Schaffhauser Nachrichten: Steuerausfälle sind unausweichlich

Präsident der Aussenpolitischen Kommission: Hannes Germann.Bild Key
Präsident der Aussenpolitischen Kommission: Hannes Germann.Bild Key

Unternehmenssteuerreform II – darunter können sich die meisten wenig vorstellen. Auch der Bundesrat und das Parlament haben einen wichtigen Aspekt der Vorlage entweder nicht erkannt oder ausgeblendet. Jetzt drohen beim Bund und bei den Kantonen grosse Steuerausfälle in einer Höhe, die lediglich geschätzt werden kann.

Von Karl Hotz

Präsident der Aussenpolitischen Kommission: Hannes Germann.Bild Key
Präsident der Aussenpolitischen Kommission: Hannes Germann.Bild Key

42 Milliarden Franken – so hoch sollen sich die Steuerausfälle in den nächsten Jahren belaufen, wenn man den schlimmsten Prophezeiungen Glauben schenken will. Schuld daran soll der Bundesrat sein, der dieses Problem entweder schlicht nicht gesehen haben soll, oder, die schlimmere Variante: Er soll es verschwiegen haben.

Eine fast endlose Geschichte

Die Sache ist kompliziert. Über Jahre hatte das Parlament um die sogenannte Unternehmenssteuerreform gestritten. Die Fronten waren die üblichen: Mitte-Rechts war für Steuersenkungen, Links-Grün dagegen. In den Parlamentsdebatten um den zweiten Teil der Vorlage (zur Chronologie vgl. Text rechts aussen) wurde episch um die sogenannte Doppelbesteuerung der Dividenden gestritten. Sollen diese im Unternehmen und beim Empfänger besteuert werden? Soll es einen Rabatt geben? Und wenn ja, wie hoch? Umstritten war nicht nur der Grundsatz, sondern auch, wie hoch denn die allfälligen Steuerausfälle durch diese Massnahme sein könnten. Der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz und die links-grüne Seite jonglierten mit verschiedenen Zahlen: Ersterer eher tief, Letztere natürlich eher hoch. Einigen konnte man sich nicht. Die Verlierer ergriffen das Referendum und verloren die Volksabstimmung mit einem Ja-Anteil von 50,5 Prozent denkbar knapp.

Kapitaleinlagen kein Thema

Erstaunlich: Die eingangs erwähnten 42 Milliarden Franken waren, wenn die summarische Durchsicht der Parlamentsdebatten nicht täuscht, in keiner Phase des langen Streits ein Thema. Anscheinend merkten auch die Beteiligten nicht, dass da ein Hund begraben sein könnte (vgl. unten). Worum geht es? Teil der Unternehmenssteuerreform II waren die sogenannten Kapitaleinlagen. Das sind Gelder, die von den Aktionären als eine Art Reserve einbezahlt wurden – meist in Form von Agios, also Zuschlägen auf den Aktienpreis, oder anderen Zuschüssen. Werden diese Gelder zurückbezahlt, so sollen sie nicht versteuert werden müssen. Das entspricht der Logik – wenn jemand 1000 Franken auf sein Sparbuch einzahlt und sie dann später wieder abhebt, muss er dieses Geld ja auch nicht versteuern. Das ist denn auch fast unbestritten. Nun hat aber das Parlament beschlossen, dass die Rückzahlungen derartiger Einlagen beim Empfänger nicht besteuert werden, wenn sie nach dem 1. Januar 1997 erfolgt sind – also volle 14 Jahre vor dem Inkrafttreten des Gesetzes. Sonderbarerweise hat sich im Parlament nie jemand erkundigt, wie hoch denn diese Kapitaleinlagen überhaupt sind. Auch der Bundesrat verliert in der Botschaft ans Parlament über die Höhe dieser Summe kein Wort. Folglich konnte auch niemand wissen, wie hoch sich die Steuerausfälle belaufen, die bei einer Rückzahlung dieser Einlagen entstehen könnten.

