Die Parlamentarier überbieten sich seit Tagen mit Lösungen, wie zu hohe Energiekosten zu senken seien. Ökonomen raten jedoch von übereilten Massnahmen ab.
Andrea Tedeschi
BERN . Der Krieg in der Ukraine hat die Parlamentarierinnen und Parlamentarier alarmiert. Wie sehr, zeigt sich heute Mittwoch im Nationalrat. Gleich elf dringliche Interpellationen haben die Parteien eingereicht, von der SP bis zur SVP. Der Sorgenbarometer reicht vom Schutz der Flüchtlinge über die Armeestrategie der Schweiz bis hin zur Stärkung der europäischen Zusammenarbeit. Besonders zu reden geben jedoch die Energiepreise, weil sie jeder unmittelbar im Portemonnaie spürt. Der Krieg treibt sie in die Höhe. Statt wie Anfang Februar noch 1,80 Franken kostet der Liter Benzin inzwischen 2,20 Franken. Nicht nur das Autofahren wird teurer, auf höhere Heizkosten muss sich jede und jeder einstellen, der Haus oder Wohnung mit Gas oder Öl heizt.
Autofreie Sonntag bis Totalumbau
Seit Tagen überbieten sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit möglichen Lösungen, wie die zu drohenden Kosten zu drosseln seien. Die Grünen forderten in der «NZZ am Sonntag» autofreie Sonntage, eine Tempolimite von 80 oder 100 km/h oder die Raumtemperatur zu Hause um einen Grad zu senken. «Weniger Auto zu fahren ist immer gut. Jeder und jede sollte so viel Energie sparen wie möglich, aber nicht staatlich verordnet», sagt dazu Nationalrätin Martina Munz (SP/SH). Sie gewichtet langfristige Massnahmen höher als kurzfristige – auf die Gefahr hin, dass Geringverdiener die Mehrkosten ohne Unterstützung überbrücken müssen. Damit nimmt die Sozialdemokratin eine eher liberale Position ein. Der Grund: «Der Krieg führt uns vor Augen, wie abhängig wir von den fossilen Brennstoffen sind. Davon müssen wir jetzt rasch wegkommen.»
Aktionismus, sagen Ökonomen
Den Konsumenten und Unternehmen kurzfristig unter die Arme greifen, will dagegen die SVP. Sie fordert eine Reduktion der Mineralölsteuer und der Klimaabgaben auf Heizöl und Strom um je einen Drittel. Gestern hat der Nationalrat zugestimmt, keine Mehrwertsteuer auf Treibstoffabgaben zu erheben. Damit soll der Liter Benzin sieben Rappen günstiger werden. Noch muss der Ständerat zustimmen.
Für Ständerat Hannes Germann (SVP/SH) ist die Forderung ein «Schnellschuss»: «Für die Senkung der Mehrwertsteuer braucht es eine Verfassungsänderung, das ist nicht zielführend.» Man sollte jetzt darauf vertrauen, dass sich die Situation über den Markt entspannt. Anders sieht das sein Parteikollege, Nationalrat Thomas Hurter (SVP/SH): «Der Bund muss die Rahmenbedingungen sofort so gestalten, dass die Wirtschaft weiter gut läuft.» Im Gegensatz zu anderen SVP-Vertretern will er jedoch nur jenen Teil der Mineralölsteuer senken, der nicht in den Strassenbau fliesst. Gleichzeitig fordert er einen steuerlichen doppelten Pendlerabzug für jene, die jetzt vom Auto auf den Zug umsteigen.
Aber was bringen die Interventionen überhaupt? Nicht viel bis nichts, laut Reto Föllmi, Professor für Volkswirtschaft an der Universität St. Gallen. «Es ist eine Illusion, zu glauben, dass die Energiepreise mit einer oder mehreren Massnahmen gesenkt würden. Rohstoffpreise neigen zu hohen Schwankungen, die sich in früheren Krisen immer wieder zurückgebildet haben.»
Einen hohen Preisanstieg auf 1,99 Franken pro Liter gab es 2008 und zuletzt auf 1,86 Franken pro Liter im 2012. Im letzten Jahr lag der Benzinpreis im Durchschnitt bei 1,76 Franken pro Liter. «Entscheidend ist, wie lange die Krise anhalten wird», sagt der Ökonom. «Über Interventionen sollte man dann nachdenken, wenn die Preise über einen längeren Zeitraum sehr hoch bleiben, aber nicht jetzt.» Hurter will aber jetzt schon handeln, aus demselben Grund: «Durch den Krieg in Europa sind die gesamte Schweizer Bevölkerung und die KMU vermutlich über eine längere Zeit direkt betroffen.»
Bis die Forderung nach einer Senkung der Mineralölsteuer tatsächlich umgesetzt wird, könnte es durchaus dauern. Der schnellste Weg ginge über eine Initiative der zuständigen Energiekommission des Nationalrats. Dort ist bis jetzt laut Kommissionspräsident noch kein Vorstoss eingegangen.