könnte, wird aber selbst von Ratskollegen anderer Parteien bezweifelt. «Sie hat schon immer stark Economiesuisse-orientiert gestimmt», sagt etwa SVP-Ständerat Hannes Germann. Ähnlich äussert sich auch Paul Rechsteiner. Der St. Galler SP-Ständerat hat in der Verkehrspolitik eng mit Keller-Sutter zusammengearbeitet. «Dass wir unterschiedliche Positionen vertreten, ist ja bekannt.» An ihrer Zusammenarbeit ändere auch ein Economiesuisse-Sitz nichts. Und was sagt Keller-Sutter selber? «Als bürgerliche Politikerin ist man ohnehin wirtschaftsnah, so, wie Linke gewerkschaftsnah sind. Ich war immer eine Mitte-rechts-Politikerin. Dieser Haltung bleibe ich treu.»