von Hannes Germann
Da sitze ich neulich im Flugzeug über dem Nordatlantik und habe – Island im Rücken und den sichtbar werdenden Sonnenaufgang vor Augen – für einmal etwas Zeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Beim Durchblättern des Oktober-Magazins der «Harvard Business Review» stosse ich auf einen Artikel, der mich in der kreativen (Nach-)Denkphase anspricht. Denn der Titel wirft unweigerlich Fragen auf: Wo stehen wir in der Schweiz? Droht die Kreativitätskrise nicht auch bei uns näher zu rücken – oder stecken wir etwa schon mittendrin? Mein Interesse ist nun endgültig geweckt. In seinem Beitrag beschreibt Richard Florida, wie der Welt mächtigster Staat drauf und dran ist, den wohl besten wirtschaftlichen Trumpf des vergangenen Jahrhunderts – nämlich über das weltweit beste Humankapital zu verfügen – wegzuwerfen.
Der Autor jedenfalls führt den beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg seines Landes auf dessen Fähigkeit zurück, die klügsten Köpfe am besten zu fördern. Und zwar nicht nur die eigenen, sondern auch jene aus dem Ausland. Tatsächlich üben Eliteuniversitäten wie Harvard, Princeton, Yale, Pennsylvania, Stanford, Columbia oder das Massachusetts Institute of Technology (MIT) seit jeher eine enorme Anziehungskraft auf Talente aus aller Welt aus. Diese konnten sich (und können sich noch) in einem äusserst forschungs- und wirtschaftsfreundlichen Umfeld optimal entfalten. Das Ergebnis dieser Kreativität schlug sich in Innovationsstärke und den fast schon logischen wirtschaftlichen Erfolgen nieder. Doch die Zubringerländer der Talente, vor allem aus asiatischen Ländern, haben dazugelernt und eigene Eliteuniversitäten aufgebaut. Auch in einigen europäischen Staaten hat es gedämmert. Und die Studenten aus den arabischen Ländern meiden die USA zurzeit aus nahe liegenden Gründen ohnehin.
Aus den Top Ten gefallen
Die Wirkung all dieser Faktoren: massiv rückläufige globale Nachfrage nach US-Studienplätzen. Lässt sich das Ergebnis dieses Talentverlustes auch messen? Wenn man Statistiken Glauben schenkt – ja. So sind die USA im «Global Creative-Class Index» (GCCI) inzwischen sogar aus den Top Ten gefallen – auf Rang elf. Spitzenreiter punkto Kreativität und Erfindungsgeist ist übrigens Irland. Auch Länder wie Australien, England, Belgien, Kanada, Neuseeland, Finnland und sogar Staaten wie Estland und Island liegen noch vor den USA. Und wo bleiben eigentlich wir, frage ich mich und finde die Schweiz auf Rang 14. Gleich hinter Griechenland, aber knapp vor Russland und Lettland, wo übrigens Unternehmen seit jüngster Zeit markant tiefer besteuert werden als bei uns.
Und die Moral von der Geschichte? Mit Rezepten aus ehemals kommunistischen Staaten (mehr Staat und Reichtum umverteilen, Präsident SP Schweiz) führen wir unser Land wohl kaum in eine erfolgreiche Zukunft. Denn diese Staaten sind bankrott … Die inzwischen über Skandinavien aufgegangene Sonne bringt mich auf heiterere Gedanken. Und so bin ich überzeugter denn je, dass es uns gelingen muss, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Unternehmenssteuerreform II, Kampf der Überregulierung, Einschränkung Verbandsbeschwerderecht usw.) zu verbessern und den Bildungs-, Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz zu stärken. Mit der Zustimmung zur lebenswichtigen Stammzellenforschung können wir einen ersten Tatbeweis erbringen. Weitere müssen folgen, um den Anschluss an Irland, den OECD-Spitzenreiter in Bezug auf Wirtschaftswachstum, nicht ganz zu verlieren. Oder um wenigstens an Efta-Partner Island dranzubleiben.