Verhandlungen mit der Schweiz sind bei der EU nun Chefsache. Was das bringt, ist unklar.
Von Fabian Fellmann
BRÜSSEL Die EU will mit der Schweiz nicht über die Personenfreizügigkeit verhandeln. Doch zu «Konsultationen» hat sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vergangene Woche bereit erklärt. Diese Woche hat er nun Richard Szostak damit betraut, ein Mitglied seines Kabinetts, wie gestern bekannt wurde. Zuvor hatte der Auswärtige Dienst der EU die Beziehungen zur Schweiz punkto Personenfreizügigkeit betreut – und im Juli 2014 eine Anfrage nach einer Neuverhandlung mit einem trockenen Nein beantwortet.
Nun also macht Juncker das Thema zur Chefsache. Das ist ein positives Zeichen für die Schweiz und ihren Verhandlungsführer, Staatssekretär Mario Gattiker. Bisher haben sich die beiden nicht getroffen, und es ist davon auszugehen, dass künftige Treffen unter grösster Diskretion stattfinden werden. Mit der neuen Zuständigkeit wird die Diskussion für die Schweiz indes nur wenig vereinfacht. Denn auch Junckers Mann muss seine Haltung mit dem Auswärtigen Dienst der EU einerseits und den Mitgliedsländern andererseits abstimmen. Wie viel Verständnis Szostak für die Schweizer Position aufbringen kann, wird sich weisen. Seine Vergangenheit verheisst aber nichts Gutes für die Schweiz: Szostak arbeitete zuvor im Team der frühe- ren Luxemburger EU-Kommissarin Viviane Reding, welche als europäische Hardlinerin gilt und die Schweiz für die Zuwanderungs-Initiative scharf kritisiert hat. Hinzu kommt, dass Szostak wie der Zuständige beim Auswärtigen Dienst, Maciej Popowski, aus Polen stammt. Sowohl Szostak als auch Popowski dürften als Profis über diese Herkunft hinwegschauen, gänzlich ohne Einfluss wird sie aber trotzdem nicht sein. Und für die Polen ist die Personenfreizügigkeit besonders wichtig. Gerade in Grossbritannien wird Kritik daran oft mit einem Unbehagen über die grösste EU-Einwanderergruppe, die Polen, verbunden.
Chance für Zugeständnisse
Wie diese Debatte in Grossbritannien weitergeht, könnte auch den Verlauf der Konsultationen beeinflussen. Im Mai finden die britischen Wahlen statt, und danach dürfte die neue Regierung von Brüssel Anpassungen der Personenfreizügigkeit fordern. Dabei wird es zwar nicht um Kontingente und Inländervorrang gehen, jedoch um schärfere Regeln, wenn EU-Bürger im Ausland Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung oder andere finanzielle Hilfen vom Staat beziehen wollen. Möglicherweise könnte die Schweiz auf diesen Zug aufspringen und einige Zugeständnisse herausholen. Diese werden allerdings kaum so weit gehen, wie es die Masseneinwanderungs-Initiative verlangt. Der Bundesrat scheint aber nicht gewillt, mit der EU auf Konfrontationskurs zu gehen, wie aus seinem gestern vorgestellten Gesetzesvorschlag zur Umsetzung der Initiative hervorgeht. Kontingente und Inländervorrang würden das Personenfreizügigkeitsabkommen verletzen, weshalb über eine Anpassung verhandelt werden müsse, teilte der Bundesrat gestern mit. Das entsprechende Verhandlungsmandat hat er gestern ebenfalls beschlossen; es ist wohlweislich sehr offen formuliert. Falls diese Konsultationen scheitern sollten, hat der Bundesrat allerdings bereits eine Umsetzung vorgespurt, welche das Abkommen nicht verletzt. Für EU-Bürger verweist er darum in seinem Gesetzesvorschlag auf das Personenfreizügigkeitsabkommen. Die EU werde sowohl den Geset- zesentwurf als auch die neuen flankierenden Massnahmen «detailliert untersuchen in Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit dem Personenfreizügigkeitsabkom- men zwischen der EU und der Schweiz», sagte dazu gestern Maja Kocijanc?ic?, Sprecherin des Auswärtigen Dienstes der EU-Kommission. «Die EU erwartet, dass die Schweiz ihre Verpflichtungen aus diesem Abkommen einhält.» Zu Verhandlungen äusserte sie sich nur knapp: «Die EU hat keine Anfrage für Neuverhandlungen von den Schweizer Behörden erhalten mit Ausnahme jener vom Juli 2014, welche die frühere Aussenbeauftragte Catherine Ashton negativ beantwortet hat.» Wie bei jener Antwort gelte weiter- hin, dass die EU nicht über Kontingente und Inländervorrang verhandeln werde. «Konsultationen» scheinen derzeit alles zu sein, was die Schweiz herausholen kann.
Hannes Germann (SVP): «Es ist gut, dass die Schweiz loslegt»
Der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann hebt als positiv hervor, dass der Bundesrat endlich einen Vorschlag gebracht hat. Positiv findet er auch, dass eine Flexibilität im System belassen wird. Germann vermisst allerdings, dass im bundesrätlichen Vorschlag die Flexibilität für die Kantone nicht explizit erwähnt wird. Als problematisch erachtet er zudem, dass das Flüchtlings- mit dem Arbeitskräftewesen vermischt wird. Ob dieses System praktikabel sei, müsse nun sorgfältig geprüft werden. «Auf jeden Fall ist es gut, dass die Schweiz loslegt und sich die Lösung nicht mehr von der EU diktieren lässt», sagt Germann. (taz)