[Schaffhauser Nachrichten] Sparen, aber wie?

Die Kostenbremse-Initiative legt den Finger auf den wunden Punkt der Branche – ohne eigentliche Massnahmen vorzuschlagen. Kostentreiber und potenzielle Lösungen auf einen Blick.

Von Katrin Schregenberger

Die Kosten des Gesundheitswesens 2022 in Prozentanteilen der Leistungen.QUELLE: BFS 2024/ GRAFIK: KS, ERSTELLT MIT DATAWRAPPER

Sie fordert, dass man sparen soll – wer dafür den Gürtel enger schnallen muss, lässt aber auch sie offen: die Kostenbremse-Initiative. Die Vorlage fordert, dass der Anstieg der Gesundheitsausgaben an die Lohnentwicklung gekoppelt werden soll. Übersteigt der Anstieg der Ausgaben jenen der Löhne, müssen Bund, Kantone und Leistungserbringer schnell Massnahmen ergreifen.

Auf breiter Front schlägt der Initiative der Mitte Widerstand aus der Branche und vom bürgerlichen Lager entgegen. Doch paradoxerweise sind sich grundsätzlich trotzdem fast alle einig: Die Kosten im Gesundheitswesen müssen reduziert werden. Nur wie, wann und wo, darüber streitet sich die Politik seit Jahren.

Teures Gesundheitswesen

In den letzten 20 Jahren sind die Kosten um 80 Prozent gestiegen, haben sich also nahezu verdoppelt. 2022 betrugen sie 91,5 ​Milliarden Franken. Das waren 11,7 ​Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung (BIP), die sich als Vergleich anbietet, da so auch das Wirtschaftswachstum einbezogen werden kann. Vor 20 ​Jahren betrugen die Gesundheitskosten noch 10,2 ​Prozent des BIP. Das Schweizer Gesundheitswesen ist damit eines der teuersten der OECD-Länder. Es wird befürchtet, dass der Kostenanstieg sich weiterhin so fortsetzt. Doch es gibt auch andere Stimmen: So ergab die Prognose der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF), dass sich die Kosten 2024 und 2025 etwa beim Wert von 11,5 ​Prozent einpendeln könnten. Doch das ist nicht sicher.

Und wegen der komplexen Finanzierungsstruktur des Gesundheitswesens muss sich ein solches Einpendeln nicht automatisch in den Krankenkassenprämien niederschlagen. In den letzten zehn Jahren sind die mittleren Prämien um durchschnittlich 2,4 ​Prozent jährlich gestiegen. Experten rechnen auf 2025 mit einem Prämienanstieg von 4 bis 6 ​Prozent.

Ineffizienz kostet 8,4 ​Milliarden

Die hohen Kosten haben natürlich auch einen Nutzen. Die Schweiz hat eines der weltweit besten Gesundheitssysteme. Der Zugang zu Behandlungen ist sehr gut, die Wartezeiten sind kurz. Umfragen des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) zeigen, dass die Bevölkerung mit der Qualität des Gesundheitswesens im Vergleich mit anderen Ländern hochzufrieden ist. Die Schweiz hat auch eine der weltweit höchsten Lebenserwartungen: Seit 1990 ist sie bei den Männern um 7,6 ​Jahre und bei den Frauen um 4,6 ​Jahre gestiegen.

Zudem gibt es unvermeidbare Kostentreiber wie die Demografie: Es leben immer mehr betagte Menschen im Land. Aber auch der technologische Fortschritt gehört dazu: Heute gibt es Behandlungen, die Leben retten – aber extrem teuer sind. Diese beiden Faktoren sind für rund einen Drittel der zusätzlichen Ausgaben verantwortlich.

Umso störender ist, dass der technologische Fortschritt umgekehrt zu Kosteneinsparungen führen könnte – dies aber aktuell zu wenig tut. Das Gesundheitswesen hat die Digitalisierung verschlafen. Würde sie – zum Beispiel mittels eines handlichen elektronischen Patientendossiers – konsequent umgesetzt, liessen sich 8,2 ​Milliarden Franken sparen, wie eine Studie der ETH ergab.

Und es liegen weitere Massnahmen seit Jahren auf dem Tisch: 2019 resultierten aus einem Expertenbericht des Bundes etliche Empfehlungen, mittels derer die Effizienz des Systems gesteigert werden könnte – ohne Qualitätseinbussen. Die Ineffizienz kostet demnach rund 8,4 ​Milliarden Franken. 20 ​Prozent der Leistungen im Gesundheitswesen sind laut Bericht ineffizient oder bringen keinen medizinischen Mehrwert. Dazu gehören zum Beispiel unnötige Wiederholung von Laboranalysen, MRIs oder CTs, die kurz zuvor bereits von anderen Leistungserbringern erstellt worden sind. Aber auch Behandlungen, die im Notfall stattfanden, obwohl der Hausarzt gereicht hätte.

