Der Ständerat weicht das Gentechnik-Moratorium auf. Wie konnte es zu dieser unerwarteten Wende kommen?
Chiara Stäheli
BERN. Bereits dreimal wurde das Gentechnik-Moratorium in den vergangenen fünfzehn Jahren vom Parlament verlängert. Stets mit der Begründung, dass Daten zum Einfluss der Gentechnik auf Umwelt und Menschen fehlen würden. Für eine Überraschung sorgte nun gestern der Ständerat: Das Gentechnik-Moratorium soll aufgeweicht werden. Eine kleine Revolution.
Die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur hatte beantragt, die neuen Genom-Editierungsverfahren – wie beispielsweise die als Genschere bekannte CRISPR/Cas-Methode – vom Moratorium auszunehmen. Der Stichentscheid fällte Hannes Germann (SVP/SH). Diese Ausnahme soll einzig für Organismen gelten, denen kein fremdes Erbmaterial eingefügt wurde. Die Abstimmung fiel wieder denkbar knapp aus: Ratspräsident Thomas Hefti (FDP/GL) half dem Antrag mit seinem Stichentscheid zum Durchbruch. Unverändert bleibt das Moratorium bis Ende 2025 für Organismen, denen artfremdes Erbgut eingefügt wurde.
Kampf gegen den Klimawandel
Interessant an der Debatte: Die Gräben gingen quer durch die Parteien. Während die Grünen geschlossen gegen und die FDP für den Antrag votierten, gab es sowohl bei der SP als auch bei der Mitte und der SVP unterschiedliche Meinungen.
Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU) sprach in der Debatte von einem «Denkverbot» für die Forschung: «Es ist nun wirklich an der Zeit, dem neuesten Stand der Wissenschaft Rechnung zu tragen und anstelle der Risiken auch einmal die Chancen zu sehen.» Gmür-Schönenberger verwies auf das Potenzial der neuen Verfahren. So kann beispielsweise mit der Genschere das arteigene Erbgut von Pflanzen so verändert werden, dass die Pflanze resistenter wird gegenüber Schädlingen, Hitze, Nässe oder Trockenheit. Dies wiederum bedeutet, dass weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden müssten und das Ertragsausfallrisiko sinken würde.
Sie teilt damit die Haltung des landwirtschaftlichen Forschungsinstituts Agroscope: «Aus wissenschaftlicher Sicht ist es begrüssenswert, wenn über die neuen Züchtungsverfahren diskutiert wird», sagt Marc Andrey, Leiter Kommunikation. Auf jeden Fall sollte die Zeit des nächsten Moratoriums genutzt werden. «Es könnten zum Beispiel Bestimmungen erlassen werden, mit denen während des Moratoriums neue Sorten zugelassen und vermehrt werden, die dann ab 2026 nutzbar wären», so Andrey weiter.
Der Präsident des Bauernverbands und Mitte-Nationalrat Markus Ritter bezeichnet den Entscheid hingegen als «verfrüht», er berge grosse Risiken für die Landwirtschaft. Denn noch sei nicht geklärt, wie hoch die Akzeptanz von gentechnisch veränderten Lebensmitteln seitens der Konsumenten sei.
Die Meinung von Ritter teilen jedoch nicht alle Bauern. So hat sich im Herbst dieses Jahres unter dem Namen «Sorten für morgen» ein Verein formiert, der grosses Potenzial in den neuen Züchtungsmethoden sieht. Der Verein fordert, dass Verfahren geprüft werden, bei denen keine artfremde DNA in Organismen eingefügt wird. Mitglieder sind mitunter der Schweizer Obstverband, IP Suisse, die Vereinigung der Schweizer Kartoffelproduzenten sowie die Detailhändler Coop, Migros und Denner. Präsident des Vereins ist Jürg Niklaus. Der Anwalt und Bauernsohn ist überzeugt, dass die neuen Züchtungsmethoden die Landwirtschaft dabei unterstützen können, ihren ökologischen Fussabdruck zu verringern.
Dass sich der eher konservative Ständerat mit seinem Entscheid nach vorne wagt, erstaunt selbst erfahrene Politiker. Eine mögliche Erklärung sieht SVP-Ständerat Hannes Germann in der gesellschaftlichen Entwicklung: «Ich glaube, der Klimawandel und die damit verbundenen erschwerten Bedingungen für die landwirtschaftliche Produktion haben uns vor Augen geführt, dass in diesem Bereich etwas gehen muss.» Lange habe man ignoriert, dass es mit den neuen Züchtungsverfahren Methoden gebe, die gezielte Anpassungen im Erbgut der Organismen erlauben würden, die eine ökologisch und ökonomisch effizientere Produktion ermöglichen.
Klar ist bereits jetzt: Die Aufweichung des Gentechnik-Moratoriums dürfte im Nationalrat einen schweren Stand haben. Die Grünen haben bereits angekündigt, dass sie dagegen stimmen werden, weil Risiken der neuen Züchtungsmethoden zu wenig erforscht seien. Auch SVP und SP lehnen die Ausnahmeregelung mehrheitlich ab. Zu den Befürwortern zählen GLP und FDP. Offen ist, wie sich die Mitte nach dem Entscheid des Ständerates positionieren wird