[Schaffhauser Nachrichten] Ständerat liefert Steilvorlage für AHV-Nein

Mitten im Abstimmungskampf bleiben die Sozialpolitiker der kleinen Kammer wichtige Antworten zur beruflichen Vorsorge schuldig.

Stefan Bühler

Grösserer Lohnanteil soll versichert werden: Erich Ettlin. BILD KEY

BERN. Der Ständerat wird mehr Zeit für Apéros haben. Gleich vier Geschäfte, die für die am Montag beginnende Herbstsession geplant waren, müssen von der Traktandenliste gestrichen werden: Die zuständige Sozial- und Gesundheitskommission (SGK-S) konnte sich an ihrer Sitzung diese Woche in diesen Dossiers zu keinem Entscheid durchringen. Das Communiqué, das die Kommission gestern verschickt hat, könnte es mit den Staumeldungen am Radio aufnehmen: Die Reform der Pensionskassen müsse «sorgfältig austariert» werden, dafür «will sich die SGK-S die nötige Zeit nehmen». Die Vorlage wird deshalb «nicht behandlungsreif sein für die Herbstsession».

Bei der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP, so beantragt es die SGK-S ihrem Rat, sei «die Behandlungsfrist für die Volksinitiative um ein Jahr zu verlängern». Exakt das Gleiche schlägt sie für die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei vor. Und auch bei der gesundheitspolitischen Vorlage Efas, mit der Leistungen im ambulanten und im stationären Bereich dereinst gleich abgerechnet werden sollen, um Kosten zu sparen, wird weiterhin nach einem Kompromiss gesucht. Die Kommission will «nochmals» (sic!) prüfen lassen, wo dieser liegen könnte. Das Dossier liegt schon seit drei Jahren beim Ständerat.

Von «leeren Versprechen»

Dass sich die Kommission ihre Sendepause ausgerechnet jetzt gönnt, ist bemerkenswert: In der Altersvorsorge wird das Land am 25. September über die AHV-Reform abstimmen, welche die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 beinhaltet. Und in der Gesundheitspolitik wird Bundesrat Alain Berset demnächst eine Erhöhung der Krankenkassenprämien in historischem Ausmass bekannt geben.

Ungelegen kommt diese Entwicklung dem Ja-Lager für die AHV-Reform. Dieses argumentiert im Abstimmungskampf seit Wochen, die Frauen seien nicht in der AHV benachteiligt, sondern bei der beruflichen Vorsorge gemäss BVG, den Pensionskassen also. Und es verweist darauf, dass diese Nachteile in der separaten BVG-Reform ausgeglichen werden sollen. Noch vor dem Abstimmungstermin zur AHV sollten die entsprechenden Eckwerte im Ständerat auf dem Tisch liegen – daraus wird nun nichts. Und das wissen Gegnerinnen und Gegner des höheren Frauenrentenalters für ihre Kampagne zu nutzen: «Leere Versprechen in der Altersvorsorge», überschrieb SP- Nationalrätin Flavia Wasserfallen gestern ein Communiqué. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth twitterte: Die AHV-Befürworter hätten versprochen, das Rentenproblem der Frauen in der Pensionskasse «schnellstmöglich» zu lösen. «Jetzt schieben sie das Geschäft nach hinten. (…) Was für eine Heuchelei.»

Auch die Gewerkschaften warnen: «Die Stimmbevölkerung soll die Katze im Sack kaufen.» Und sie wettern, das sei eine «Vernebelungstaktik der Ständeratskommission».

Ärgern über Reformstau

Bei bürgerlichen Frauen, die sich für ein Ja zum Rentenalter 65 einsetzen, ist der Ärger entsprechend gross. GLP-Nationalrätin Melanie Mettler zeigt sich enttäuscht darüber, dass sich die SGK-S nicht zu einem Kompromiss bei der Pensionskassenreform durchringen konnte: «Die SGK-S zementiert den Stillstand. Frauen und Junge tragen in der Zwischenzeit die hohen Kosten dieses Reformstaus.» Sie schreibt diese Verhandlungsblockade «dem linken und dem bürgerlichen» Lager zu.

Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel, eine der erfahrensten Sozial- und Gesundheitspolitikerinnen, sagt mit Blick auf alle vier von der SGK-S zurückgestellten Vorlagen: «Es ist für mich absolut unverständlich, dass man so wichtige Vorlagen nicht voranbringt.» Dass nun bis zur AHV-Abstimmung keine Eckwerte bei der Pensionskassenreform vorliegen, sei «ein Steilpass für die Gegner».

Doch was sagen die Mitglieder der SGK-S zu ihrer Performance? Hans Stöckli, Berner SP-Ständerat, zur Verzögerung der Rentenreform: «Bei Wahlen herrscht bekanntlich eine Jagdsaison und jetzt, vor der AHV-Abstimmung, offenbar ein Jagd-Bann.» Mit andern Worten: Es wird tunlichst vermieden, alle Karten auf den Tisch zu legen. Die AHV-Abstimmung sei auch wegweisend für die BVG-Reform, sagt Stöckli: «Gewinnen die Bürgerlichen, wird es danach schwieriger, bei den Pensionskassen eine gute und insbesondere für die Frauen eine gerechte Lösung zu finden.»

Anders sieht das SVP-Ständerat Hannes Germann: «Auch wenn wir im Ständerat nun schon im September eine Vorlage verabschieden würden, könnte der Nationalrat das später immer noch ändern.» Im Übrigen seien jene Elemente der Reform, die vor allem Frauen zugutekämen, auch bei den Bürgerlichen «praktisch unbestritten».

Dies unterstreicht der Präsident der SGK-S, Erich Ettlin. Die Lohnsumme, ab der Arbeitnehmende Arbeitgeberbeiträge erhalten, soll deutlich sinken. Zudem soll ein grösserer Lohnanteil versichert werden. «Davon profitieren Personen mit kleinen Einkommen und Teilzeitjobs», sagt der Mitte-Ständerat, «das sind überdurchschnittlich viele Frauen». Umstritten sei nur, wie jene Jahrgänge entschädigt werden, deren Rentenauszahlungen aus dem Altersguthaben sinken, weil der Umwandlungssatz gesenkt wird. «Hier braucht es eine austarierte Lösung.»

«Ja», räumt Ettlin ein, «vier zurückgestellte Vorlagen sind viel.» Das sei aber der Komplexität der Materie geschuldet, sowie grossen Differenzen zwischen den Kantonen und den Krankenversicherern bei der Frage der Abrechnung der Gesundheitskosten. Und bei der Rentenreform habe jetzt eine Mehrheit entschieden, «das Risiko einzugehen, mit leeren Händen in den Abstimmungskampf um das Frauenrentenalter zu steigen».