Die EU drängt die Schweiz zur schnelleren, gar automa-tischen Übernahme des EU-Rechts. SVP-Ständerat Hannes Germann sieht die Schweiz bei den Verhandlungen in einer guten Position.
von Peter Granwehr
Braucht die Schweiz überhaupt bilaterale Verträge mit der EU?
Hannes Germann: Solche Verträge braucht es auf jeden Fall. Das sieht und erlebt man im Alltag vor allem in der Wirtschaft, namentlich im starken Exportsektor sowie im Reiseverkehr, was dadurch ungemein erleichtert wird. Dass es die Bilateralen mit der EU gibt, ist der beste Beweis dafür, dass es sie braucht.
Nun aber will die EU, dass bilaterale Verträge mit der Schweiz jeweils automatisch dem neuesten Stand des EU-Rechts angepasst werden. Wie soll die Schweiz darauf reagieren?
Germann: Das ist absolut inakzeptabel. Ein Vertragsabschluss ist immer eine Momentaufnahme; man kann die Bedingungen nicht im Nachhinein zu seinen Gunsten ändern. Durch eine automatische Übernahme von EU-Recht würde unsere direkte Demokratie ausgehebelt. Faktisch wäre das ein EU-Beitritt ohne Mitwirkung bei der Rechtssetzung – die schlechteste aller Varianten.
Die EU argumentiert, weiterentwickeltes Recht sei die Antwort auf veränderte Umstände und müsse für alle am Vertragswerk beteiligten Länder gleichermassen gelten …
Germann: … dass man veränderte Umstände durch Rechtsanpassungen auffängt, ist schon in Ordnung. Aber das muss stets über neue Verhandlungen führen. Dass die Schweiz EU-Rechtsentwicklungen einfach übernimmt, kommt nicht in Frage.
Die Schweiz hatte sich im Schengen/Dublin-Vertrag bereits auf einen Mechanismus zur Anpassung an neues EU-Recht eingelassen: Sie hat jeweils zwei Jahre Zeit, Rechtsanpassungen zu übernehmen; falls sie das nicht will, kann der Vertrag gekündigt werden. Ist das ein Modell für die Zukunft?
Germann: Nein. Da liess man sich auf eine Ausnahme ein, weil man sich mehr Sicherheit und einen Vorteil hinsichtlich der Asylgesuche versprach. Aber mittlerweile hat sich gezeigt, dass dieses Modell nicht gut ist. Innerhalb von zwei Jahren erfolgten über hundert Rechtsanpassungen. Das allein spricht Bände. Insofern ist Schengen/Dublin ein abschreckendes Beispiel.
Soll Bern also Schengen kündigen?
Germann: Das sollte man sich gut überlegen; ich kann die Forderung nachvollziehen. Jedenfalls hat Schengen nicht gehalten, was es versprochen hatte. Es gibt Sicherheitsprobleme, Kriminalität und illegale Einwanderung, weil die sich dauernd veränderte EU-Aussengrenze einfach nicht genügend sichern lässt. Dazu kommt, dass Zoll und Grenzwachtkorps personell unterdotiert sind. Das jetzige Kontrollsystem hat zu viele Schwächen.
Ein Ausstieg bei Schengen würde dem Tourismus schaden, und die Schweiz wäre von der gemeinsamen Fahndungsdatenbank ausgeschlossen. Wie soll sich das lohnen?
Germann: Schengen-Visa könnte die Schweiz wahlweise auch einseitig akzeptieren. Und das neue SIS-Fahndungssystem funktioniert ohnehin noch nicht wie versprochen. Aber der Zugriff auf die verbesserte Version könnte auch mit einem einfachen Vertrag geregelt werden. Die EU hat ja auch ein Interesse daran, dass die Schweiz bei der Fahndung eingebunden ist.
Ihre Partei verlangt auch die Kündigung der Personenfreizügigkeit. Warum soll das gut für die Schweiz sein?
Germann: Das muss man nicht als unmittelbar bevorstehenden Schritt verstehen, sondern mehr im Sinne einer Ultima Ratio. Es geht darum, eine mögliche Option aufzuzeigen, sollten sich die Folgen der Personenfreizügigkeit negativ entwickeln. Offenbar ist es auch den Gewerkschaften nicht mehr ganz wohl mit der aktuellen Entwicklung der Personenfreizügigkeit.
Sind Sie persönlich für eine Kündigung des Abkommens?
Germann: Nein. Als Befürworter der Personenfreizügigkeit steht für mich der Werkplatz Schweiz im Vordergrund. Wir sind auf dieses Abkommen angewiesen. Gerade für einen Grenzkanton wie Schaffhausen mit seiner starken Exportwirtschaft ist es enorm wichtig. Und als dessen Vertrauensperson im Parlament vertrete ich dort primär die Interessen meines Kantons und nicht nur jene der Partei.
Sie sind damit Teil des grossen Konsenses in der Schweiz, wonach nur der bilaterale Weg Zukunft hat. Um diesen weiter beschreiten zu können, braucht es aber auch die EU. Was bieten Sie ihr an, damit sie unsere zentrale Bedingung akzeptiert?
Germann: Wir müssen der EU nichts anbieten, sondern ihr klarmachen, dass für uns eine automatische Übernahme von EU-Recht nicht in Frage kommt. Auch sie muss einsehen, dass das vor dem Volk keine Chance hätte.
Das mag ihr einleuchten, ändert aber nichts daran, dass die EU ihre eigenen Mitgliedsländer nicht schlechter stellen will als die Schweiz. Wie bringen Sie da die EU dazu, mit uns weitere bilaterale Abkommen – zum Beispiel zum Strommarkt – zu schliessen?
Germann: Ich weiss: Unsere Stromindustrie will diesen Vertrag. Aber auch die EU hat ein Interesse daran. Sie hat viel Spitzenergie (Wind, Solar), wir die Speichermöglichkeiten. Man muss also weiterverhandeln. Wir müssen selbstbewusst und aus einer Position der Stärke auf den uns wichtigen Zugeständnissen beharren.
Sind wir in einer Position der Stärke, wenn wir an bestimmten Abkommen mehr interessiert sind als die EU?
Germann: Die EU schliesst bilaterale Verträge, wenn und weil sie etwas von der Schweiz will und umgekehrt. Es braucht also eine Win-win-Situation. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, gibt es auch keinen Vertrag. Aber ich glaube, dass noch Themen vorhanden sind für solche Situationen.
Zum Beispiel?
Germann: Strom, Verkehr, Bahninfrastrukturen und Autobahnanschlüsse an das europäische Verkehrsnetz. Aber auch im Bereich Banken und Versicherungen haben wir ein grosses Potenzial. Wenn man hier einen gemeinsamen Bedarf erkennt, wird man sich auch finden – ohne dass die Schweiz inakzeptable Zugeständnisse machen muss. Wo hingegen das gemeinsame Interesse fehlt, muss und wird man auf bilaterale Abkommen verzichten.