Gemäss dem Kernenergiegesetz muss die Schweiz den aus heimischen Atomkraftwerken anfallenden radioaktiven Abfall im Inland lagern. Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann macht sich nun für die Prüfung einer Exportlösung stark. Mit einer Interpellation möchte er eine internationale Gemeinschaftslösung als zusätzliche Option ins Spiel bringen. Im Schaffhauser Ständeratswahlkampf könnte die Energiedebatte eine zentrale Rolle spielen – die Kandidatur des erklärten Atomkraftgegners Thomas Minder ist noch offen. Mit seinem Vorstoss wolle er aber nicht Wahlkampf betreiben, sondern die Standesinteressen Schaffhausens vertreten, sagt Germann dazu.
von Raphaela Birrer
Herr Germann, gestern ist bekannt geworden, dass Sie in der Sommersession eine Interpellation zum Atommüllexport einreichen werden. Warum gerade zum jetzigen Zeitpunkt?
Hannes Germann: Als Folge der Ereignisse in Fukushima findet zurzeit auch in der Schweiz eine Neubeurteilung der Atomkraft statt. Daher ist der Zeitpunkt ideal, um mein altes Anliegen wieder einmal einzubringen. Bei einem schwierigen Problem wie der Lagerung von radioaktiven Abfällen liegt es meiner Meinung nach auf der Hand, länderübergreifend nach Lösungen zu suchen. Das Kernenergiegesetz schreibt vor, dass die heimischen Abfälle grundsätzlich in der Schweiz zu lagern sind. Verhandlungen mit dem Ausland über einen möglichen Atommüllexport waren nicht sinnvoll, solange diesbezüglich keine nationalen Bemühungen stattfanden. Bei der Standortüberprüfung hat sich nun aber gezeigt, dass die Bereitschaft in der Bevölkerung nicht vorhanden ist. Daher muss man die Option einer gemeinsamen Lösung mit dem Ausland noch einmal prüfen. Die Lager sollten in Gebiete verlegt werden, die dünn oder gar nicht besiedelt sind. Mir ist klar, dass diese Option nicht die kostengünstigste ist, aber sie wäre verantwortungsbewusster.
Wie beurteilen Sie die politischen Chancen Ihres Anliegens?
Germann: Ich könnte mir vorstellen, dass die Bereitschaft jetzt höher ist, die Situation zu überdenken. Nach den Vorkommnissen in Fukushima könnte sich durchaus auch in Bezug auf die End- lager eine andere Sichtweise etablieren. Von welchen Seiten erhalten Sie bereits konkrete Unterstützung? Germann: Ich habe bisher noch nicht aktiv für mein Anliegen geworben. Ich nehme aber an, dass sich alle, die einen Ausstieg aus der Atomkraft wollen, für diese Lösung aussprechen.
Glauben Sie, dass im Ausland die Bereitschaft für einen Atommüllimport aus der Schweiz vorhanden ist? Und schweben Ihnen konkrete Regionen vor?
Germann: Ich habe keine spezifische Region vor Augen, denke aber, dass beispielsweise Frankreich ein ähnliches Bedürfnis wie die Schweiz hat, sichere Endlager zu betreiben. Weitere mögliche Standorte sind im hohen Norden. Im nicht so dicht besiedelten Finnland etwa ist zumindest die Bereitschaft da, den eigenen radioaktiven Abfall zu lagern – vielleicht bei ausreichend hoher Entschädigung auch für den Schweizer Abfall. Dabei handelt es sich ja nicht um Mengen, die für ein anderes Land grosse Probleme verursachen würden. Insofern befinden wir uns in einer guten Ausgangslage. Mit einem internationalen Tiefenlager, das unseren Sicherheitsansprüchen genügt, hätten wir eine optimale Lösung.
Die Energiedebatte dürfte zu einem wichtigen Themenkomplex im Schaffhauser Ständeratswahlkampf werden. Unter den Kandidaten könnte auch der erklärte Atomkraftgegner Thomas Minder sein. Welche Rolle spielt diese Konkurrenzsituation bei Ihrer geplanten Interpellation?
Germann: Grundsätzlich habe ich einen Auftrag der Schaffhauser Bevölkerung. Und in der aktuellen Atomkraftdebatte sehe ich die Gelegenheit, die Standesmeinung von Schaffhausen einzubringen und mit Nachdruck zu vertreten: Sollte sich die Schweizer Bevölkerung in einer eidgenössischen Abstimmung für den Endlagerstandort Benken oder gar Südranden aussprechen, wäre das aus meiner Sicht eine Katastrophe für unsere schöne Wohnregion. Daher möchte ich rechtzeitig auf alternative Lösungen hinweisen; es braucht auch bezüglich der Standortfrage eine neue Lagebeurteilung. Taktische Überlegungen zum Wahlkampf stehen dabei nicht im Vordergrund.