Die eidgenössischen Wahlen, die sich im Kanton Schaffhausen zuerst unspektakulär anliessen, endeten mit einem historischen Sitzverlust des Freisinns.
von Erwin Künzi
Als vor gut einem Jahr die Vorschauen für 2011 geschrieben wurden, waren natürlich auch die im Herbst anstehenden Wahlen in die eidgenössischen Räte ein Thema. So wie die Lage sich damals präsentierte, gingen die meisten Politauguren von einem eher ruhigen Wahlherbst aus. Beim Nationalrat, das war bereits absehbar, würden sich die beiden Bisherigen – Hans-Jürg Fehr (SP) und Thomas Hurter (SVP) – wieder zur Wahl stellen. Da beide ihre Arbeit in Bern gut gemacht hatten, stand nach allgemeiner Ansicht ihrer Bestätigung nichts im Wege, zumal sich bei der FDP, der die SVP vor vier Jahren den Nationalratssitz entrissen hatte, keine Kandidatur abzeichnete, die Fehr oder Hurter schlaflose Nächte bereitet hätte.
Etwas anders war die Ausgangslage beim Ständerat, trat doch der langjährige FDP-Vertreter Peter Briner auf Ende der Legislatur zurück. Doch auch hier schien der weitere Ablauf vorbestimmt zu sein: Der Bisherige Hannes Germann von der SVP würde wiederum antreten, im bürgerlichen Doppelpack mit dem Briner-Nachfolger, der in der Person von Christian Heydecker, dem Kantonsratspräsidenten für 2011, schon frühzeitig von der FDP nominiert worden war. Und wie gewohnt würde auch die SP kandidieren, diesmal mit Kantonsrat Matthias Freivogel, obwohl ihre Chancen, den Sitz zu erobern, wegen der Majorzwahl minim waren. So gingen alle von einer ruhigen Wahl im üblichen Rahmen aus. Doch es sollte ganz anders kommen.
In Japan bebte die Erde
Am 11. März, am frühen Nachmittag, bebte in Japan die Erde. Das am Meer gelegene Atomkraftwerk Fukushima wurde schwer beschädigt, Luft, Böden, Wasser und Nahrungsmittel radioaktiv verseucht. 150 000 Menschen aus der Umgebung des Atomkraftwerks mussten evakuiert werden, wahrscheinlich für immer. Diese nukleare Katastrophe hatte weltweit Folgen. In der Schweiz wurde über den Ausstieg aus der Atomenergie diskutiert, und im Kanton Schaffhausen bewogen die Ereignisse in Fukushima alt Regierungsrat Herbert Bühl von der ÖBS zu einer Kandidatur für den Ständerat. Doch Bühl sollte nicht der letzte Kandidat bleiben. Im Laufe des Frühlings verdichteten sich die Gerüchte, dass Thomas Minder, der Vater der Abzocker-Initiative, ebenfalls kandidieren würde. Und am 13. August war es so weit: Der parteilose Minder kündete in einem SN-Interview seine Kandidatur an und erklärte auch gleich, wen er ins Visier nehmen wollte: den atomfreundlichen FDP-Kandidaten Heydecker.
Zweiter Wahlgang wahrscheinlich
Und so entwickelte sich dann auch der zunehmend heftiger werdende Wahlkampf. Minder attackierte in grossformatigen Zeitungsinseraten Heydecker, und wer sich im Volk umhörte, dem wurde rasch einmal klar, dass Minder nicht chancenlos war. Aber würde es ihm gegen den von allen bürgerlichen Parteien sowie den SN unterstützten Heydecker reichen? Je näher der 23. Oktober, der Wahltag, rückte, umso klarer wurde, dass es zumindest zu einem zweiten Wahlgang kommen würde. Als dieser dann am frühen Sonntagnachmittag feststand, war die Überraschung trotzdem gross. Zwar hatte Hannes Germann die Wiederwahl klar geschafft. Auf dem zweiten Platz lag aber nicht Heydecker, sondern Minder, der einen Vorsprung von rund 3500 Stimmen auf Heydecker aufwies. Würde der FDP-Kandidat das noch aufholen können? Beim Nationalrat lief alles wie erwartet: Fehr und Hurter wurden bestätigt. Da die 21 Kandidierenden, die sich auf 10 Listen präsentiert hatten, vor allem für Verwirrung gesorgt hatten, lag die Wahlbeteiligung beim Nationalrat deutlich unter jener von 2007.
Die Gangart wurde härter
Während beim Nationalrat alles entschieden war, kam es also beim Ständerat am 13. November zu einem zweiten Wahlgang. Die Gangart wurde nochmals verschärft. Hatte bisher vor allem Minder ausgeteilt, waren es jetzt die Jungfreisinnigen, die in ähnlichem Stil zurückkeilten. Immer stärker trat die Frage in den Vordergrund, welcher Fraktion sich Minder anschliessen würde, und je mehr er sich weigerte, sie zu beantworten, je hartnäckiger wurde sie gestellt. Herbert Bühl hatte sich zurückgezogen, und die Frage war, inwieweit dies der Kandidatur von Freivogel nützen würde. Die Antwort auf diese und andere Fragen kam am 13. November, und sie fiel nicht so aus, wie FDP und SP sie sich erhofft hatten.
Drei SVP-Vertreter
Kurz nach 12 Uhr stand es fest: Der zweite Schaffhauser Ständerat heisst Thomas Minder. Dieser hatte praktisch gleich viele Stimmen wie beim ersten Wahlgang erhalten, aber dennoch seinen Vorsprung auf Heydecker, der noch hinter Freivogel zurückgefallen war, nochmals ausgebaut. Die Niederlage Heydeckers bedeutete auch, dass der Schaffhauser Freisinn zum ersten Mal seit seiner Gründung 1904 keinen Vertreter mehr nach Bern schickte. Eine weitere Konsequenz dieser Wahl stellte sich erst später heraus: Minder trat in Bern der SVP-Fraktion bei, womit der Kanton Schaffhausen die nächsten vier Jahre in den eidgenössischen Räten drei SVP- und einen SP-Vertreter stellt.