Jede zehnte Frau in der Schweiz leidet unter starken Schmerzen, weil sie an Endometriose erkrankt ist. Bessere Behandlungen und Therapien wären dringend nötig – der Ständerat könnte schon diese Woche etwas bewirken.
Patricia Corona hat jeden Tag Schmerzen, oft im Unterleib, denn sie leidet an Endometriose. Sie arbeitet deswegen nur 80 Prozent, weil sie sonst vor Erschöpfung kein Leben neben der Arbeit hätte. «Ich muss lernen, mit diesen Schmerzen umzugehen, denn das Einzige, was ich dagegen tun kann, wäre eine zweite Operation», sagt sie. Bei der ersten Operation entdeckten die Ärzte per Zufall, dass der Unterleib der damals 37-Jährigen voll von Endometriose-Herden war. Sie schnitten sie raus. Doch Endometriose, die dazu führt, dass die Gebärmutterschleimhaut wuchert, ist eine chronische Krankheit und unheilbar. Es bilden sich immer neue Herde.
Frauen wie Patricia Corona, die Vorstandsmitglied des Vereins Endo-Help ist, gibt es viele: Zehn bis 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung leiden an der Krankheit. Die volkswirtschaftlichen Kosten von rund 1,5 Milliarden Franken, die vor allem durch Arbeitsausfälle entstehen, sind vergleichbar mit jenen der Volkskrankheit Diabetes. Trotzdem beschreiten Frauen mit Endometriose von den Beschwerden bis zur Diagnose und zur Behandlung oft einen Leidensweg, bei den meisten vergehen sieben bis zehn Jahre bis zur Diagnose. Es bestehe ein grosser Aufklärungsbedarf, auch unter Fachleuten, sagt Corona: «Eine Frau in unserer Selbsthilfegruppe musste zu fünf verschiedenen Gynäkologen, bis einer auf die Idee kam, es könne sich um Endometriose handeln.»
Nachzügler Schweiz
Die Schweiz hinkt bei dem Thema hinterher: In Frankreich kündigte Präsident Emmanuel Macron schon vor einem Jahr eine nationale Strategie zur Bekämpfung der Krankheit mit den Worten an: «Das ist kein Frauenproblem, das ist ein Problem der Gesellschaft.» Und letzten Oktober sprach die deutsche Regierung fünf Millionen Euro für die Erforschung der Erkrankung. Diese Woche könnte der Ständerat auch in der Schweiz dafür sorgen, dass dieser Forschungszweig in der Schweiz gestärkt wird.
«Die Politik hat uns zu lange nicht ernst genommen», sagt Patricia Corona. Der Verein Endo-Help reichte im vergangenen Juni eine Petition ein. Der daraus entstandene Vorstoss kommt heute in den Ständerat. Danach muss auch der Nationalrat darüber befinden. Das Postulat fordert eine nationale Strategie für die frühzeitige Erkennung von Endometriose. In einem Bericht soll der Bundesrat darlegen, welche Massnahmen erforderlich sind, um eine angemessene Behandlung dieser Krankheit zu gewährleisten.
Voraussichtlich bereits am Ende des politischen Prozesses steht hingegen ein zweiter Vorstoss zum Thema, der ebenfalls am Dienstag im Ständerat entschieden wird: Die Motion fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass frauenspezifische Krankheiten gezielter erforscht werden. Zudem soll die Eidgenössische Qualitätskommission die Qualität der Behandlung solcher Krankheiten fördern. Und drittens sollen verbindliche Guidelines für Medizinalpersonen für eine schnelle Diagnose und wirksame Therapien erstellt und durchgesetzt werden.
Der Nationalrat hat die Motion in der Herbstsession mit 133 zu 52 Stimmen angenommen, dagegen war einzig die SVP. Sie verwies – wie Bundesrat Alain Berset – auf die Eigenverantwortung der Fachgesellschaften und Forschenden und deren Möglichkeit, die Projektförderung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) in Anspruch zu nehmen. Der Bundesrat wies zudem auf bereits laufende Bestrebungen der Regierung hin.
«Ich stimme zu, dass Forschung von den Forschenden kommen sollte. Aber es müssen alle gleich fair behandelt werden», sagt dazu Michael Mueller, Leiter des Endometriose-Zentrums des Inselspital Bern. Und das sei im Moment leider nicht der Fall, gewisse Forschungszweige würden von den Geldgebern bevorzugt. «Wir forschen in unserem Labor seit 30 Jahren an Endometriose, und wir müssen immer um Forschungsgelder kämpfen, auch beim SNF.» Die Krankheiten werde nicht genug ernst genommen, Gelder gäbe es nur, wenn das Projekt mit der Krebsforschung in Zusammenhang stehe.
Doch der Forschungsbedarf sei gross, sowohl beim Stellen der Diagnose als auch bei der Behandlung. Endometriose lässt sich heute nur über eine invasive Methode, eine Bauchspiegelung, zweifelsfrei diagnostizieren. Die Diagnose sei unter anderem so schwierig, weil es eine Chamäleon-Krankheit sei, die sich durch viele verschiedene, variierende Symptome zeigt.
Doch nicht nur für die Diagnose bestehen heute beschränkte Mittel, auch die Behandlung ist suboptimal. Lediglich Hormone stehen zur Verfügung, die auch zur Schwangerschaftsverhütung eingesetzt werden. «Die Behandlung funktioniert, aber die Frauen müssen sich entscheiden zwischen einem schmerzarmen Leben oder einer Schwangerschaft», sagt Mueller. In der Schweiz brauche es zudem Guidelines für Hausärzte. Patricia Corona sagt: «Nach der Operation hat mir das Spital damals keine gezielten Therapiemöglichkeiten bieten können, wie ich mit dieser Krankheit nun umgehen kann.»
Kommission entschied einstimmig
Der Vorstoss für eine bessere Erforschung von spezifischen Frauenkrankheiten hat im Ständerat gute Chancen. Die vorberatende Bildungskommission hat ihn einstimmig angenommen. «Die Sensibilität für Frauenkrankheiten ist im Parlament gewachsen», sagt SP-Ständerätin Eva Herzog, die in der Kommission sitzt. Vor ein paar Jahren sei dies noch anders gewesen. Die Motion fordere den Bundesrat auf, das Thema ernst zu nehmen und ihm Raum zu geben. Das werde zum Beispiel Auswirkungen haben auf die Vergabe von Forschungsgeldern und über die Fachstellen generell zu mehr Sensibilisierung führen.
Auch der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann stimmte in der Kommission für die Motion – und positionierte sich also anders als die Nationalratsfraktion seiner Partei: «Ansonsten sind wir darauf bedacht, uns nicht in die Forschung einzumischen, aber hier gibt es offensichtliche Defizite», sagt er. «Das ist einfach überfällig.»