Die SVP hat in der Wintersession eine ausserordentliche Session zum Rahmenabkommen verlangt. Zwei Motionen wurden im Nationalrat abgelehnt. Im Ständerat kam es gar nicht erst zu einer Diskussion.
Reto Zanettin
BERN. Das Rahmenabkommen hat gestern und am Mittwoch den Ständerat respektive den Nationalrat beschäftigt. Die SVP-Fraktion hat eine ausserordentliche Session verlangt und dazu zwei Motionen eingereicht. Die eine beauftragte den Bundesrat, sicherzustellen, dass die Klärungen zum Lohnschutz, zur Unionsbürgerrichtlinie und zu den staatlichen Beihilfen im Vertragstext festgehalten werden. Nur dadurch könne Rechtssicherheit in den offenen Punkten erreicht werden, begründeten die Motionäre ihren Vorstoss. Eine blosse Erklärung wäre ihnen zu wenig gewesen. «Wir wollen etwas Verbindliches, das uns Klarheit schafft», sagte der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann im September, kurz nachdem er den Vorstoss lanciert hatte.
Mit der zweiten Motion wollte die SVP-Fraktion die Abschreibung des Rahmenabkommens erwirken: «Der Bundesrat wird beauftragt, das institutionelle Abkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, das Vorhaben abzuschreiben und dies der EU klar und unmissverständlich mitzuteilen.» Der Zuger SVP-Nationalrat Thomas Aeschi erklärte am Mittwoch in seinem Votum: «Die Schweiz kann keinen Vertrag unterschreiben, der gegen den Zweckartikel der Bundesverfassung verstösst, welcher die Unabhängigkeit des Landes und die Rechte des Volkes garantiert.» Aeschis Appell an das Ratsplenum half nichts. Nach einer Debatte, die zwischen Aussenminister Ignazio Cassis und einigen Nationalratsmitgliedern hin und her wogte, lehnte die grosse Kammer beide Vorstösse ab.
Nosers Ordnungsantrag
Im Ständerat stellte Ruedi Noser, FDP-Politiker aus dem Kanton Zürich, gestern einen Ordnungsantrag, mit dem er die beiden Motionen der zuständigen Kommission zur Vorprüfung überweisen wollte. Er begründete: «Der Bundesrat ist jetzt in Verhandlungen. Und in dieser Situation möchte ich eigentlich die beiden Vorstösse nicht diskutieren, wenn ich nicht weiss, was unsere zuständige Kommission zu diesen beiden Vorstössen zu sagen hat.»
Thomas Minder, parteiloser Ständerat aus Schaffhausen, fand Nosers Ordnungsantrag «ganz schön frech» sowie «hier und jetzt total fehl am Platz». Den ständerätlichen Entscheid brauche es jetzt, nicht erst in der Frühlingssession. Minders Votum fand aber kein Gehör, eine Mehrheit der kleinen Kammer stimmte für den Ordnungsantrag, womit die ausserordentliche Session beendet war.
Anders als für die Mehrheit der Ständeräte spielte der Zeitpunkt der ausserordentlichen Session für Martina Munz keine Rolle. Die SP-Nationalrätin aus Schaffhausen sagt: «Die SVP hat versucht, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie will grundsätzlich kein Rahmenabkommen und möchte den bilateralen Weg beenden.»
Der Zeitpunkt wäre der richtige gewesen, sagt Hannes Germann. «Einige Ratskollegen haben die Diskussion aber unterbunden.» Die FDP habe sich schützend vor ihren Bundesrat Ignazio Cassis gestellt. Die Motionen seien im Ständerat nicht vom Tisch. «Sie werden wohl aber auf die lange Bank geschoben», sagt Germann. «Meine Motion hätte dem Bundesrat den Rücken gestärkt», argumentiert er mit Blick auf die weiteren Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Nun aber hätten sich die Chancen nicht erhöht, dass die Präzisierungen der drei offenen Punkte verbindlich im Vertragstext festgehalten würden. «Der Bundesrat und seine Verhandlungsdelegation laufen Gefahr, am Schluss einen Scherbenhaufen verantworten zu müssen, wenn verbindliche Zusagen misslingen oder in einer blossen Erklärung aufgenommen werden.» Dann nämlich werde das Rahmenabkommen vielleicht nicht im Parlament, wohl aber vor dem Volk scheitern, so Germann.
«Schattenboxen der SVP»
Munz hält das Verhalten der SVP für blosses Schattenboxen: «Die SVP würde das Rahmenabkommen selbst dann ablehnen, wenn die Präzisierungen zu den drei Punkten in den Vertragstext aufgenommen würden.» Ausserdem seien Erklärungen so verbindlich, wie andere internationale Vereinbarungen auch. «Wenn sich die zwei Vertragsparteien einigen, gilt das Vereinbarte.» Insofern ändere sich für den Bundesrat nichts, er müsse die Klärungen in den genannten Punkten herbeiführen. In Richtung Brüssel signalisiere der Ausgang der ausserordentlichen Session, dass die Schweiz am eingeschlagenen Weg festhalte und das Rahmenabkommen möglichst bald unterzeichnen wolle.
Zu einem anderen Schluss kommt Germann: «Ich kann mir schwer vorstellen, dass Brüssel die Schweiz wirklich ernst nimmt.» Die Lage sei bereits vor der ausserordentlichen Session unvorteilhaft gewesen. Nun würden Verhandlungen auf Augenhöhe noch schwieriger. «Das Rahmenabkommen gleicht – man muss es so deutlich sagen – einem Kolonialvertrag», erklärt Germann. Er möchte, wie er sagt, zu einer Verhandlungslösung beitragen. Damit geht Germann weniger weit als sein Ratskollege Werner Salzmann. Der Berner SVP-Politiker sagt: «Die Schweiz sollte den Rahmenvertrag abschreiben.» Denn: «Auch wenn die Klärungen der offenen Punkte gelingen, bleiben zwei grosse Schwachstellen des Rahmenabkommens bestehen: die dynamische Rechtsübernahme und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs.»
Um sich gegen Sanktionen der EU zu wappnen, schlägt Salzmann ein Revitalisierungsprogramm vor. Was dieses im Einzelnen beinhalten würde, sei noch offen. «Es würde jedoch dem Programm gleichen, das dem EWR-Nein folgte.» Damals legte der Bundesrat eine gut 190-seitige Botschaft zu einem Folgeprogramm nach dem Nein vom 6. Dezember 1992 vor. Darin schlug die Landesregierung Änderungen von 27 Erlassen vor. Im Zentrum standen etwa das Wettbewerbsrecht, der Arbeitsmarkt, Bildung und Forschung, der Schweizer Binnenmarkt, die Finanzen, Infrastrukturen, Soziales und die Landwirtschaft. Zugleich liefen Verhandlungen mit der EU, die in den Abschluss des ersten Pakets der bilateralen Verträge mündeten.