Vor der entscheidenden Weichenstellung im Ständerat sorgt ein Rechtsgutachten zur Reform der Unternehmensbesteuerung für Aufregung.
Hannes Germann
Bern Nach der Behandlung in beiden Räten kommt sie in die zweite Runde, die Unternehmenssteuerreform II. Der Ständerat wird sich mit dem Geschäft in der zweiten Woche der Wintersession befassen. Die Wirtschafts- und Abgabenkommission des Ständerates (Wak-S) hat sich in ihrer Novembersitzung mit den Differenzen zwischen den beiden Räten befasst. Im Vordergrund steht das Teilbesteuerungsverfahren und eher auf einem Nebengeleise die Beseitigung des Steuerärgernisses beim so genannten Quasi-Wertschriftenhandel. Bei Letzterem zeichnet sich indes noch kein Durchbruch ab, sodass es denkbar ist, diesen Teil von der Kernvorlage abzukoppeln und in einem speziellen Erlass weiterzuberaten. Doch bleiben wir beim Kern der Vorlage, bei der angestrebten Teilbesteuerung der Dividenden mit dem Ziel, die wirtschaftliche Doppelbelastung zu mildern. Diese resultiert aus der 100-Prozent-Besteuerung von Dividenden auf einem bereits einmal versteuerten Unternehmensgewinn. Unser Land gerät in dieser Hinsicht im internationalen Wettbewerb mehr und mehr ins Hintertreffen. Nebst unseren Nachbarstaaten (Halbeinkünfteverfahren) setzen immer mehr Konkurrenten auf die begünstigte Besteuerung von Dividenden auf Stufe Anteilseigner (Shareholder-Relief-Verfahren). Vier europäische Länder befreien Dividenden gar ganz von der Besteuerung. Berücksichtigt man nebst der Steuerbelastung des Unternehmens auch die Steuerbelastung des Investors, also jener Person, die über die Vergabe von Risikokapital entscheidet, ist die Schweiz im internationalen Steuerranking auf einen der hintersten Plätze zurückgefallen.
Teilbesteuerungssatz
Um diesen Missstand zu beheben, schlagen Bundesrat und Ständerat nun einen Teilbesteuerungssatz auf Dividenden von 50 Prozent im Geschäftsvermögen und von 60 Prozent im Privatvermögen vor. Beim Geschäftsvermögen und bei der Mindestbeteiligungsquote von 10 Prozent als Voraussetzung für die Teilbesteuerung ist man sich in den beiden Räten einig. Der Nationalrat will hingegen auch im Privatvermögen eine Teilbesteuerung von 50 Prozent. Die Wak-S wiederum hält bei Unternehmensanteilen, die im Privatvermögen (steuerfreier Kapitalgewinn) gehalten werden, am höheren Satz von 60 Prozent fest.
Drei Zielrichtungen
Professor Waldburger, – inzwischen freigestellter – Experte in Diensten der eidgenössischen Steuerverwaltung, sorgte ebenso für Augenreiben, als er die Verfassungsmässigkeit der Vorlage in Frage stellte, wie das jetzt vorliegende Gutachten des Bundesamtes für Justiz (BJ), zumal in der Botschaft die Verfassungsmässigkeit der gesamten Vorlage klar bejaht wird. Diese Einschätzung teilt auch Professor Etienne Grisel (Uni Lausanne) in einem gleichzeitig erstellten Zweitgutachten. Für ihn ist die Verfassungsmässigkeit von Teilbesteuerungsverfahren auch unter dem Aspekt des verfassungsmässigen Gleichheitsgebotes zweifelsfrei gegeben. Auf Grund dieser verzwickten Ausgangslage trifft sich die Wak-S am Mittwoch zur Lagebeurteilung und Beschlussfassung. Dabei gilt es im Auge zu behalten, dass die Unternehmenssteuerreform drei Zielrichtungen verfolgt: die steuerliche Attraktivierung von Risikokapital, die Verbesserung der Standorte und die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für KMU. Das Dilemma besteht darin, dass die drei Ziele zwei unterschiedlichen Gleichheitsgeboten folgen: der Finanzierungsneutralität als Kernanliegen der Reform und der anzustrebenden Rechtsformneutralität, die laut BJ-Gutachten unter einem Teilbesteuerungssatz von 70 Prozent nicht mehr vollumfänglich gegeben ist. Wirtschaftlich bedeutender ist allerdings die Finanzierungsneutralität, bei der man deutlich unter 50 Prozent gehen könnte. In diesem Sinne befindet sich der von Bundesrat und Ständerat favorisierte Teilbesteuerungssatz von 60 Prozent von Dividenden im Privatvermögen innerhalb jener Bandbreite, mit der das Gleichheitsgebot erfüllt ist. Es ist wohl der verfassungskonforme Kompromiss zwischen ökonomisch Wünschbarem und politisch Machbarem.
Hannes Germann ist Schaffhauser Ständerat und Präsident der Wirtschafts- und Abgabenkommission (Wak-S).