Für ihr Argumentarium greift die Mitte denn auch ausführlich auf diesen Bericht zurück. Im freien Markt würden Ineffizienzen und verschleppte Modernisierung das Ende eines Unternehmens bedeuten. Doch im heutigen Gesundheitswesen gibt es keinen echten Qualitätswettbewerb – was geleistet wird, wird gezahlt. Unabhängig davon, wie es geleistet wurde.

Spitäler im Fokus

Doch welche sind aktuell die grössten Kostenblöcke im System? Über ein Drittel der Kosten unter den Leistungserbringern fallen bei den Spitälern an. An zweiter Stelle folgen Pflegeheime mit rund 16 ​Prozent der Kosten im Jahr 2022 und an dritter Arztpraxen mit rund 15 ​Prozent. Dies spiegelt sich auch in den Spitzenreitern bei den erbrachten Leistungen: stationäre und ambulante Behandlungen sowie die Langzeitpflege generierten 2022 zusammen rund 63 ​Prozent der Kosten (siehe Grafik).

Da die Spitäler den grössten Kostenblock ausmachen, liesse sich dort mit einer Effizienzsteigerung sehr viel einsparen. Viele der Sparvorschläge drehen sich deshalb um die Spitäler. So die Vorlage zur einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Behandlungen (Efas), die das Parlament beschossen hat. Im heutigen Finanzierungsmodell führen mehr ambulante Eingriffe zu Prämienerhöhungen – obwohl sie günstiger sind. Dies soll Efas korrigieren und so Anreize für mehr ambulante Behandlungen setzen. Das Sparpotenzial durch Efas mit Einbezug der Pflege wird auf rund 440 ​Millionen Franken geschätzt. Gegen die Vorlage hat der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) jedoch das Referendum ergriffen.

Ebenfalls grosses Einsparpotenzial liegt in der Schliessung von Spitälern. Viele Spitäler bieten dieselben spezialisierten, aber teuren Leistungen an und sind gleichzeitig chronisch unterfinanziert. Schon lange wird darum die Idee von Spitalregionen diskutiert. Nur: Die Spitalplanung obliegt den Kantonen und deren Regierungsräte scheuen vor unpopulären Spitalschliessungen zurück. Manche Experten fordern deshalb die Entmachtung der Kantone in dieser Frage.

Hohe Medikamentenpreise

Immer wieder in der Kritik sind auch die hohen Medikamenten- und Generikapreise in der Schweiz. Sie machen zusammen mit Verbrauchsmaterialien und therapeutischen Apparaten rund 16 ​Prozent der Gesundheitskosten aus. Zum Beispiel Parallelimporte aus dem Ausland zu erlauben, blieb bisher im Parlament jedoch chancenlos. Die Mitte und der Krankenkassenverband Santésuisse sprechen von einem Einsparpotenzial von eineinhalb Milliarden Franken.

Im Fadenkreuz stehen ebenso oft die 44 Krankenkassen selber – und hier vor allem die Verwaltungskosten, die diese generieren. Sie machen jedoch vergleichsweise bescheidene 4,3 ​Prozent der Gesundheitskosten aus.

An anderer Stelle sieht der Schaffhauser Gesundheitspolitiker Hannes Germann (SVP) Handlungsbedarf: «Mit Planungsbürokratie haben wir schlechte Erfahrungen gemacht, es herrscht ein Kontrollwahn», sagt er. Die Kostenbremse-Initiative gehe noch weiter in diese Richtung. Es sei illusorisch, alle Player im System bis ins letzte Detail zu kontrollieren. Vielversprechender seien Anreize, Fokus auf Qualität statt Scheinwettbewerb und eine Entschlackung des Grundleistungskatalogs. Denn die Kosten der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) hätten sich seit 1997 verdreifacht – die Gesundheitskosten insgesamt jedoch nur verdoppelt. «Je mehr man reguliert, desto teurer wird es.»

 

Von Maya Bally [Nationalrätin (Mitte) aus dem Kanton Aargau]:
Kosten sparen ohne Qualitätsabbau

Ohne Druck werden die Probleme im Gesundheitswesen nicht angepackt. Die Kostenbremse-Initiative zwingt alle Akteure, Verantwortung zu übernehmen.

Es ist logisch, eine Kostenbremse im _Gesundheitswesen löst keine Begeisterungsstürme bei den Gesundheitsakteuren aus, und von den Gegnern werden Ängste geschürt bezüglich «Aushungerung» des Gesundheitswesens. Tatsache ist aber, dass wir im Gesundheitswesen noch einige Hausaufgaben zu leisten haben, die wir nicht ohne einen gewissen Druck anpacken.

