Gestern hat die grosse Kammer eine Motion der Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz angenommen. Schweizer Jugendliche könnten sich somit inskünftig besser um Freiwilligeneinsätze im Ausland bewerben. Der Bundesrat bezweifelt, ob das Angebot auf Resonanz stösst.
Reto Zanettin
BERN. Für einige Monate an einer Schule unterrichten, an einem Umweltschutzprojekt teilnehmen oder auf einem Landwirtschaftsbetrieb mitarbeiten – so zum Beispiel können junge Frauen und Männer einen Freiwilligeneinsatz im Ausland leisten. Davon profitierten nicht nur die Leute vor Ort, sondern auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst, argumentiert eine Allianz von Jugendverbänden. Unter ihnen befinden sich Intermundo, der Schweizerische Dachverband zur Förderung von Jugendaustausch, und der christliche Jugendverband Cevi. Die jungen Erwachsenen würden eine neue Sprache kennenlernen, sich persönliche, interkulturelle und berufliche Kompetenzen aneignen. Zugute kämen dies dem Arbeitsmarkt und letztlich der Schweizer Wirtschaft insgesamt.
In einem Schreiben wandten sich die Verbände an den Nationalrat, er solle die Motion der Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz (SP) annehmen. Mit dem Vorstoss möchte Munz das freiwillige Engagement von Jugendlichen fördern. Der Bundesrat solle dazu den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Solidaritätskorps (ESK) vorantreiben. Das ESK ist ein Förderprogramm der Europäischen Kommission. 18- bis 30-Jährige können sich auf einer Online-Plattform eintragen. Dort schreiben von der EU zugelassene und geförderte Organisationen Projekte aus. Jugendliche und Projektanbieter treffen sich.
Das ESK folgt auf den Europäischen Freiwilligendienst, an dem auch die Schweiz mitgemacht hat. Dieses Programm lief 2017 aus. Die Schweiz führt es seither in einer eigenständigen Lösung weiter. «Es handelt sich um ein Ersatzprogramm, dessen Budget nun ausgereizt ist und das nicht die gleiche Qualität wie das ESK aufweist», sagt Munz. Sie streicht die Vorzüge einer ESK-Teilnahme der Schweiz heraus: «Die jungen Erwachsenen erhielten eine Beratung und würden während ihres freiwilligen Praktikums betreut, sodass sie nicht ausgenützt werden, sondern wirklich profitieren.» Mit einem Zertifikat könnten sie nachweisen, was sie geleistet und welche Kompetenzen sie erworben haben. Profitieren würden insbesondere die Berufslernenden, die bislang kaum an Austauschprogrammen hätten teilnehmen können.
Geringe Nachfrage
Der Bundesrat anerkennt zwar den Wert der Freiwilligenarbeit. Die Motion hatte er jedoch abgelehnt. Innenminister Alain Berset argumentierte gestern im Nationalrat, nur 37 junge Schweizer hätten zwischen 2014 und 2020 die Schweizer Sonderlösung innerhalb von Erasmus plus, dem EU-Programm für Bildung, Jugend und Sport, genutzt. «Das ist sehr wenig.» Zum Vergleich: 2018 fanden 70 junge Menschen über die Schweizer Nichtregierungsorganisation «Service Civil International» einen Einsatzplatz. Diese Organisation wird über das Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFG) unterstützt.
Die KJFG-Förderung genüge, findet Hannes Germann, Schaffhauser SVP-Ständerat. «Die Zahlen des Bundesrates belegen, dass die Nachfrage für das ESK zu wenig besteht, um ein zusätzliches Angebot zu schaffen.» Ausserdem könne jeder, der das wirklich wolle, freiwillig arbeiten. «Früher zum Beispiel reisten die Leute ohne staatliche Unterstützung nach Israel, um dort in einem Kibbuz zu leben.»
Anders sieht es Munz. Die Förderung der grenzüberschreitenden Freiwilligenarbeit über das Kinder- und Jugendförderungsgesetz reiche nicht. «Die Schweiz begeht einen Sonderweg und ist deswegen nicht europäisch vernetzt. Unsere Jugendlichen erhalten all die Vorteile nicht, die sie erhielten, wenn die Schweiz beim Europäischen Solidaritätskorps mitmachen würde.»
Andere Geschäfte mit der EU
«Jugendförderung würde ich grundsätzlich unterstützen», hält Germann fest. «Doch die Jugendverbände verfolgen stets auch finanzielle Eigeninteressen. Sie erhielten grosse Beträge, wenn die Schweiz am milliardenschweren ESK teilnehmen würde.» Ausserdem hätte die Schweiz zurzeit andere Probleme mit der EU als die Teilnahme am ESK, «namentlich das Rahmenabkommen sowie die Teilnahme an Horizon Europe und Erasmus plus». Die EU macht Gespräche über die Assoziierung der Schweiz an das EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» vom Fortschritt beim Rahmenabkommen abhängig. Doch bei diesem bestehen nach wie vor Differenzen, sodass die Verhandlungen kaum vorankommen.
Auch angesichts dieser Gemengelage lehnt Germann den Beitritt zur ESK ab: «Solange die EU ihre Macht willkürlich ausspielt, sollten wir uns nicht bei ihr anbiedern und auch sonst keinen Schritt auf sie zugehen.» Munz sagt: «Horizon Europe ist zentral für die Schweizer Forschung und die Wirtschaft, auch das Austauschprogramm Erasmus plus hat einen grossen Stellenwert. Die Bedeutung dieser Programme übersteigt den Stellenwert des ESK um ein Vielfaches.» Deswegen berühre die Teilnahme am ESK die Verhandlungen um den Rahmenvertrag in keiner Weise.
Der Nationalrat hat die Motion für einen ESK-Beitritt der Schweiz mit 97 zu 80 Stimmen bei 5 Enthaltungen angenommen. Das Geschäft geht nun an den Ständerat.