Wir haben demnächst die einmalige Chance, falsche und teure Fehlanreize zwischen stationärer und ambulanter Behandlung in Spital und Pflege zu beseitigen – zum Wohl der Patientinnen und Patienten.
Von Hannes Germann*
Unser Gesundheitswesen ist ausgezeichnet. Darauf dürfen wir stolz sein. Was gut oder gar spitze ist, darf auch seinen Preis haben. Dieser ist für viele Prämienzahlende indessen sehr hoch oder gar zu hoch geworden. Umso wichtiger ist es, das bestehende Potenzial für Verbesserungen oder Optimierungen zu nutzen. So gibt es Fehlanreize, welche die Leistungen unnötig verteuern. Und dies erst noch zulasten der Qualität und des Portemonnaies von Patientinnen und Patienten.
Fehlanreiz bei Finanzierung beseitigen
Der wohl grösste Fehlanreiz besteht wegen der ungleichen Finanzierung für (praktisch) gleiche Leistungen, konkret zwischen ambulanten und stationären Behandlungen. Findet eine Operation stationär statt, also in einem Spital mit Übernachtung, zahlt der Kanton heute 55 Prozent, die Krankenkasse die übrigen 45 Prozent. Findet derselbe Eingriff (zum Beispiel Grauer Star) dagegen in einer Praxis oder einem Ambulatorium statt, muss die Krankenkasse die vollen Kosten übernehmen. Die Krankenversicherer haben somit keinen Anreiz, auf günstigere ambulante Eingriffe zu drängen. Die Kantone dagegen hätten einen theoretischen Anreiz, stehen aber vor dem Dilemma zu vieler und erst noch leer stehender Spitalbetten.
Trend zu mehr ambulanter Pflege
So verwundert es nicht, dass der Anteil ambulanter Operationen in der Schweiz bei rekordtiefen knapp 20 Prozent liegt, viel tiefer als in den Nachbarländern. Dies, obwohl der medizinische Fortschritt für immer mehr Eingriffe keinen teuren Spitalaufenthalt mehr erfordert – und viel günstiger ist, in einigen Fällen um bis zu 50 Prozent. In Dänemark oder Schweden werden inzwischen 60 Prozent der Operationen ambulant durchgeführt.
Weil es einem Patientenbedürfnis entspricht, und dank dem technischen Fortschritt (Lasertechnik, minimal-chirurgische Eingriffe) immer mehr OPs ambulant erfolgen, geht das Kostenwachstum heute einseitig zulasten der Krankenkassen respektive der Prämienzahlenden. Das widerspiegelt sich, nebst dem davon unabhängigen Trend zur Mengenausweitung, in den gegenwärtig hohen Wachstumsraten. Für das neue System der einheitlichen Finanzierung aller Gesundheitsleistungen ist darum vorgesehen, dass die Kantone künftig – nach Abzug von Franchise und Selbstbehalt – mindestens 26,9 Prozent der Kosten tragen müssen. Die Kassen müssen über die Prämien höchstens für 73,1 Prozent aufkommen.
Prämienzahlende deutlich entlastet
Bei Einführung der einheitlichen Finanzierung ab Jahr 2028 müssten die Kantone 1,5 bis 2,5 Milliarden mehr bezahlen. Das bringt für Prämienzahlenden eine signifikante Entlastung in ähnlicher Grössenordnung. Warum haben die Kantone gleichwohl eingewilligt? Bei der Pflege blieben Kantone (und Gemeinden) als Träger der Restkosten auf dem ganzen Kostenwachstum sitzen. Ab 2032 soll auch die Pflege nach dem gleichen System integriert werden. Denn es gibt die gleichen Fehlanreize. Doch auch bei der Pflege gilt der Grundsatz: Mehr ambulante Leistungen dank Spitex und Hausarzt ermöglichen es den Menschen, länger im vertrauten Umfeld zu bleiben, und verhindern einen verfrühten Heimeintritt. Was gut ist für die Menschen, ist in diesem Fall nicht im Interesse der Krankenkassen. Aber um sie geht es nicht, ebenso wenig wie um die Gewerkschaften. Es geht schlicht um das Wohl kranker oder pflegebedürftiger Menschen.
Am 24. November haben die Stimmberechtigten die einmalige Gelegenheit, unser Gesundheitssystem zu verbessern, bestehende Fehlanreize zu beseitigen und erst noch die Prämienzahlenden zu entlasten. Der Kompromiss wird von einer einmaligen Allianz von Links über die Mitte bis hin zur Rechten getragen. Darum Ja zur Gesundheitsreform.
«Was gut ist für die Menschen, ist in diesem Fall nicht im Interesse der Krankenkassen. Aber um sie geht es nicht, ebenso wenig wie um die Gewerkschaften. Es geht schlicht um das Wohl kranker oder pflegebedürftiger Menschen.»
*Hannes Germann (SVP) ist Schaffhauser Ständerat und Co-Präsident des Komitees «Ja zur einheitlichen Finanzierung»