Schaffhauser Nachrichten: Geld und Geist: Je dichter das Netz, desto mehr Schlupflöcher gibt es

von Hannes Germann

Je leerer die Staatskassen, desto findiger sind Politik und Verwaltung bei der Erschliessung neuer Steuer-, Abgaben- oder Gebührenquellen. In jüngster Zeit sorgt auch das Bussen(un)wesen wieder einmal für rote Köpfe.
Bei allem Verständnis also für Massnahmen, die der Sicherheit dienen: Augenmass und Vernunft sollten stimmen – auch bei den Steuern. Doch gerade hier sind – angesichts des wuchernden Steuerdschungels – Zweifel berechtigt. Denn immer komplizierter werden sie, die westeuropäischen Steuersysteme, während die neuen EU-Staaten ihrerseits mit einfachen Systemen (Flat Rate Tax, Einheitssteuersätze usw.) verblüffen. Die Grundanforderungen sind im Prinzip klar. Ein Steuersystem muss gerecht und einfach vollziehbar sein. Doch gerade in diesem Anspruch liegt die Krux.
Stellen wir uns das einfache Steuersystem als ein Netz mit fünfmal fünf Nylonkordeln vor. Es erfüllt die erwähnten Grundanforderungen, hat aber relativ grobe Maschen. Man stört sich bald einmal daran, dass die 16 Löcher immer wieder zur Steuerumgehung genutzt werden. Daher verdoppelt man die Anzahl Kordeln und erhält nun 64 – wenn auch kleinere – Löcher. Das heisst, es gibt automatisch immer mehr Steuerschlupflöcher, was uns trotzdem nicht am Weiterbasteln hindert. Mit der Folge, dass das Netz zwar immer feinmaschiger wird. Gleichzeitig nimmt aber auch die Anzahl der theoretischen Steuerschlupflöcher, die es zu überwachen gilt, exponenziell zu. Mit anderen Worten: Das Steuersystem wird nicht a priori besser, sicher aber komplizierter und damit auch noch teurer.
Unsere Mehrwertsteuer – als teures Vollzugsmonster erster Güte – ist hier das Musterbeispiel im negativen Sinn. Doch kann ein derart ausgeklügeltes System nicht auch gerechter werden? Die Praxis beweist, dass dem bei weitem nicht immer so ist. So lese ich in einer Publikation über das deutsche Steuersystem, das sich mittlerweile seit bald zehn Jahren als Dauerbaustelle präsentiert, folgende Schlagzeile: «Wer reich und schlau ist, entkommt dem Fiskus» («Zeit online» 36/2005).
Die Behauptung wird unter anderem mit folgendem Beispiel unterlegt: Ein verheirateter Spitzenverdiener kann sein Jahreseinkommen von 250 000 Euro durch entsprechend geschicktes Taktieren auf ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von gerade mal 25 000 Euro drücken, wie die Steuerberaterkammer vorrechnet. Seine Steuerschuld beträgt dann nur 2438 Euro – also etwa so viel, wie auch ein Angestellter mit einem Jahresgehalt von 30 000 Euro zahlen muss.
Das kann mit Steuergerechtigkeit ja wohl kaum gemeint sein. Die Rechnung unterstellt, dass der Gutbetuchte eine Immobilie in einem städtischen Sanierungsgebiet (Sonderabschreibung!) erwirbt und restauriert und sich ein Paket festverzinslicher Wertpapiere zulegt. Weil auf Kredit gekauft, können die Schuldzinsen abgezogen werden. Würde dann der Topverdiener auch noch die Fahrten zu seiner Baustelle geltend machen, wäre er schnell bei einer Steuerzahlung von nahe null. Und dies auch noch ganz legal. Dieses ernüchternde Beispiel aus Deutschland mag zwar hypothetisch sein. Tatsache ist aber, dass es vor allem bei Besserverdienenden zu enormen Unterschieden bei den Grenzsteuersätzen kommt. Schuld sind im Wesentlichen falsche Anreize und eine Unzahl von individuellen Abzugsmöglichkeiten. Eine Überperfektion, die zu schreienden Ungerechtigkeiten führt! Wir sind darum gut beraten, bei den hier zu Lande anstehenden Steuerreformen wie der Mehrwertsteuer, der Unternehmenssteuer oder der Besteuerung natürlicher Personen mit radikalen Vereinfachungen für mehr Effizienz und Steuergerechtigkeit zu sorgen.