Das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird von manchen als klinisch tot beschrieben, und ein Wirtschaftskomitee macht sich für eine bessere Lösung stark. Gegenüber dieser haben Schaffhauser Unternehmer Vorbehalte, aber auch Sympathien.
Reto Zanettin
BERN/SCHAFFHAUSEN. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Zu diesem Schluss kommt, wer die politische Diskussion um das Rahmenabkommen verfolgt. Die SVP lehnt den Vertrag rundweg ab, die SP hat Bedenken wegen des Lohnschutzes. CVP-Präsident Gerhard Pfister nannte die Rolle des Europäischen Gerichtshofs in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» toxisch. Und alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP) schrieb in einem NZZ-Kommentar, nicht nur beim Lohnschutz, den staatlichen Beihilfen und der Unionsbürgerrichtlinie solle nachgebessert werden. «In den (Nach-)Verhandlungen muss unbedingt auch die grundsätzliche Frage der staatlichen Souveränität angesprochen werden.» Für diese weiteren Verhandlungen hat der Bundesrat nachgerüstet. Er hat mit Livia Leu eine neue Chefunterhändlerin eingesetzt und das Verhandlungsmandat festgelegt. Was darin genau enthalten ist, hat die Landesregierung zunächst geheim gehalten. Erst in einer Antwort auf eine parlamentarische Interpellation liess sie sich in die Karten blicken. Demnach will der Bundesrat «zufriedenstellende Klärungen erreichen, namentlich in den Bereichen staatliche Beihilfen, Lohn- und Arbeitnehmerschutz sowie Unionsbürgerrichtlinie».
In diesen drei Punkten möchte auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse Verbesserungen. «Wir wollen den bilateralen Weg fortsetzen. Das Rahmenabkommen erachten wir als Schlüssel dazu», sagt Monika Rühl, Vorsitzende der Geschäftsleitung von Economiesuisse. Nur durch den Rahmenvertrag würden die bilateralen Abkommen aufdatiert und ihren Wert behalten. «Das Gesamtpaket schafft Rechtssicherheit und gewährleistet den Schweizer Unternehmen den Zugang zum EU-Binnenmarkt.» Rühl zeigt sich ferner zuversichtlich, dass die EU in den kommenden Verhandlungen Hand bieten wird, wenn es um Präzisierungen zu den einzelnen Punkten geht.
«Wir brauchen Souveränität»
Eine grundsätzlich andere Haltung nimmt Hans-Jörg Bertschi ein. Er ist Unternehmer und Co-Präsident des Wirtschaftskomitees Autonomiesuisse, das Mitte November erstmals öffentlich auftrat. «Ich bin nicht gegen ein Rahmenabkommen mit der EU, und ich unterstütze ausdrücklich den bilateralen Weg. Aber ich setze mich für einen besseren Rahmenvertrag ein als jenen, über den zurzeit Verhandlungen laufen», hält Bertschi fest. Er empfindet die Position von Economiesuisse als zu einseitig und kurzfristig ausgerichtet. Nachverhandlungen in den drei genannten Punkten genügten nicht, denn: «Auf dem Spiel steht nicht nur der Marktzugang, sondern die Souveränität der Schweiz», erklärt Bertschi. Als Unternehmer denke er: «Wir brauchen Souveränität, damit wir unsere wirtschaftlichen Rahmenbedingungen selbst gestalten können und sie uns nicht von Brüssel aus diktiert werden.» Mit dem Rahmenabkommen würde mittelfristig eine Angleichung an die deutlich schlechteren Bedingungen in der EU stattfinden, und dies würde die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Unternehmen schwächen, so Bertschi.
Dagegen führt Rühl ins Feld: «Die Schweiz wird ein Mitspracherecht – wenn auch kein Mitbestimmungsrecht – erhalten. Sie kann dadurch bei der Rechtssetzung im Bereich der fünf Marktzugangsabkommen mitreden.» Dazu schreiben Christa Tobler, Professorin für Europarecht, und der Rechtsanwalt Jacques Beglinger in ihrer Publikation zum institutionellen Rahmenabkommen das Folgende: «Mitsprache bedeutet zum Beispiel die Mitarbeit der Schweiz in vorbereitenden Ausschüssen der EU. Auf diese Weise kann die Schweiz durchaus Einfluss ausüben.» Rühl sagt, am Ende müsse die Schweiz eine Abwägung vornehmen. «Wo gewinnen wir, wo verlieren wir Selbstbestimmung – und nehmen wir Einbussen zugunsten des Marktzugangs in Kauf?» Das Paket solle insgesamt ausgewogen sein.
