Die Hektik ist nach der offiziellen Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit China einer gewissen Erleichterung und Genugtuung gewichen.
Von Hannes Germann
Peking: Bis zuletzt ist am Samstag offenbar verhandelt und um einzelne Punkte gerungen worden. Die Hektik ist bei gewissen Delegationsmitgliedern schon allein wegen des Reisestresses vor dem Abflug in Zürich am frühen Freitagnachmittag gross. Kein Wunder, es geht um viel – nicht nur für die Politik, sondern auch für unsere stark exportorientierte Wirtschaft und den Finanzplatz.
Zur Delegation gehören denn auch zahlreiche Vertreter von renommierten Schweizer Unternehmen, so etwa Rudolf Wehrli, der Präsident von Economiesuisse. Nebst ABB, Schindler, Rieter, Dätwyler und Bühler sind auch etliche KMU-Vertreter dabei. So auch mein Kollege Hansruedi Wandfluh vom gleichnamigen Unternehmen aus dem Berner Oberland. Natürlich sind auch die Finanzdienstleister CS, UBS und Vontobel sowie die Swiss mit von der Partie. Apropos Suisse: Sie fliegt uns komfortabel in Richtung Peking, während ich die ersten Zeilen dieses Beitrages schreibe. Zu meckern gibt es eigentlich nichts, ausser dass man für zehn Stunden komplett von der Aussenwelt abgeschnitten ist, wo doch andere Businessflieger bereits WLAN anbieten. Selbst das bei jedem Platz eingebaute Satellitentelefon bringt keine Verbindung – nur, der Bildschirm des Unterhaltungssystems friert bei mir ein. Auch jenes bei der Maitre de Cabine funktioniert nicht. Wohl Glück gehabt, bei einem angedrohten Preis von 11 Dollar pro Minute. Wir schmunzeln vielsagend. Neben mir sitzt ein alter Bekannter aus der Schaffhauser Medienszene: Pascal Nufer, bis ins Jahr 2000 für Radio Munot tätig, gehört zu den auserwählten Medienvertretern. Nicht zufällig. Er, der heute für die SRF-«Tagesschau» arbeitet, wird der neue China-Korrespondent des Schweizer Fernsehens. So sind wir beide gespannt, was uns in China erwarten wird. Im Gegensatz zu Nufer bin ich zum ersten Mal im Reich der Mitte. Man landet kurz vor Mitternacht Schweizer Zeit in Peking, wo es praktisch hell ist. Ein schöner Sonnenaufgang kündigt einen heissen Tag an. Wegen der sechsstündigen Zeitverschiebung muss der Transfer zum Hotel zügig erfolgen. Statt einem kurzen Nickerchen ist früh um sieben ein Briefing vorgesehen, auch «Preparatory Breakfast» genannt. Nebst einer gut gelaunten Ruth Metzler-Arnold entdecken wir auch die bekannte Unternehmerin Franziska Tschudi Sauber und Alfred N. Schindler, der mit seinen Aufzügen auch in China sehr geschätzt und als Pionier bezeichnet wird. Alle – oder wenigstens fast alle – sind da. Ausgerechnet der Delegationsleiter der Wirtschaft hat im Grand Hyatt den falschen Lift erwischt. Man schmunzelt und mag es ihm nachsehen. Denn auch er hat im Hinflug kaum ein Auge schliessen können.
Ein Meeting nach dem anderen
Ab halb neun Uhr folgen die offiziellen Gesprächsrunden und Begleitmeetings Schlag auf Schlag. Alles ist bis ins Detail vorweg geregelt worden. Das Protokoll will es, dass ich prominent zur Rechten von Bundesrat und Botschafter platziert werde. Den Anfang macht ein Besuch im Ministerium für Personalressourcen und Soziale Sicherheit. Minister Yin Weimin verweist auf die stark verbesserten Bedingungen im Bereich der Sozialwerke. Fast alle Chinesen hätten inzwischen eine Krankenversicherung und über 80 Prozent eine berufliche Vorsorge. Feierlich unterzeichnen Yin und Schneider-Ammann ein Arbeitsabkommen. Bereits hier kündigt sich an, dass unser Wirtschaftsminister an diesem Tag zur Hochform auflaufen sollte. Entsprechend zufrieden wirken Botschafter De Watteville und Kommunikationschef Rudolf Christen. Ich bin erleichtert.
Der formelle Höhepunkt
Die für elf Uhr vorgesehene Unterzeichnung des Freihandelsabkommens durch Handelsminister Gao Hucheng und Bundesrat Schneider-Ammann ist der formelle Höhepunkt des Tages. Im vorgängigen Gespräch werden die langjährige gegenseitige Freundschaft beschworen und der Nutzen des Abkommens für die beiden Länder hervorgehoben. Für uns sind ein verbesserter Marktzugang und Patentschutz sowie eine strenge Ursprungsregelung und die Anerkennung der landwirtschaftlichen Qualitätsnormen von Bedeutung. Für China werden wir primär zum strategischen Partner im Euroraum. Nicht umsonst blickt man bei unserem nördlichen Nachbarn leicht säuerlich drein. Die Lacher hat Minister Gao auf seiner Seite, als er sich tiefere Preise für Schweizer Luxusuhren und Milchpulver wünscht. Unter dem Beifall der Anwesenden unterzeichnen die beiden Minister das historische Abkommen. Das Interesse an der anschliessenden Medienkonferenz ist gross. Einen Überraschungscoup leistet sich dabei eine Journalistin. Sie richtet sich in einwandfreier deutscher Sprache an Schneider-Ammann und interviewt anschliessend in fliessendem Chinesisch Handelsminister Gao. Die attraktive Aargauerin arbeitet fürs chinesische Fernsehen. Mit mindestens so grosser Spannung blicke ich dem später vorgesehenen Treffen mit dem starken Mann Chinas, Premierminister Li Keqiang, entgegen. Doch davon trennt uns noch der offizielle Lunch im Beijing-Hotel mit sage und schreibe vier Guest-Speakern – und die Aufklärung darüber, wie man sechs Gänge in 25 Minuten bewältigen kann. So viel vorweg, sie sind gut verdaut – und das Abkommen sicher im Gepäck verstaut.
Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP) reiste als Präsident der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Ständerates mit der Schweizer Delegation nach China. Für die SN schrieb er diesen persönlichen Bericht über die Reise.