50,7 Prozent der Schaffhauserinnen und Schaffhauser haben dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zugestimmt. Auf nationaler Ebene lag der Ja-Stimmen-Anteil nicht viel höher. Das Ergebnis werten manche als Wendepunkt in der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik.
Reto Zanettin
BERN. In Jakarta, der Hauptstadt von Indonesien, blickte man bereits am Freitag auf die Abstimmung über den Freihandelsvertrag. In einem Kommentar, der in der Zeitung «Jakarta Post» erschien, hiess es: «Mit wachsendem Einfluss der Öffentlichkeit wird es wichtiger, dass die Diplomatie die Herzen der Wählerinnen und Wähler gewinnt.» In der Schweiz wurde dieser Ruf nur teilweise erhört. Allzu überschwänglich fiel das Votum am gestrigen Abstimmungssonntag nämlich nicht aus. Auf nationaler Ebene haben 51,65 Prozent der Urnengänger Ja zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gesagt. Im Kanton Schaffhausen stimmten 50,7 Prozent zu. 14 von 26 Gemeinden lehnten den Vertrag ab. Schaffhauser Politiker sind sich einig: Das war knapp.
Gaétan Surber, Co-Präsident der Schaffhauser Jungen Grünen und Gegner des Vertrags, sagt: «Ich hoffte zwar auf ein Nein, befürchtete aber, dass die Abstimmung mit 45 Prozent Nein- zu 55 Prozent Ja-Stimmen ausgehen würde.» Er wertet den hohen Nein-Stimmen-Anteil als Erfolg. Weil das Abkommen auch in linken Kreisen Unterstützung fand, ging auch Martina Munz, SP-Nationalrätin, von einem deutlicheren Ergebnis aus. Sie selbst war für den Vertrag, weil er zwischen nachhaltig und konventionell hergestelltem Palmöl unterscheidet. Zollerleichterungen von 20 bis 40 Prozent erhalten Importeure nur für eine beschränkte Menge von zertifiziertem Palmöl.
Mit einem klareren Ergebnis gerechnet hat auch Hannes Germann (SVP). Der Schaffhauser Ständerat erklärt: «Der hohe Nein-Anteil zeigt die Skepsis gegenüber dem Freihandel.» Germann macht einen Widerspruch im Verhalten aus. «Einerseits kauft man Waren, die rund um die Welt transportiert und angeliefert werden. Andererseits bekämpft man Freihandelsverträge.» Das Ja sichere der Schweizer Wirtschaft den Zugang zum asiatisch-pazifischen Raum und sei eine echte Errungenschaft. «Brandrodungen von Regenwäldern und Entwässerung von Torfmooren sind nun untersagt. Zudem müssen soziale Standards eingehalten werden.» Damit sieht Munz das Ende neoliberaler Freihandelsverträge gekommen. «Von jetzt an ist es ein No-Go, Nachhaltigkeit aus Freihandelsverträgen auszuklammern.» Der Vertrag beweise, dass Soziales und Ökologie in einen Handelsvertrag integriert werden könnten. Surber findet: «Wir haben nun die historische Erfahrung gemacht, dass man gegen ein Freihandelsabkommen das Referendum ergreifen kann und die Chancen intakt sind, damit durchzukommen.» Ob die Übereinkunft mit Indonesien tatsächlich einen Wendepunkt in der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik darstelle, sei schwierig zu sagen, erklärt Germann. Denn es brauche stets zwei für einen Vertragsabschluss. «Wenn unser Verhandlungspartner sich nicht zu Sozial- und Umweltstandards bekennt, muss man unter Umständen eine andere Güterabwägung treffen als beim Vertrag mit Indonesien.»
«Zurück in die Verhandlungen»
Im Raum steht zurzeit das Wirtschaftsabkommen mit dem Mercosur, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören. Wie in Indonesien leben dort 260 Millionen Menschen. Doch das wirtschaftliche Potenzial ist ungleich höher. Die Schweiz exportiert jährlich Güter im Wert von 3,6 Milliarden Franken in die Mercosur-Staaten, siebenmal mehr als nach Indonesien. Während das gestern abgestimmte Abkommen Zollerleichterungen von 25 Millionen Franken im Jahr bringt, werden Schweizer Unternehmen mit dem Mercosur-Abkommen 180 Millionen Franken einsparen. Der Vertragsentwurf liegt seit Sommer 2019 vor. Er enthält zwar ebenfalls ein Nachhaltigkeitskapitel. Doch er ist alles andere als unumstritten.
Gaétan Surber sieht zwar Parallelen zum Indonesien-Vertrag. Jedoch hält er fest: «Wir werden das Mercosur-Abkommen bekämpfen, wenn wir sehen, dass zu wenig für soziale und ökologische Nachhaltigkeit getan wird.» Martina Munz fordert: «Das Mercosur-Abkommen muss zurück in die Verhandlungen. Nachhaltigkeitskriterien müssen berücksichtigt werden, sonst werden wir diesen Vertrag ablehnen.» Die lateinamerikanischen Handelspartner seien stolze Nationen, die sich nur ungern hineinreden lassen, findet Hannes Germann, doch: «Die Schweiz sollte hart bleiben, was soziale und ökologische Standards angeht. Gelingt es nicht, sie zu verankern, sollten kritische Teile wie Rindfleisch ausgeklammert oder auf das Abkommen verzichtet werden.»
Menschenrechtsdialog mit China
Bereits seit 2014 in Kraft ist der Freihandelsvertrag mit China. Als das Parlament über seine Genehmigung befand, entbrannte eine Debatte um die Menschenrechte. Eine Ratsminderheit forderte, sie müssten in den Vertrag aufgenommen werden. Es kam nicht so weit. Letzten Dezember aber tauchte das Thema wieder auf. Die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne) wollte vom Bundesrat per Interpellation wissen: «Ist der Bundesrat bereit, das Freihandelsabkommen mit China dahingehend nachzuverhandeln, dass es neu eine verbindliche Klausel zu den Menschenrechten enthält?» Die Landesregierung hält Nachverhandlungen für unrealistisch, will aber weiterhin «alle bilateralen und multilateralen Kanäle nutzen, um diese Thematik mit den chinesischen Behörden anzusprechen», wie es in der Antwort heisst.
Was sagen die Schaffhauser Politiker dazu? Munz erinnert, die SP habe das Abkommen mit China stets abgelehnt. Die Schweiz müsse ihre China-Strategie ändern. «Gerade weil China wirtschaftlich mächtiger ist als Indonesien, darf man dem Land nicht einfach den roten Teppich ausrollen.» Surber sieht im Reich der Mitte ebenfalls ein mächtiges Land. «Ich würde es dennoch befürworten, wenn Menschenrechte in den Vertrag aufgenommen würden.» Germann sagt, die Schweiz und China pflegten traditionell gute Beziehungen. «Unter befreundeten Nationen ist ein Dialog auf Augenhöhe zielführender als irgendwelche Klauseln in Handelsverträgen, die weder durchgesetzt noch kontrolliert werden können.» Angesprochen ist damit der Menschenrechtsdialog, den die Schweiz und China seit drei Jahrzehnten führen. Er soll einen Veränderungsprozess in Gang bringen und so die Menschenrechtslage in China verbessern. Am Dienstag wird der Nationalrat über ein Postulat befinden, das vom Bundesrat einen Bericht über den Menschenrechtsdialog verlangt. Wenn der Vorstoss angenommen wird, will die Regierung eine Analyse vorlegen.