Alle waren überrascht

So kam es, wie es kommen musste: Als die Firmen im Jahre 2011 erstmals melden konnten, wie hoch diese Kapitaleinlagen sind, die sie allenfalls einmal zurückzahlen könnten, war die Überraschung gross. Und überrascht oder – je nach Standpunkt – verärgert war man auch über die Steuerausfälle: 1,2 Milliarden Franken waren es gemäss der Eidgenössischen Steuerverwaltung allein im letzten Jahr. Und jetzt kommen die 42 Milliarden Franken ins Spiel. Denn natürlich versuchen jetzt alle auszurechnen, wie hoch denn die Ausfälle in Zukunft sein könnten. Das ist nicht ganz einfach. Denn erstens haben die Firmen in der Schweiz bis Ende Juli 2012 diese Kapitaleinlagen zu melden – im Moment weiss also niemand, wie hoch sie sein werden. Zum Zweiten ist ebenso offen, ob sämtliche gemeldeten Kapitaleinlagen dereinst wirklich zurückbezahlt werden. Die Banken beispielsweise (vgl. die Stellungnahme von Ständerat Hannes Germann unten) werden in den nächsten Jahren wegen des Abkommens Basel III wesentlich mehr Eigenmittel brauchen – Kapitaleinlagen, die schon vorhanden sind, wären da höchst willkommen. Anders gesagt: Die 42 Milliarden Ausfälle sind genauso spekulativ wie die 15 bis 30 Milliarden, die kürzlich ein Autor in der «Neuen Zürcher Zeitung» schätzte. Und ob sich die Ausfälle auf zehn, zwanzig oder noch mehr Jahre verteilen, ist ebenso unklar.

Parlament könnte eingreifen

Wie auch immer: Dass von diesen Ausfällen weder im Parlament noch vor der Volksabstimmung die Rede war, ist mehr als unschön. Der Vorwurf der Linken, Parlament und Volk sei eine Katze im Sack angedreht worden, hat etwas für sich. Kein Wunder, dass Parlamentarier einerseits und die Kantone, die ja stark betroffen sind, anderseits zu flicken versuchen, was noch zu flicken ist. Erwogen wird etwa, die Frist der Rückwirkung zu verkürzen – der Bundesrat hatte ohnehin den 1. Januar 2003 vorgeschlagen. Weil das aber rechtlich nicht unbedenklich ist, wird auch vorgeschlagen – unter anderem von den kantonalen Finanzdirektoren –, das Aktien- und das Rechnungslegungsrecht anzupassen. Dort könnte beispielsweise bestimmt werden, dass Rückzahlungen nur erlaubt sind, wenn gleichzeitig das Kapital herabgesetzt wird. Wie auch immer: Die Geschichte geht weiter.

 

Hannes Germann Ein Nebenkriegsschauplatz – erst noch mit sehr ungewissen Zahlen

Hannes Germann hat die Debatte als Präsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben im Ständerat an vorderster Front mitgeprägt, denn der Präsident muss immer wieder die Meinungen der Kommission einbringen und verteidigen.

Weshalb seinerzeit weder im Stände- noch im Nationalrat die Ausfälle wegen des Kapitaleinlageverfahrens je ein Thema waren, kann er fast fünf Jahre nach geschlagener Schlacht auch nicht mehr sagen. «Es hat einfach nie jemand danach gefragt», stellt er lapidar fest. Auch in der Kommission, welche die Vorlage an etlichen Sitzungen beraten habe, sei gemäss seiner Erinnerung die Frage nie aufgewor- fen worden. «Wenn schon, haben wir höchstens einmal am Rande darüber gesprochen», stellt Germann fest. Aus heutiger Sicht sei das wohl ein Fehler gewesen. Der Bundesrat hätte zumindest Angaben darüber machen müssen, wie hoch denn die fraglichen Kapitaleinlagen ungefähr sein könnten. Zugleich warnt Germann aber auch vor voreiligen Schlüssen. «Die damaligen Gegner haben ein Interesse, möglichst hohe Zahlen zu verbreiten.» Dabei wisse auch heute noch niemand, wie hoch die fraglichen Einlagen überhaupt seien, die zurückbezahlt werden könnten. Zum Zweiten seien auch nicht alle Firmen in der Lage, diese Summen zurückzuzahlen. «Banken etwa, die durch die neuen Vorschriften sehr viel Eigenkapital bereitstellen müssen, werden dazu eher nicht in der Lage sein», gibt er ein Beispiel. Zudem müsse man die Reform als Ganzes betrachten. Schon bei der Unternehmenssteuerreform I sei der Teufel an die Wand gemalt worden – «in Tat und Wahrheit sind aber die Unternehmenssteuern danach gestiegen.» Das könne auch jetzt wieder der Fall sein, wie der eher grössere Zuzug ausländischer Firmen zeige. «Auch wenn die Ausfälle unschön sind, darf man nicht nur darauf starren.» (khz)