Olympische Spiele haben es hierzulande schwer. In Graubünden und im Wallis scheiterten die Grossanlässe an der Urne. Wenn der Ständerat heute Ja dazu sagt, könnte auch die Schweizer Stimmbevölkerung in Zukunft über Bundesbeiträge zu Olympia abstimmen.
Reto Zanettin
BERN. An den olympischen Winterspielen in Sapporo 1972 gewannen Marie-Theres Nadig und Bernhard Russi Gold in der Ski-Abfahrt. Zwanzig Jahre später besiegte Marc Rosset seinen Kontrahenten Jordi Arrese im Final des olympischen Tennisturniers. Und vor wenigen Wochen fuhren Jolanda Neff, Sina Frei und Linda Indergand zu Gold, Silber und Bronze im Mountainbike-Rennen von Tokio. Solche Sternstunden helvetischen Sports könnten wohl nur übertroffen werden, wenn sie sich im eigenen Land ereigneten.
Ob es zu Schweizer Olympiasiegen vor Schweizer Publikum kommen wird, könnte bald nicht mehr lediglich vom Dynamit in den Muskeln der Sportlerinnen, der Qualität der Kandidatur und der Gunst des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), das die Spiele an einen Austragungsort vergibt, abhängen. Das Stimmvolk könnte inskünftig auf eidgenössischer Ebene mitreden.
Denn heute berät der Ständerat einen Vorstoss, welcher die Unterstützung olympischer Spiele durch den Bund dem fakultativen Referendum unterstellen möchte. 50 000 Stimmberechtigte könnten also eine Abstimmung erwirken. Dabei ginge es um einiges: An «Sion 2026» hätte sich der Bund mit einer Milliarde Franken beteiligt.
Die parlamentarische Initiative zur Änderung des Sportförderungsgesetz stammt von der Sozialdemokratin Silva Semadeni aus Graubünden, die bis Ende 2019 im Nationalrat politisierte. Olympische Spiele seien ein bedeutsames, prestigeträchtiges, aber bisweilen umstrittenes Sportereignis, für das sich der Bund stark engagieren müsse und Sicherheitskräfte der Kantone im Einsatz stünden, begründete Semadeni ihr Anliegen.
Nach ihrem Ausscheiden aus dem Nationalrat hat Parteikollegin Martina Munz aus Schaffhausen den Vorstoss übernommen. Munz sagt: «Die parlamentarische Initiative stärkt die Volksrechte, weil die Bevölkerung über Grossveranstaltungen abstimmen kann. Wenn das Volk Ja sagt, kann man sauber planen und umsetzen.» Plane man zuerst, werde viel investiert mit unsicherem Ausgang.
Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann (SVP) sagt hingegen: «Das Olympische Komitee würde kaum jemals Spiele an die Schweiz vergeben, wenn ein Referendum droht, das die Durchführung letztlich verhindert.» Umgekehrt könne ein abschlägiger Entscheid des olympischen Komitees ein Ja des Volkes nachträglich zunichtemachen, was stossend wäre, so Germann.
Ist der Zeitpunkt jetzt der richtige?
Der Nationalrat behandelte das Geschäft bereits in der Sommersession. Dagegen votierte der Berner Christian Wasserfallen (FDP), da er sich «persönlich sehr stark wünschen würde, dass endlich wieder einmal Olympische Spiele in der Schweiz stattfinden würden.» Die Initiative sei aber nicht angebracht, weil im Augenblick keine Schweizer Olympia-Kandidatur laufe und man somit für ein Phantomprojekt legiferieren würde. Genau weil sich die Schweiz zurzeit nicht für die Austragung olympischer Spiele bewerbe, sei der Zeitpunkt richtig, entgegnet Munz. «Somit sind die Spielregeln schon bei der Planung bekannt und die Bevölkerung weiss, dass sie das letzte Wort hat.»