Experten schätzen, dass bis zu 6 Milliarden eingespart werden können, ohne jeglichen Qualitätsverlust. Alleine mit E-Health-Lösungen sind rund 1,3 Milliarden Franken Kostenreduktion möglich. Zudem haben wir bezüglich Übermedikation und Mehrfachbehandlung nach wie vor zu viele Fehlanreize, und die gesamte Bürokratie im System ist zu hoch. Es muss auch erwähnt sein, dass wir uns nach wie vor eine enorm hohe Spitaldichte leisten, was übrigens auch bezüglich Fachkräfteproblematik nicht ganz unproblematisch ist. Als Politikerin darf ich dies zwar nicht sagen, ohne gleich «einen Kopf kürzer» gemacht zu werden. Zudem besteht bei den Medikamentenpreisen und auch bei der Abgabe (4800 Tonnen Medikamente landen jährlich im Abfall!) eine langjährige Baustelle. Eine grosse Wirkung wird auch die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen zeigen, denn aktuell erfolgen nach wie vor zu wenige Eingriffe ambulant, weil es sich nicht lohnt. Es liegt an uns, das unsägliche Referendum des VPOD abzulehnen.

Wenn alle Akteure zusammen Verantwortung übernehmen und sich auf Massnahmen bezüglich der genannten Themenkreise einigen, die Digitalisierung vorangetrieben wird und die Ambulantisierung voranschreitet, sparen wir Kosten ohne jeglichen Qualitätsabbau. Und genau dies will die Kostenbremse-Initiative, nicht mehr und nicht weniger. Und ja, auch wir Konsumentinnen und Konsumenten müssen uns an der Nase nehmen und aufhören, zu glauben, wir könnten immer mehr fordern für weniger Kosten.

Um unser übrigens hervorragendes Gesundheitswesen intakt zu behalten, braucht es mehr Effizienz und weniger Fehlanreize. Es braucht keine Prämienentlastungsinitiative, um Kosten nur umzulagern, es braucht gemeinsame Massnahmen und Anstrengungen wie mit der Kostenbremse-Initiative gefordert. Alles andere ist Vogel-Strauss-Politik.

 

Von Thomas de Courten [Nationalrat (SVP) aus dem Kanton Baselland]:
«Deckel drauf» ist keine Lösung

Das Problem der steigenden Kosten im Gesundheitswesen wird durch die Kostenbremse-Initiative nicht gelöst, sondern verschlimmert.

Die Kostenbremse-Initiative verlangt einen Kostendeckel für grundversicherte Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung. Steigen die Prämien mehr als die Löhne, müssen Bund und Kantone kostensenkende Massnahmen beschliessen. Welche das sein sollen, darüber schweigen die Initianten.

Ihr Ansatz ist also: Deckel drauf, wegschauen – und warten, bis es überkocht. Dabei weiss jedes Kind, das eine Milchpfanne auf den Herd stellt, dass die «Morerei» nach dem Überkochen noch grösser als vorher ist, das Problem überhaupt nicht gelöst und das Aufräumen noch aufwendiger wird. Mit einem «Deckel drauf!» lässt sich das Problem der steigenden Kosten im Gesundheitswesen nicht lösen. Es wird im Gegenteil verschlimmert.

Medizinische Leistungen würden rationiert, das Angebot eingeschränkt, die Qualität reduziert. Nur noch diejenigen, die es sich leisten können, hätten Zugang. Eine «Zweiklassenmedizin» wäre die Folge. Der Versicherungsschutz, den wir heute für alle kennen und den wir alle auch mit unseren Prämien teuer bezahlen, würde ausgehebelt.

Wir alle ärgern uns über die stark steigenden Prämien. Das Kostenwachstum hat Gründe, die wir benennen können: Wir werden alle immer älter. Chronische Leiden und Wohlstandskrankheiten nehmen zu. Der medizinische Fortschritt gibt auch bisher Unheilbaren neue Hoffnung. Es bestehen weiterhin noch sehr viele Fehlanreize, Doppelspurigkeiten und Ineffizienzen im System. Es wird immer mehr reguliert und kontrolliert. Das volle Rundum-Sorglos-Paket ist für alle im Land verfügbar – selbst für jene, die erst seit kurzem hier leben und noch keinen Beitrag zur Finanzierung geleistet haben.

Der Handlungsbedarf ist unbestritten, die Ansatzpunkte sind benannt. Das Parlament hat deshalb einen indirekten Gegenvorschlag erarbeitet. Er tritt aber nur in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird. Parallel ist das Parlament mit Kostensenkungspaketen an der Arbeit. Damit werden konkrete Fehlanreize korrigiert, Medikamentenpreise gesenkt und Leistungserbringer ebenso wie Krankenkassen in die Pflicht genommen. Wir brauchen im Gesundheitswesen umsetzbare Lösungen und mehr Wettbewerb. Damit wir alle auch in Zukunft bei Krankheit oder Unfall auf die bestmögliche Gesundheitsversorgung zählen können.