Schaffhauser Nachrichten: Forum – Nur Befreiungsschlag hilft

Hannes Germann zur Mehrwertsteuer

Sie beschert dem Bund rund 18 Milliarden Franken Einnahmen (Budget 2005). Aber sonst ist die Mehrwertsteuer primär zu einer teuren Belastung der Wirtschaft geworden – und damit zu einem Ärgernis. Die Erhebung und vor allem die Veranlagung verursachen einen gigantischen administrativen Aufwand. Das verteuert unsere Produkte und Dienstleistungen. Durch immer neue Ausnahmen, Befreiungen und Weisungen ist die Mehrwertsteuer derart kompliziert geworden, dass man ihre praktische Anwendbarkeit ernsthaft in Frage stellen muss. In der Herbstsession hat der Ständerat die Gelegenheit, erste klare Signale zu setzen und die Weichen richtig zu stellen.
Eine Vereinfachung ist dringend notwendig. Die Unzufriedenheit über das umfassende Regelwerk ist nicht nur bei den betroffenen Unternehmen gross, sie nimmt auch in Fachkreisen zu, wie dem bundesrätlichen Bericht «10 Jahre Mehrwertsteuer» zu entnehmen ist. Kein Wunder, müssen in der Praxis inzwischen gegen 3000 Seiten konsultiert werden, um keine Fehler zu begehen.
Denn Fehler können teuer zu stehen kommen. So sehen sich die unterstellten Unternehmen mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, für den Fiskus den Einzug der Mehrwertsteuer vorzunehmen. Stellen die Steuerbeamten des Bundes Unstimmigkeiten fest, was sich in gewissen Branchen dem Vernehmen nach kaum vermeiden lässt, werden die Unternehmen, oft Jahre nachdem ein Fehler passiert ist, knallhart zur Kasse gebeten. Das wäre dann gerechtfertigt, wenn die Vorgaben von Gesetz und Vollzug klar wären. Aber bräuchte es dann 3000 Seiten für die Erhebung einer einfachen Konsumsteuer? Man hat es hier zu Lande geschafft, aus einer vom Prinzip her ebenso logischen wie einfachen Verbrauchssteuer ein wahres Vollzugsmonster zu schaffen. Es gibt wohl nur wenige, die dieses Dickicht helvetischen Perfektionismus noch einigermassen durchblicken. Kein Wunder, gibt es doch zunächst den Unterschied zwischen ausgenommenen und befreiten Umsätzen. Bei Ersteren handelt es sich um eine unechte Steuerbefreiung, also es darf kein Vorsteuerabzug gemacht werden. Dazu kommen dann drei verschiedene Mehrwertsteuersätze: der Normalsatz mit gegenwärtig 7,6 Prozent, der reduzierte mit 2,4 und der Sondersatz für Beherbergungsleistungen sowie die Parahotellerie mit 3,6 Prozent. Das führt zunächst einmal dazu, dass sich beispielsweise das Hotelgewerbe nebst den echt und unecht befreiten Umsätzen auch noch mit dreierlei MwSt.-Sätzen konfrontiert sieht. Dass es so nicht weitergehen kann, hat man selbst in der mit Sondersatz bedachten Branche eingesehen. Die Wirtschaftskommission des Ständerates (Wak-S) beantragt dem Ständerat, alle 25 bestehenden Ausnahmen auf fünf Jahre zu befristen. Darüber hinaus fordert die Wak-S, die Mehrwertsteuer wirksam zu reformieren. Konkret soll ein Einheitssatz (im Bereich von 5,4 bis 5,6 Prozent) geschaffen, sollen die Ausnahmen stark reduziert, der Anwendungsbereich der Saldosteuersatzmethode vergrössert (insbesondere Wechselfrist) und die Mehrwertsteuer-Administration so vereinfacht werden, dass ein KMU-Betrieb seine Steuererklärung selbst ausfüllen kann.
Wenigstens mit letztgenanntem Anliegen rennt der Ständerat beim Nationalrat wohl offene Türen ein. Schwieriger wird es bei der Behandlung einer Parlamentarischen Initiative von Nationalrat Pierre Triponez. Der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes fordert nämlich die Schaffung einer weiteren Ausnahme. Konkret geht es um Berufsunfallverhütungsmassnahmen. Wie die anderen 25 ist auch diese 26. Ausnahme plausibel begründet und denn auch vom Nationalrat oppositionslos überwiesen worden. «Nichteintreten» lautet der Antrag unserer Wak. Hier steht im Ständerat die Nagelprobe bevor. Gelingt der Befreiungsschlag, die Umkehr, die neue Weichenstellung? Sie muss gelingen.