Anders als in den Kantonen kennt die Schweiz auf Bundesebene kein Finanzreferendum. Darin sah eine Minderheit der grossen Kammer ein Argument gegen das fakultative Olympiareferendum. Mit einem Finanzreferendum habe dieses Referendum nichts zu tun, erklärt Munz. Es beschränke sich auf einzelne Grossanlässe, «welche die Bevölkerung nicht bloss finanziell, sondern auch im Alltag betreffe. Dies etwa, wenn Strassen gesperrt oder olympische Dörfer und neue Stadien auf grünen Wiesen gebaut werden.» Ein Referendum ins Gesetz einzuführen hält Ständerat Germann für zu weitgehend. Er schlägt eine schlankere, wenn auch unverbindlichere Lösung vor: «Das Parlament kann Planungsbeschlüsse freiwillig dem Referendum unterstellen, so wie es das bei der Kampfjetbeschaffung getan hat.» Dabei ging es um 6 Milliarden Franken. «Eine Praxisänderung ist nun politisch kaum mehr möglich.»
«Sollten schweizweit stattfinden»
Germann steht der Ständeratskommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) vor, die das Geschäft für die Beratung von heute vorbereitet hat. Die WBK lehnt die Initiative ab. Im föderalistischen System der Schweiz seien Grossanlässe wie Olympische Spiele in erster Linie Sache der Kantone, in denen sie stattfänden. Deshalb sollten die Kantone auch weiterhin selbst darüber entscheiden. Eine zusätzliche Abstimmung auf Bundesebene stellte den Minderheitenschutz infrage und zöge die Organisation der Grossveranstaltungen in die Länge.
Munz sieht das anders: «Olympische Spiele sollten schweizweit stattfinden, nicht bloss in einem Kanton.» So könnten die einzelnen Wettkämpfe in den Regionen stattfinden, die am besten dafür geeignet seien und welche die neue Infrastruktur auch später noch nutzen könnten. Die Schaffhauser Nationalrätin möchte Olympia zu nachhaltigen Spielen machen. Sportstätten und weitere Infrastrukturen sollen der Bevölkerung langfristig zur Verfügung stehen. «Ein mögliches Referendum verbessert die Qualität des Projekts.»
Im Nationalrat stimmten 70 Prozent der Mitglieder für das Olympiareferendum. Die Ständeratskommission beantragt dem Ratsplenum, den Vorstoss abzulehnen. Folgt die kleine Kammer diesem Antrag und lehnt sie den Vorstoss ab, ist das Geschäft vom Tisch. Stimmt sie hingegen zu, arbeitet die WBK des Nationalrates die Gesetzesänderung aus.
Olympiakandidaturen sind oft gescheitert – auch am Volk
Die Schweiz richtete bisher zweimal Olympische Winterspiele aus. Beide Male trafen sich die Sportler in St. Moritz. Die Zahl der gescheiterten Bewerbungen ist ungleich länger. Über ein Dutzend Kandidaturen blieben unberücksichtigt. Lausanne bewarb sich gleich viermal für die Austragung der Sommerspiele. Ebenso oft wollte Sion Gastgeber sein, zuletzt für die Winterspiele 2026. Die Regierung plante, einen Anlass von «überschaubarer Grösse» auszurichten. Dazu sollte die bestehende Infrastruktur – etwa die Langlaufstrecken im Goms und die Skipisten in Crans-Montana – genutzt und falls nötig renoviert werden. Knapp 54 Prozent der Walliser Stimmberechtigten sprachen sich aber gegen das Vorhaben aus.
Auch der Kanton Graubünden brachte sich als Ausrichter ins Spiel. Für den Verpflichtungskredit zur Kandidatur für Olympia 2026 argumentierte die Regierung mit wirtschaftlichen Impulsen für das Gewerbe, den Tourismus und die Industrie. Generationen, Sprachen und Kulturen würden verbunden. Gleichwohl bestünden Finanz- und Sicherheitsrisiken. Die Gegenargumente überwogen in der kantonalen Volksabstimmung klar. 60,1 Prozent der Bündnerinnen und Bündner sagten im Februar 2017 Nein zu den Olympiaplänen, nachdem sie bereits 2013 eine Kandidatur abgelehnt hatten. (rza)