Die Gegner der beiden Agrarinitiativen versprachen, bei einem Nein den Einsatz von Pestiziden und Dünger zu verschärfen. Zu scharf sollen die Regeln nun doch nicht ausfallen.
Andrea Tedeschi
BERN/SCHAFFHAUSEN. Nicht weniger als «das strengste Pestizidgesetz» Europas soll die Schweiz bekommen, sollten die Stimmbürger die Trinkwasser- und Pestizidverbotsinitiative am 13. Juni ablehnen. Das wiederholten die Gegner während des Abstimmungskampfs, allen voran die Landwirte des Bauernverbands und die Agrarindustrie. Sie verwiesen auf das Verordnungspaket, welches die National- und Ständeräte als inoffiziellen Gegenvorschlag im vergangenen Frühling beschlossen hatten. Selbst Bundesrat Guy Parmelin sagte, die formulierten gezielten Lösungen seien besser als «die radikalen Initiativen gegen Pestizide». Beide Vorlagen scheiterten an der Urne deutlich.
Kritik an mangelhaften Alternativen
Nun zeigt sich, wie ernst es den Gegnern mit ihrem Versprechen ist. Letzte Woche endete die Vernehmlassung der Massnahmen. Sie sehen unter anderem vor, das Budget für ökologische Leistungen deutlich zu erhöhen und das Risiko beim Einsatz von Pestiziden um die Hälfte bis 2027 zu senken.
Weil mehr als 80 Prozent der Pestizidrückstände im Wasser und in den Böden aus der Landwirtschaft stammen, sind vor allem die Landwirtschaft und die Bauern in der Pflicht. Mit Ausnahme der Agrarindustrie gibt es kaum Opposition, einzelne Einschränkungen bleiben jedoch umstritten.
Die Schaffhauser Umweltpolitikerin Martina Munz (SP) kritisiert, dass die Verordnung zwar Reduktionsziele beinhalte, aber keine konkreten Massnahmen vorgebe, wie der Einsatz der Pestizide einzuschränken sei. «Was bedeutet das Risiko halbieren? Nur die Menge zu reduzie- ren, ist nicht zielführend», sagt sie. «Denn es gibt Pestizide, die schon in kleinsten Mengen hochtoxisch sind und gefährlich für die Umwelt.» Für Kritiker wie sie ist es an den Bauern, konkrete Lösungen aufzuzeigen.
Während die Kleinbauern-Vereinigung eine Lenkungsabgabe auf Pestizide fordert, will der Schweizer Bauernverband (SBV) die Reduktionsziele mit dem ökologischen Nachweis erreichen. «Wir Bauern müssen uns erheblich einschränken», sagt David Brugger, Leiter Pflanzenbau beim Bauernverband. «Schon ab nächstem Jahr bis 2024 müssen wir den Beweis erbringen, dass wir auf Kurs sind.» Über 50 Pflanzenschutzmittel seien bereits verboten worden, aber nur zwei neue Mittel bewilligt. «Wir wissen jedoch nicht, ob das Verbot dieser Pflanzenschutzmittel auch die gewünschte Wirkung haben wird.»
Deshalb fordert der SBV die Mithilfe des Bundes, damit die Landwirtschaft die Vorgaben umsetzen kann. Er soll die aktuelle Lage rund um die Pestizide genau erfassen und rasch eine Datenbank erstellen, die es ermöglicht, die Risiken nach ihrem Einsatzbereich zu differenzieren und der Einsatz der Pestizide gezielt zu reduzieren.
Für die Agrarindustrie schiesst das Paket dagegen «weit über das ursprüngliche Ziel hinaus» und kritisiert – wie der SBV – das Verbot der Pflanzenschutzmittel. «Bei den Rückständen in den Gewässern muss man handeln», sagt Anna Bozzi, Leiterin Ernährung und Agrar bei Scienceindustrie. «Aber wir wollen keinen Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, ohne dass es gleichwertige Alternativen gibt.» Das Hauptproblem sieht Bozzi zum einen bei den Direktzahlungen, die den Verzicht der Pflanzenschutzmittel fördern, zum anderen bei der Zulassung des Bundes. «Sie funktioniert nur ungenügend. Der Bund lässt seit Jahren keine Pflanzenschutzmittel zu und verhindert damit Innovation in der Landwirtschaft.» Der Wirtschaftsverband befürchtet mit einem «Totalverzicht» einen Er- tragsverlust von 47 Prozent und Mindererträge von bis zu 43 Prozent.
Tierbestand soll weniger werden
Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP) hat sich während der Ratsdebatte zur Vorlage für die Interessen der Landwirte eingesetzt. An weniger Pestiziden will er festhalten, nicht aber an weniger Dünger, dem zweiten Ziel des Parlaments. «Bei der Pestizid-Reduktion kann man auf der ehrgeizigen Linie bleiben, aber beim Dünger müssen die Ziele nochmals überarbeitet werden.»
Der Bundesrat hat in der Verordnung präzisiert, wie die Nährstoffüberschüsse, also die Überdüngung des Bodens mit Stickstoff und Phosphor, angemessen reduziert werden sollen: mit weniger als 20 Prozent bis 2030. «Grenzwerte sind hier schwierig, weil nicht klar ist, ob sie eingehalten werden können», sagt Germann.
Auch der Schweizer Bauernverband hält das Ziel für unrealistisch und schlägt stattdessen 10 Prozent vor. «Wir sagen Ja zu den 10 Prozent, weil wir nicht mehr erreichen können, ohne dass man den Fleischkonsum reduzieren müsste.» Der Import von Futtermittel für die Tiere führt zu mehr Dünger und zu Nährstoffüberschüssen. Heute müssen die Bauern mit einer Nährstoffbilanz belegen, dass sie keine Überschüsse ausbringen. Eine Toleranzgrenze bis 10 Prozent ist erlaubt, die der Bundesrat jetzt streichen will.
«20 Prozent sind ein Schritt in die richtige Richtung», sagt die Nationalrätin Martina Munz. Doch auch für sie ist klar: «Möglich ist das nur, wenn der Tierbestand in der Schweiz zurückgeht.» Sie fordert Zwischenziele und Massnahmen, wenn die 20 Prozent nicht erreicht würde. Weniger Tiere würde jedoch auch bedeuten, dass der Konsument sein Fleischbedarf reduzieren müsste oder der Fleischimport steigen würde. Munz sagt auch hier: «Statt Einzelmassnahmen müsste vermehrt eine ganzheitliche Betrachtung und ökologische Betriebssysteme gefördert werden.»
Hannes Germann Schaffhauser Ständerat (SVP):
«Bei der Pestizid-Reduktion kann man auf der ehrgeizigen Linie bleiben, aber beim Dünger müssen die Ziele nochmals überarbeitet werden.»