Wirtschaftsabkommen als Plan B
Bertschi hat eine solche Abwägung bereits vorgenommen. «Auf lange Sicht überwiegen die Nachteile des Rahmenabkommens die Vorteile deutlich. Die Schweiz und die EU sollten deswegen eine Denkpause einlegen und nach Alternativen suchen.» Als einen solchen Plan B sieht Bertschi ein umfassendes Wirtschafts- und Freihandelsabkommen (Ceta; «Comprehensive Economic and Trade Agreement»), wie es die EU und Kanada ausgehandelt haben. «Ein solches Freihandelsabkommen würde vieles abdecken, was wir heute in den bilateralen Verträgen geregelt haben. Aber es würde nicht zur dynamischen Übernahme von EU-Recht führen und die Schweiz nicht der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterstellen», erklärt Bertschi.
Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fanden zwar Gespräche über ein Freihandelsabkommen im Stil eines Ceta statt. «Unser Augenmerk gilt in erster Linie dem Rahmenabkommen», sagt Rühl jedoch und ergänzt: «Sollte dieses scheitern, wäre ein Freihandelsabkommen wohl eine naheliegende Alternative.» Die Geschäftsführerin von Economiesuisse gibt allerdings zweierlei zu bedenken, zum einen: «Es dauert Jahre, bis ein solcher Vertrag ausgehandelt ist. Zum anderen mache es einen Unterschied, ob die Vertragsparteien geografisch gesehen Tausende von Kilometern voneinander entfernt seien oder ob es sich um Nachbarn handle. Das Abkommen zwischen der EU und Kanada könne insofern keine Blaupause für ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU sein. «Aufgrund der geografischen Nähe sind unsere Beziehungen enger und vielfältiger – denken Sie etwa an die Personenfreizügigkeit oder den Landverkehr», sagt Rühl.
Sich an Südkorea orientieren
Bei Unternehmern aus der Region Schaffhausen kommt der Vorschlag eines umfassenden Freihandelsvertrags gut an. «Ein Wirtschafts- und Freihandelsabkommen, wie es Kanada und die EU abgeschlossen haben, wäre auch für die Schweiz ein grundsätzlich guter Weg», sagt Markus Gross, Geschäftsführer der Zanol GmbH, die Zulieferin für die Medizintechnik-Branche ist. «Sollte jedoch ein Neustart erfolgen», so Gross, «dann muss ein Ergebnis herausschauen, das den Marktzugang und gute Rahmenbedingungen für Schweizer Unternehmen gewährleistet.»
Marcel Fringer ist zwar Präsident des Kantonalen Gewerbeverbandes Schaffhausen. Mit den SN sprach er jedoch als Unternehmer und Geschäftsführer. Grundsätzlich kann auch er einem umfassenden Freihandelsvertrag Gutes abgewinnen. «Man müsste ihn sich allerdings genau überlegen. Denn Neuverhandlungen würden vermutlich Jahr- zehnte der Unsicherheit bedeuten.» Er frage sich zudem, ob die EU mit der Schweiz überhaupt zurück auf Feld eins gehen würde. «Die Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU deuten darauf hin, dass die EU auch gegenüber der Schweiz sehr hart bleiben wird», sagt Fringer.
Er findet, die Schweiz sollte die Handelsbeziehungen mit Ländern ausserhalb Europas vertiefen. «Neben den USA und China sollte sich die Schweiz an Ländern orientieren, die Spitzentechnologien hervorbringen. Ich denke beispielsweise an Südkorea.» Im Weiteren hält Fringer Indien und Indonesien für wirtschaftlich bedeutsame Nationen. Beiden spricht er grosses Potenzial zu. Über ein Freihandelsabkommen mit Indonesien stimmt die Schweiz am 7. März 2021 ab.
Fringer, der Unternehmer aus Thayngen, lehnt einen EU-Beitritt ab. «Ein Rahmenabkommen wie auch die bilateralen Verträge halte ich aber für absolut wichtig. Baden-Württemberg und die Lombardei sind ebenso wichtige Handelspartner wie die USA respektive China. Von diesen Nachbarregionen sind wir stark abhängig.» Darum hält es Fringer für richtig, dass das Rahmenabkommen nachverhandelt wird. Was Souveränitätsverluste angeht, sagt er: «Ich bin nicht derart skeptisch wie die Vertreter von Autonomiesuisse und glaube nicht, dass die Schweiz viel abhängiger werden wird. Wir müssen bereits heute EU-Recht übernehmen.» Markus Gross findet: «Souveränitätsverluste schmerzen wohl. Aber was bedeutet Souveränität in einer vernetzten Welt?» Die Schweiz sei Teil von Europa und könne sich nicht isolieren. Darum müsse man mit gewissen Souveränitätsverlusten leben – «jedoch ohne unsere Werte aufzugeben».